Der spannendste Teil dieser Wahl hat am Sonntagabend begonnen. Zu Ende gegangen ist ein eher zäher Wahlkampf, der zwar ein erschreckendes Bild der verlotterten Sitten in Teilen unserer Parteienlandschaft gezeichnet hat, jedoch arm an neuen Ideen für die wirklich drängenden Probleme unserer Zeit war. Nun aber, in den kommenden Wochen, wird sich entscheiden, ob Österreich eine Regierung findet, die das Land gut durch das aufziehende Schlechtwetter führen wird.

Das wird Sebastian Kurz’ Bewährungsprobe. Der triumphale Wahlsieger wurde für seine Arbeit in guter Wirtschaftslage von den Wählerinnen und Wählern belohnt. Doch die deutsche Wirtschaftsleistung, von der Österreich stark abhängig ist, ist zuletzt geschrumpft. Der Handelsstreit zwischen den USA und China beginnt sich auszuwirken. Die Klimakrise erfordert rasche Entscheidungen. Dafür braucht Österreich eine stabile Regierung.

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Sebastian Kurz ist der triumphale Wahlsieger der Nationalratswahl.
Foto: AP/Matthias Schrader

Kurz’ inhaltlich am nächsten stehender Partner wäre die FPÖ. Die Partei hat allerdings ein regelrechtes Wahldebakel erlitten. Straches Spesen waren wohl zahlreichen Wählerinnen und Wählern der Partei "des kleinen Mannes" zu viel. Lässt sich Kurz erneut mit dieser Partei ein, als wäre nichts geschehen? Obwohl er selbst gesagt hat, dass diese Partei nicht regierungsfähig ist? Obwohl schon in den nächsten Tagen eine Parteispaltung drohen könnte? Obwohl ständig weitere rechtsextreme "Einzelfälle" passieren? Obwohl das Risiko groß ist, dass die Koalition wieder vorzeitig endet, sich Kurz aber nicht leisten kann, ein drittes Mal zu scheitern? Schon gibt es erste Stimmen in der FPÖ, die den Platz ihrer Partei nun in der Opposition sehen.

Es geht um Österreich

Eine staatsmännische Antwort auf die Herausforderungen der nächsten Jahre wäre Türkis-Blau II jedenfalls nicht. Doch schon allein aus taktischen Gründen könnte sich Kurz die Option FPÖ offenlassen – und sich zunächst die Alternativen anschauen. Ein Zweierbündnis ÖVP-SPÖ wäre inhaltlich schwierig, außerdem ist noch offen, wie die SPÖ ihr schlechtes Wahlergebnis verdauen wird. Eine ÖVP-Minderheitsregierung wäre dem freien Spiel der Kräfte im Parlament ausgeliefert. Und eine türkis-pinke Regierung geht sich trotz des Plus bei den Neos nicht aus.

Bliebe das Zweierbündnis Türkis-Grün. Hier würden sich die beiden großen Sieger des Wahlabends zusammentun: die ÖVP und die Grünen, die sich ins Parlament zurückgekämpft und mit etwa 14 Prozent noch besser abgeschnitten haben als in den Umfragen erwartet. Es wäre ein Novum für Österreich, mit einem Schwerpunkt auf Klimaschutz und Wirtschaftspolitik – keine ganz unwichtigen Themen in unserer Zeit. Kurz könnte wieder als derjenige gelten, der für Veränderung steht, und auch im Ausland sein Image als Partner der Rechten abstreifen. Ein ganz so gefügiger Partner wie die FPÖ wären die Grünen mit ihrer selbstbewussten Basis allerdings nicht. Inhaltlich liegen die Parteien etwa bei der Migration auseinander.

Im Wahlkampf haben die Parteien einander nichts geschenkt; doch nun geht es um mehr als ein paar Prozentpunkte. Nun geht es um Österreich. Es liegt einerseits an SPÖ und Grünen, die möglichen Verwundungen des Wahlkampfs zu vergessen und auszuloten, ob eine Zusammenarbeit mit der ÖVP möglich ist. Und andererseits liegt es an Sebastian Kurz. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob er nicht nur ein sehr erfolgreicher Wahlkämpfer, sondern auch ein Staatsmann ist. (Martin Kotynek, 29.9.2019)