Am Tag eins nach der Wahl leckte die heimische Sozialdemokratie ihre Wunden. Es war ein schmerzhafter Sonntag, das will niemand beschönigen. Das Wahlergebnis ist das schlechteste in der Geschichte der SPÖ. Aber jetzt müsse der Blick nach vorn gerichtet werden, so der Duktus in der Partei. Die Frage lautet: Wohin konkret?

Rendi-Wagner mit ihrem neuen Parteimanager Christian Deutsch.
Foto: matthias cremer

Nicht in Richtung eines neuen Parteichefs. Da waren sich die führenden Sozialdemokraten am Montag einig. Am Nachmittag tagten zuerst das rote Präsidium, dann der Parteivorstand. "Natürlich" bleibe Pamela Rendi-Wagner, stellte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig dabei klar. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser betonte: "Es braucht keine Menschenopfer bei der ersten Sitzung nach der Wahl."

Neugründung der SPÖ?

Dabei hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einer die Flinte ins Korn geworfen: Thomas Drozda. Der enge Vertraute und Freund Rendi-Wagners, der in der Partei nie besonders gut angeschrieben war, erklärte schon Montagfrüh seinen Rücktritt als Bundesgeschäftsführer. Nationalratsabgeordneter und Kultursprecher will er weiterhin bleiben. Nachfolgen wird ihm Christian Deutsch, wie DER STANDARD bereits Montagnachmittag in Erfahrung brachte. Der Wiener Gemeinderatsabgeordnete ist ein enger Vertrauter von Bürgermeister Michael Ludwig. Drozda wurde er als Wahlkampfmanager an die Seite gestellt. Am Abend verkündete Rendi-Wagner die einstimmige Wahl Deutschs zum Bundesgeschäftsführer im Parteivorstand – allerdings hatten die Vertreterinnen von Sozialistischer Jugend und Junger Generation die Sitzung zuvor aus Protest verlassen.

Aber reicht dieser Personalaustausch für eine glaubhafte Erneuerung?

Natürlich nicht. Auch da herrscht Übereinstimmung in der SPÖ. Drozdas Vorgänger in der Bundesgeschäftsstelle, Max Lercher, fordert etwa einen "Reformparteitag", ein "neues Hainfeld", um eine Neugründung zu ermöglichen. "Die SPÖ braucht eine massive Veränderung, wir brauchen einen Systemwechsel. Es darf kein Weiter-so-wie-bisher mehr geben", sagt der Obersteirer, der nun in den Nationalrat einziehen wird.

Mehr Macht für Rendi-Wagner

Landeschef Kaiser fordert im Gespräch mit dem STANDARD: Rendi-Wagner müsse umgehend mehr Machtbefugnisse bekommen. "Sie braucht mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Räume." Auch um den "Strukturkonservativismus" in der Partei aufzubrechen. "Wir müssen mehr junge Menschen und vor allem auch Frauen in der Partei an wichtige Positionen bringen. Ich weiß, ich mache mich jetzt unbeliebt in der Partei, aber wir müssen eine Änderung des antiquierten Listensystems andenken", sagt Kaiser, der aktuell erfolgreichste Sozialdemokrat der Nation.

Was er damit meint? "Es müssen neue Modelle für attraktive Persönlichkeiten geschaffen werden, die die Zukunftsgeschichte der SPÖ erzählen können." Die Art und Weise, wie Kandidaten und Kandidatinnen bisher bestellt wurden – von den Ortsgruppen über die Bezirke bis zu den Wahlkreisen und der Landesebene -, sei überholt. Und nun sei auch der Leidensdruck groß genug, um diese radikalen Parteireform durchzuziehen. Kaiser: "Wann, wenn nicht jetzt."

Rendi-Wagner selbst erklärte in einer Pressekonferenz Montagabend, dass sie nun einen Modernisierungsprozess einleiten werde. Es brauche eine strategische und organisatorische Neuaufstellung der Sozialdemokratie.

Rote Erklärungen für das Debakel

Die Nachwahlanalyse der Genossen hat zwei grundlegende Erklärungen für das Debakel ergeben. Erstens: Thematisch hätten Klima und Umwelt als Topthemen vor allem den Grünen in die Hände gespielt – wodurch die SPÖ Rot-Grün-Sympathisanten nicht für sich gewinnen konnte. Zweitens: ÖVP und FPÖ seien einender inhaltlich inzwischen so ähnlich, dass frustrierte Blau-Wähler alle zu Sebastian Kurz übergewechselt sind – und nicht zu den Sozialdemokraten. Tirols Landeschef Georg Dornauer hatte dafür noch eine weitere Erklärung parat: "Der klassische FPÖ-Wähler wählt keine Frau mit Doppelnamen."

Rendi-Wagner rief auch noch einmal in Erinnerung, dass sie die Partei erst Ende 2018 übernommen hatte – in einer nicht ganz einfachen Situation. Sie habe einfach zu wenig Zeit gehabt, um sich und die SPÖ klar zu positionieren, sagen viele Sozialdemokraten. Einige machen deshalb Ex-Parteichef Christian Kern als Schuldigen aus, der die Partei im Chaos verlassen habe.

Steirer wenden sich ab

Für Diskussionsstoff sorgte die Ankündigung des steirischen Landesparteichefs Michael Schickhofer, er werde seine Bundesfunktionen ruhend stellen. Seine Begründung: Er wolle sich zu hundert Prozent den Landtagswahlen im November widmen. "Wir werden unseren Kurs für die Steiermark konsequent und eigenständig umsetzen", argumentierte Schickhofer den Schritt.

Der mächtige steirische Gewerkschafter und bisherige SPÖ-Sozialsprecher Beppo Muchitsch ist deshalb stinksauer auf seinen Landesparteichef: "Das ist populistisch und eine völlig überhastete Trotzreaktion auf das Wahlergebnis", sagt Muchitsch zum STANDARD. "Das ist kein Zeichen von Solidarität. In dieser Zeit haben wir gefälligst zusammenzustehen." (Katharina Mittelstaedt, Walter Müller, 30.9.2019)