Der Privatier Ken Topper wohnt im Lovell Health House von Richard Neutra, der seine Gebäude als "Anker der Seele" bezeichnete.

Foto: Josh Gorrell

Hoch in den Hügeln von Los Feliz, im kalifornischen Los Angeles, thront das wohl bekannteste Gebäude des Architekten Richard Neutra. 1927 beauftragte der Gesundheitspapst Dr. Philip Lovell den 35-jährigen Architekten, ihm ein Haus zu entwerfen, „das durch seinen Entwurf die Gesundheit der Bewohner dieses Hauses verbessern wird!“.

Lovell war der Überzeugung, dass neue Lebensweisen neue Architekturen erfordern – und dass neue Architekturen wiederum eine neue, verbesserte Menschheit formen würden. Das Lovell Health House wurde eine internationale Sensation. Wir waren zu Besuch bei Ken Topper – seines Zeichens Privatier – der hier lebt, seit er ein Kind war.

Das Lovell Health House machte Richard Neutra mit einem Schlag berühmt. Für manche ist es eines der wichtigsten Häuser des 20. Jahrhunderts.
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STANDARD: Wie ist es, in einem Haus zu leben, das viele als Kunstwerk bezeichnen?

Ken Topper: Als Kind nahm ich es natürlich als selbstverständlich hin. Das ändert sich, wenn man älter wird und man die Architektur zu schätzten weiß. Dieses Haus ist ein lebendiger Organismus. Neutra nannte seine Gebäude "die Anker der Seele".

STANDARD: Wann kauften Ihre Eltern dieses Haus?

Topper: Das war 1960. Eigentlich schauten sie sich ganz andere Häuser in Hancock Park an. Sie wollten schon einen Vertrag für ein Haus abschließen, das wie aus Vom Winde verweht aussah. Doch dann bog mein Vater mit dem Auto in die andere Richtung ab und fuhr eine kurvige Straße den Hügel aufwärts. Bei einem Haus aus Beton blieb er stehen und fragte meine Mutter: "Und, was sagst du dazu?"

STANDARD: Wie kam Ihr Vater überhaupt auf die Idee, dieses Haus, das Lovell Health House, zu besichtigen?

Topper: Sie werden es nicht glauben: durch unseren Milchmann. Dieser belieferte sowohl unser damaliges Haus als auch das Lovell Health House. Meinem Vater erzählte er, dass Letztgenanntes auf den Markt kommen würde. In meinem Vater wurden wohl Kindheitserinnerungen wach, denn er wuchs hier in der Nähe auf und spielte in seiner Kindheit mit den Söhnen von Lovell.

STANDARD: Wie gefiel das Haus Ihrer Mutter?

Topper: Überhaupt nicht. Sie fand es schrecklich. So viele Treppen! So viel Glas! Eigentlich war sie schockiert. Mit vier kleinen Kindern – ich war damals ein Jahr alt – war es wirklich nicht das perfekte Heim.

STANDARD: Und ein solches Haus galt wohl damals bereits als veraltet ...

Topper: Es war völlig aus der Mode. Häuser im modernistischen Stil wurden erst in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren wieder populär. Als ich aufwuchs, hatte ich nie den Eindruck, in einem besonderen Haus zu leben. Außer, wenn Richard Neutra vorbeikam, um es einem potenziellen Kunden zu zeigen. Für ihn war dieses Haus quasi sein Vorzeigehaus.

STANDARD: Neutra kam vorbei? Das muss ja toll gewesen sein. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?

Topper: Ich war sieben Jahre alt, als ich ihn zum ersten Mal sah. Für mich sah er aus wie ein Verrückter – mit intensiven Augen und wild abstehenden Haaren. Er platzte unangekündigt herein. Es gab keinen Anruf im Voraus oder so etwas. Es gab nur ein lautes, ungeduldiges Klopfen an der Tür. Dieses Haus war sein Baby, und er wollte eine Art Beziehung mit den Besitzern des Hauses haben. Er ging die Treppe hinunter in den großen Wohnraum und beschwerte sich: "Hier liegt viel zu viel herum! Ihr ruiniert mein Haus." Und dann schoss er mit seinem Fuß unsere Stofftiere in die Ecke. Meine Eltern und wir Kinder hielten uns hauptsächlich in diesem größten und schönsten Raum des Hauses auf. Seiner Meinung nach war zu viel Unordnung, zu viele Bücher, Spielzeug und Essen, das herumstand.

STANDARD: Was wissen Sie über die Zusammenarbeit zwischen Neutra und Lovell?

Topper: Es muss perfekt gewesen sein. Beide hatten sehr moderne Vorstellungen. Dr. Lovell liebte das Gemeinsame. Er arbeitete auch mit dem Architekten Rudolph Schindler an seinem Strandhaus in Newport Beach (Anm. d. Redaktion, Strandhaus Lovell, errichtet 1926, das bekannteste Gebäude des Architekten Schindler; Neutra war für den Landschaftsbau und die Gartengestaltung verantwortlich). Ich weiß, dass Lovell Neutra durch Schindler kennenlernte, da die Neutras bei Schindlers in deren Haus in Kings Road in West Hollywood lebten. Aus welchem Grund auch immer: Lovell wählte Neutra, um sich von ihm sein nächstes Projekt entwerfen und bauen zu lassen.

STANDARD: Wie hat Schindler auf diese Entscheidung reagiert?

Topper: Es beendete die Freundschaft zwischen Schindler und Neutra. Das Lovell Health House machte Neutra mit einem Schlag international bekannt und berühmt. Es war eine Sensation, als es der Welt gezeigt wurde. Es war die erste komplett aus Glas und Stahl gebaute Konstruktion, die auf einem Hügel stand, mit einem spektakulären Blick auf das glitzernde Los Angeles.

STANDARD: Haben sich Schindler und Neutra je wieder versöhnt?

Topper: Sie haben 30 Jahren nicht mehr miteinander geredet. Dann hatte Neutra einen Herzinfarkt und war im Cedars-Sinai-Krankenhaus. Schindler war ebenfalls dort – vorerst jeder in einem Einzelzimmer. Dann wollte der Zufall, dass sie aus Platzmangel in einem Raum landeten. Und es gab eine Versöhnung.

STANDARD: Das klingt ja sehr nach einem Hollywood-Ende ...

Topper: Diese Geschichte stammt von dem berühmten Architekturfotografen Julius Shulman. Er liebte es, sie zu erzählen. Er kannte beide sehr gut, da er viele ihrer Arbeiten fotografierte und dokumentierte. Neutra gab ihm seine ersten Aufträge, und die beiden arbeiteten bis an Neutras Lebensende miteinander.

STANDARD: Apropos Hollywood: In diesem Haus wurden ein paar Szenen für den 1997 mit dem Oscar ausgezeichneten Film "L.A. Confidential" gedreht. Wie kam es dazu?

Topper: Ein junger Location-Scout stattete meiner Mutter bereits seit fünf, sechs Jahren Besuche ab, um sie für Drehgenehmigungen zu bitten. Er war ein netter, wohlerzogener Typ, und meine Mutter mochte ihn, aber Dreharbeiten wollte sie in dem Haus nicht. Eines Tages kam er wieder mal vorbei und meinte: "Der Regisseur hat sich dieses Haus in den Kopf gesetzt – dieses und kein anderes. Ich weiß, dass du Nein sagen wirst, aber wenn du es tust, bin ich meinen Job los." Zu unserem Erstaunen stimmte unsere Mutter zu. Das Shooting dauerte nur fünf Tage. Man sieht die Ford-Autoscheinwerfer, die Neutra in die Treppengeländer eingelassen hatte. In dem Film kommt das Haus noch mehr zur Geltung. Es schaut enorm beeindruckend aus.

40 Stunden dauerte es, bis der Rohbau des Architekturjuwels fertig war – und das Ende der 1920er-Jahre.
Foto: Josh Gorrell

STANDARD: Warum wollte Regisseur Curtis Hanson speziell dieses Gebäude?

Topper: Er sah die Rolle des Pierce Patchett wie das Haus: mächtig, kühl, berechnend, modern. Als Edelzuhälter verdient er Geld an Frauen, die aussehen wie Hollywood-Starletts. Gleichzeitig legte er das Geld für diese Frauen an, damit sie ab ihrem dreißigsten Lebensjahr ein neues Leben beginnen konnten. Das war – für die damalige Zeit, 1950, in der dieser Film spielt, sehr modern und vorwärts denkend. Hanson wollte, dass dieser Charakter in einem Gebäude lebt, das seiner Zeit ebenfalls voraus ist. Die Geschichte spielt im Jahr 1950. Dieses Haus wurde 1929 gebaut. Das spricht für das Haus. Das ist Modernismus. Deshalb ist dieses Haus ein Kunstwerk – wie ein zum Leben erwecktes Mondrian-Gemälde.

STANDARD: Was macht dieses Haus zu einem Kunstwerk?

Topper: Es hat den ersten Ganzstahlrahmen, der jemals in den USA errichtet wurde. Tatsächlich dauerte es nur 40 Stunden, bis der Rohbau des Hauses fertig war. Der gesamte massive Rahmen – Schweißen war nicht erforderlich – wurde in diesen 40 Stunden hochgefahren. Ich glaube, es dauerte länger, bis alle Stahlteile hierhergebracht wurden. Danach wurde mit einer revolutionären Technik weitergebaut – ein schnell trocknender Spraybeton wurde aus der Düse eines 76 Meter langen Schlauches geschossen, um eine dünne Schale um den Rahmen zu bilden. Das war 1929. Die ersten Zeichnungen zu dem Haus entstanden bereits 1927. Neutra war der festen Überzeugung, dass Architekten Gebäude entwerfen müssen, die der Persönlichkeit des Eigentümers entsprechen. Dieses Haus scheint mit einem zu sprechen – vor allem, wenn einem etwas wehtut.

"Dieses Haus scheint mit einem zu sprechen – vor allem, wenn einem etwas wehtut."
Foto: Josh Gorrell

STANDARD: Was sind die Hauptprobleme bei einem Gebäude wie dem Lovell Health House?

Topper: Es ist 90 Jahre alt. Alles ist schwierig. Man weiß gar nicht genau, was nicht funktioniert. Heute ist der Elektriker da. Wir wissen nicht einmal, wie viele Kabel sich in der Wand befinden und wohin sie führen, geschweige denn, wie alt sie genau sind. Wir müssten alle Wände aufreißen, um zu sehen, wo das Problem liegt. Und wer weiß, auf wie viele andere Probleme wir noch stoßen würden. Das wäre der Wahnsinn. Eine Riesenoperation – von den Kosten ganz zu schweigen. Wir sind nicht bereit, eine Operation durchzuführen. Wir machen Notfallversorgung – und Schönheitschirurgie.

STANDARD: Ein Glück, dass es unter Denkmalschutz steht.

Topper: Diese Immobilie ist viel wert. Es ist ein riesiges Grundstück in bester Lage. Man könnte hier viel bauen. Wer das Geld hat, es zu kaufen, hat auch das Geld, um eine saftige Strafe zu zahlen, falls das Gebäude abgerissen wird. Aber ich denke, allein durch die historische Bedeutung des Hauses würde so etwas nicht geschehen. Es wäre ein Medienskandal.

STANDARD: Was würden Sie sich für Zukunft dieses Hauses wünschen?

Topper: Das ist eine gute Frage: Ich weiß es nicht. Es ist meine Hoffnung, dass wir einen Weg finden, es zu erhalten. Nicht nur das, sondern auch, um es wieder zu dem zu machen, was es ursprünglich war. Es war nie ein warmes, gemütliches Zuhause, eher ein Ort, an dem gelehrt, gedacht und Ideen ausgetauscht werden. Es ist – und war unter Dr. Lovell – auch das Gelände einer Schule. Man lernt in einer Schule, man lebt nicht in einer Schule. (Cordula Reyer, RONDO Open Haus, 28.8.2021)

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