Koalitionsverhandlungen sind Zeiten forcierter Personalspekulation im ORF. Regierungsparteien bestimmen große Teile des wichtigsten ORF-Entscheidungsgremiums, und Regierungsmehrheiten im Nationalrat können das ORF-Gesetz ändern– und damit so oder so die ORF-Führung. Und Alexander Wrabetz ist nicht zuletzt deshalb weit länger als alle Vorgänger am Stück ORF-Chef, weil er mit wechselnden Konstellationen in Regierung und ORF-Stiftungsrat sehr geschickt umgeht.

"Kids Screen": Visualisierung des ORF für einen Kinder-Channel seines geplanten ORF-Players.
Foto: ORF

Social-Streaming-Player

Ein Schlüsselprojekt für die ORF-Zukunft ist der ORF-Player, eine Streamingplattform mit Social-Media-Funktionen, an der ORF-Stratege Franz Manola schon eine Weile tüftelt. Nicht nur Manola würde das Zukunftsprojekt gern möglichst rasch umzusetzen. Die größte Fraktion im Stiftungsrat des ORF – die ÖVP-nahen Räte – und ihr Sprecher Thomas Zach drängen sehr nachdrücklich in diese Richtung. Ihnen präsentiert ORF-Chef Wrabetz spürbar zu lange schon zu viel Projekt und zu wenig Umsetzung in Sitzung um Sitzung um Digitalthementag.

Bei der Umsetzung hilft eine Besetzung – und immerhin: Eine Struktur für den Player zeichnet sich ab. Der ORF hat, wie berichtet, vor zwei Wochen einen Geschäftsführer oder eine Geschäftsführerin für die ORF-Onlinetochterfirma ausgeschrieben, die schon Österreichs erfolgreichstes Newsportal ORF.at betreibt. Ausdrücklich soll diese dritte Führungskraft für den ORF-Player zuständig sein. Der Player soll offenbar in einer eigenen Gesellschaft platziert werden, offenbar unter der Onlinetochter angesiedelt.

Ein passender Chef

ORF-Chefproducer und Finanzvizedirektor Roland Weissmann wird auf dem Küniglberg als Manager für den ORF-Player gehandelt.
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Ein Name für die Funktion macht auf dem Küniglberg die Runde: Roland Weissmann, Chefproducer und Vizedirektor für Finanzen im ORF – der "Kurier" berichtete als Erster darüber. Die Besetzung hätte für ORF-Chef Wrabetz einige Logik. Weissmann hat als oberster Finanzverwalter des viele Millionen schweren TV-Budgets und zugleich Mitglied der ORF-Strukturreformgruppe mit dem schönen Titel "Transformer" viel Einblick in Wirtschaft und Mechanismus von Produktion, Programm und Preis im und um den ORF.

Weissmann werden zugleich gute Kontakte in die ÖVP des Sebastian Kurz nachgesagt. Und diese klar mandatsstärkste Partei mit doch recht guter Aussicht auf den nächsten Bundeskanzler braucht der ORF, wenn er seinen Player zu voller Orchestrierung bringen will. Denn bisher verbietet das ORF-Gesetz viele Stücke, die er spielen soll.

Lange Wunschliste an den Gesetzgeber

Der ORF darf heute Sendungen nicht allein und nicht einmal zuerst für Onlineplattformen produzieren, schon gar nicht mit Rundfunkgebühren. Der Player soll aber Channels bekommen, die etwa weit mehr Kinderprogramm oder Sport online und auf Abruf anbieten, als je im Fernsehprogramm Platz findet. TV- und Radiosendungen dürfen bisher nur sieben Tage nach Ausstrahlung zum Nachsehen angeboten werden. Usergenerierte Programme stehen ebenso in Manolas Konzept. Foren zum Programm und zum Austausch mit den Machern könnten sich indes ohne Gesetzesänderung ausgehen (allerdings mit Registrierungspflicht der Posterinnen und Poster mit Name und Wohnadresse).

Damit so lange Wunschlisten auch Gesetz werden, kann die passende Führungsperson schon helfen. Auch wenn – bei allem Drängen der bürgerlichen (und auch freiheitlichen) Stiftungsräte – den pragmatisch-taktischen Medien-Millennial Sebastian Kurz am digitalen ORF vor allem der Chefredakteur von ORF.at interessieren dürfte (dafür wurde im Frühjahr recht intensiv Doku-Leiter Gerhard Jelinek gehandelt, der allerdings für diesen Herbst seinen Pensionsantritt angekündigt hat). Und am ORF ganz besonders der Infochef von Ö3.

300-Millionen-Euro-Mann

Weissmann hat als Chefproducer allerdings schon eine Schlüsselstelle im ORF von sehr großem, sehr realem Gewicht – rund 300 Millionen disponibles TV-Budget nämlich pro Jahr. Eine so mächtige Position im ORF gibt man nicht so leicht auf, selbst wenn man dafür maßgeblich die Zukunft des ORF gestalten kann. Um sie tatsächlich zu gestalten, braucht es im Gegenteil wesentliches Gewicht bei Programmeinkauf und Produktion. Denn wenn der Player webtaugliches Programm machen soll, bevor es ins Fernsehen kommt (wenn es überhaupt noch dort landet), werden sich seine Manager eher schwertun, wenn sie als Bittsteller zu den TV-Budgetverantwortlichen mit den viele Millionen schweren Budgets pilgern müssen.

Der Player-Geschäftsführer in der ORF-Onlinetochter soll immerhin zugleich eine Hauptabteilung in der Generaldirektion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bekommen, bestätigen Menschen mit Einblick in die einschlägigen Überlegungen hoch droben auf dem Küniglberg. Ähnlich organisierte ORF-Chef Wrabetz etwa den ausgelagerten ORF-Spartenkanal ORF 3 – Peter Schöber ist im ORF-3-Tochterbetrieb Geschäftsführer und zugleich Führungskraft in der Generaldirektion.

Kommt Zeit, kommt Stiftungsrat

Wenn Wrabetz dort Weissmann will, kann es sich der aber nach bisherigen Erfahrungen mit dem ORF-General ohnehin noch eine Weile überlegen. Die Ausschreibung für die Geschäftsführung der ORF-Onlinetochter, zuständig für den Player, endet zwar am 10. Dezember. Mit einem Personalvorschlag des Generals schon zwei Tage danach in der letzten Plenarsitzung des ORF-Stiftungsrats 2019 ist aber nicht zu rechnen. Und bevor eine neue Regierung steht, ist eine Besetzung im ORF des Alexander Wrabetz eher unwahrscheinlich. Am 19. März 2020 tagt das oberste ORF-Gremium das nächste Mal.

Noch ein Digitalstratege

Wieder einmal für den ORF gehandelt: Martin Radjaby-Rasset, er leitet seit 2017 das strategische Marketing der Erste Bank.
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Vor ziemlich genau einem Jahr lud der ORF-Stiftungsrat zu einem digitalen Thementag, um Druck Richtung Digitalstrategie und Player zu machen. Einer, der schon lange nicht mehr im ORF arbeitet, beeindruckte damals die ORF-Räte besonders, insbesondere auch solche aus der ÖVP: Martin Radjaby-Rasset präsentierte seine strategischen Überlegungen aus der Perspektive einer anderen Branche, die sich digital durchaus herausgefordert sieht: Radjaby-Rasset leitet seit 2017 das strategische Marketing der Erste Bank.

Wohl auch, weil Radjaby einige Räte vor einem Jahr digital so beeindruckte, und wohl auch, weil der frühere Ö3-Mann und Werbeagenturmanager (Jung von Matt/Donau) lange für die Grünen warb, etwa auch für Präsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen, tauchte sein Name diese Woche in "Profil" als Personalreserve der Grünen für die ORF-Führung auf. Radjaby-Rasset müsste das aber mehr aus Liebe oder Verantwortung gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wollen. Ein Wechsel aus dem Erste-Bankwesen in die ORF-Gehaltssystematik dürfte selbst in sehr hohen Führungsebenen des Küniglbergs eher keine finanzielle Verbesserung bedeuten. Aber auch das passt gut in Zeiten forcierter Spekulation.

Wirtschaftlich greifbarer ist da schon das Budget von Österreichs rund eine Milliarde Euro schwerem, größtem Medienkonzern des Landes für 2020 – mit steigenden Gebühreneinnahmen und herausfordernden Zeiten für TV-Werbung. Mehr zum Finanzplan des ORF nach bisherigem Stand hier. (Harald Fidler, 26.11.2019)