Im Gastkommentar plädiert Barbara Coudenhove-Kalergi von der Industriellenvereinigung, US-Unternehmer beim Wort zu nehmen und ihnen nicht gleich jede Ernsthaftigkeit abzusprechen.

Das ist einmal eine Ansage: In der jüngsten Erklärung des Verbands "Business Roundtable" definieren mehr als 180 US-Unternehmen den Zweck von Unternehmen neu. Sie distanzieren sich vom Kernprinzip börsennotierter Unternehmen, dem Shareholder-Value, durch das Gewinnmaximierung quasi zur moralischen Verpflichtung von Unternehmen erhoben wurde.

Auch Amazon-Gründer Jeff Bezos trägt die Abkehr vom Shareholder-Value-Dogma mit. Die Auswirkungen stehen jedoch noch in den Sternen.
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Nicht mehr die Rendite für die Shareholder stehe im Vordergrund, stattdessen solle der Fokus auf Investitionen in Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Umweltschutz, einen fairen und ethisch korrekten Umgang mit Zulieferern und Communitys gelegt werden. Damit reagieren die CEOs auf die aktuelle gesellschaftliche Lage – und auf ein Zeitgeistthema. Während steigende Erwartungen und Ansprüche der Gesellschaft an Unternehmen vor dem Hintergrund sich beschleunigender negativer Auswirkungen der Globalisierung diese schon länger beschäftigen – Stichwort gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen –, werfen sie nun ihren wichtigsten kapitalistischen Glaubenssatz über den Haufen.

Der Ökonom Milton Friedman würde sich im Grabe umdrehen. Denn er deklarierte vor 50 Jahren, „die soziale Verantwortung von Unternehmen besteht darin, ihre Gewinne zu steigern“, versetzte damit dem herrschenden Managerialismus den Todesstoß, richtete Unternehmen auf Wettbewerb und Effizienz aus und verhalf dem Shareholder-Value zum Siegeszug. Die sogenannte Friedman-Doktrin dominiert die klassische Betriebswirtschaftslehre bis heute, die negativen Auswirkungen – kurzfristige Orientierung, falsche Anreizsysteme für Manager, Zurückhaltung von Investitionen, Lohn- und Kostendruck et cetera – sind bekannt.

Kritik, kein Jubel

Eigentlich könnte man erwarten, dass nun lauter Jubel ausbricht – vonseiten der langjährigen Verfechter einer Stakeholder-Value-Orientierung des Ökonomen und Philosophen Ed Freeman zum Beispiel. Bereits seit 1984 argumentiert er, dass die Verantwortung von Unternehmen gegenüber all ihren Stakeholdern – inklusive Shareholder – zu erfolgreichen und fairen Geschäftsmodellen führt. Man könnte auch mit dem Beifall der Jünger der Gemeinwohlökonomie rechnen sowie mit dem Zuspruch weiter Teile der Zivilgesellschaft und Arbeitnehmergruppierungen. Weit gefehlt.

Stattdessen hagelt es Kritik. Und zwar sowohl von Befürwortern des Shareholder-Value-Prinzips als auch von Kapitalismusgegnern. Erstere argumentieren, dass eine Abkehr von der Gewinnmaximierung mehr Schaden als Nutzen bringen würde: Es bestünde die Gefahr, dass eine Klasse von nicht rechenschaftspflichtigen CEOs etabliert würde, denen die Legitimität fehle, gesellschaftliche Anliegen zu vertreten, und es gefährde den breiten Wohlstand. Zweitere bezeichnen die Erklärung als zahnlosen Papiertiger ohne konkrete Verpflichtungen und Aktionspläne, als unglaubwürdig und als Greenwashing übelster Sorte. Dahinter stehen eine grundsätzlich unternehmenskritische Haltung und ein hohes Maß an Misstrauen. Einig sind sich beide Seiten nur in ihrer Unterstellung, dass die Unternehmen rein taktisch agieren und Regulierungsdruck vorbeugen würden.

Nur Schönfärberei?

Dieses generelle Unternehmensbashing, die kritische Haltung gegenüber der Marktwirtschaft und das fehlende Vertrauen haben zweifelsohne ihre Gründe, das ist aber langfristig problematisch. Und zwar aus mehreren Gründen: Unternehmen sind – in einer idealen Welt – grundsätzlich Problemlöser. Das ist ihr ureigenster Zweck. Ohne ihre Innovationskraft hätten wir selbstverständliche und liebgewonnene Dinge nicht breit und leistbar verfügbar – von Medikamenten über Mobilität bis Kommunikationstools. Ohne Unternehmen, kein Fortschritt, keine Arbeitsplätze, keine Investitionen und keine Produkte, die das Leben einfacher oder einfach lustiger machen. Unternehmen grundsätzlich zu misstrauen trägt zur Polarisierung in der Gesellschaft bei – Stichwort Mensch gegen Konzerne.

Es gibt weltweit zahlreiche höchsterfolgreiche Unternehmen, die sich bereits seit Jahrzehnten von der Gewinnmaximierung auf Kosten aller anderen Stakeholder verabschiedet haben. Alles nur Window-Dressing? Dazu ist der Aufwand zu hoch. Auch in Österreich besteht eine sehr lebendige Community von Unternehmen, die seit 20 Jahren gesellschaftliche Verantwortung mit ihrem Kerngeschäft verknüpft, die selbstverständlich mit ihren Stakeholdern eng zusammenarbeitet und die trotz Arbeitszeitflexibilisierung Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht ausbeutet.

Andere Logik des Kapitalismus

Zu guter Letzt: Die Mitglieder des „Business Roundtable“ sind nicht irgendwelche Unternehmen. Diese Firmen – von Apple bis Walmart – haben mehr als 15 Millionen Beschäftigte bei einem Jahresumsatz von mehr als sieben Billionen US-Dollar und 300 Milliarden US-Dollar an Dividenden. Hier wird an einem großen Rad gedreht. Und auch wenn dieser Vorstoß in Richtung einer anderen Logik des Kapitalismus viele noch nicht überzeugt, wäre es besser, Unternehmen, die sich damit auf den Weg machen, dabei – durchaus kritisch und fordernd – zu begleiten und sie beim Wort zu nehmen, als ihnen von vornherein jede Ernsthaftigkeit abzusprechen und die so oft bekämpfte Spaltung weiterzubetreiben. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 27.11.2019)