Ich kann jedem, der zu einem fundierten Urteil über die Jugoslawien-Position des Literaturnobelpreisträgers Peter Handke kommen will, nur empfehlen, das inkriminierte Buch aus den 90er-Jahren, die "Winterliche Reise", selbst zu lesen. Man wird erstaunt sein. Denn man wird etwas ganz anderes darin finden, als von seinen Kritikern behauptet wird. Keine proserbische, nationalistische Propaganda. Keine Leugnung von Kriegsverbrechen. Schon gar keine wie immer geartete Huldigung an den damaligen Präsidenten Restjugoslawiens, Slobodan Milošević, für den Handke ganz im Gegenteil nie die geringste Sympathie hegte, wie er auch erst kürzlich in einem Interview in der "Presse" bekräftigt hat. Um das alles geht es in dem Buch überhaupt nicht.

Ob die völlig verzerrte Wiedergabe des Inhalts des Buches, zu der es in den letzten Monaten durch seine Kritiker fortwährend gekommen ist, darin begründet liegt, dass viele den dichterisch-philosophischen Text schlicht nicht zu verstehen in der Lage sind, oder ob es sich dabei um eine Art später Rache von Medienrepräsentanten für die erlittene narzisstische Kränkung handelt, weil Handke mit diesem Text seinerzeit "ihre" Arbeit in Frage gestellt hat, das will ich hier gar nicht entscheiden.

Denn den Journalismus greift Handke in diesem Buch allerdings frontal an, und zwar nicht bloß die Berichterstattung über Jugoslawien, sondern mehr noch, das Wesen des Journalismus überhaupt, seine ausgehöhlte Sprache und den durch sie bedingten Verfall der Wahrnehmung, die dadurch ausgelöste Wirklichkeitsverarmung

Handkes erkenntnistheoretischer Hintergrund ...

Ohnehin wird der Leser oder die Leserin zuerst einmal erstaunt sein, dass es in dem Buch viel weniger um Politisches geht, als man aufgrund des Aufruhrs, den es erregt, vermuten könnte. Auch der Krieg kommt nur am Rande vor. Die meiste Zeit kreist der Text beispielsweise um Benzinkanisterverkäufer oder den Schnee, der in Serbien auf der Straße liegt, um viele, kleine, scheinbar nebensächliche Dinge, mit denen man es auf einer Reise zu tun hat oder die Bestandteile des Alltags sind.

Das alles ist freilich nur vordergründig harmlos. Das impliziert auch eine Kritik der gängigen Berichterstattungsroutine, der Dekontextualisierung, des Herausreißens aus Lebenszusammenhängen, wie es demgegenüber journalistischen Texten zu eigen ist. Schnell mal wo hinfahren, ein paar Aussagen herausholen, die man haben wollte, ein paar Fotos schießen, die ins Konzept passen, dann wieder verschwinden. Sich die "Story" holen, die man gut verkaufen kann und die zumeist nur die vorhandenen Stereotype bekräftigt. Ohne Wirklichkeit je erfahren zu haben. Stattdessen, das ist der durchklingende Vorwurf Handkes, zerstört man damit die Wirklichkeit.

"Zwar seien ab und zu Journalisten aus dem Westen aufgetaucht", teilt ihm in dem Buch etwa eine Bewohnerin der serbischen Grenzstadt Bajina Bašta mit, "aber die hatten alles schon im voraus gewußt, und dementsprechend waren auch ihre Fragen gewesen; keiner hatte sich für das Leben der Leute hier in der Grenzstadt auch nur ein klein wenig offen oder auch bloß neugierig gezeigt".

Zu dieser Kritik passt, dass sich demgegenüber an einer Stelle seines Buches Handke explizit in die Nähe des Philosophen Edmund Husserl rückt, des Vaters der Phänomenologie, dessen Erkenntnistheorie den "Erlebnisstrom" in den Mittelpunkt gestellt hat.

So einen Erlebnis- oder Bewusstseinsstrom gibt auch das Buch offensichtlich wieder, und man kann es nur begreifen, wenn man es als einen solchen liest und rezipiert. Kaum geht es da um die Verkündigung als feststehend betrachteter Tatsachen. Vielmehr geht es um einen offenen Prozess der Wahrnehmung, des Reflektierens und des fortwährenden Fragenstellens, des laut Vor-Sich-Hin-Denkens, Gedankenexperimentierens und Überlegens, auch Fühlens und Spürens.

Handke wird am 10. Dezember der Nobelpreis verliehen.
Foto: APA/BARBARA GINDL

... als Quelle von Irrtümern, Missverständnissen und Empörung

Freilich setzen genau hier auch gleich die Irrtümer und Missverständnisse oder möglicherweise auch absichtlichen Verdrehungen der Handke-Kritiker ein. Tatsächlich jedenfalls haben sie einzelne Sätze des Buches nicht nur wiederholt vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen und dann als Beweise beispielsweise für Handkes angebliche Leugnung von Kriegsverbrechen präsentiert, sondern sie haben eben auch ignoriert, dass es sich hier bloß um Elemente dieses komplexen Bewusstseinsstroms handelt.

Denn einen Gedanken, der dem Ich-Erzähler in einem Moment in den Sinn kommt, den verwirft er vielleicht im nächsten Augenblick schon wieder, lässt ihn in Schwebe stehen oder ordnet ihn neu ein. Dieses reflektierende, erlebnishafte und durchaus intellektuell komplexe „In-Schwebe-Lassen“, das Vieldeutigkeiten auslotet und jedem guten Dichter zu eigen ist, dieses Zweifeln an den hard facts, das ist es aber gerade, was anscheinend viele empört hat.

Die Innenschau des Dichters ...

Nehmen wir etwa als Beispiel den filigranen, verschlungenen und langatmigen Abschnitt relativ am Beginn in Handkes Buch, der scheinbar mit einer Nebensächlichkeit eingeleitet wird, nämlich mit einem Kinobesuch am Vorabend der Reise in Paris, also dort, wo der Schriftsteller wohnt. Ohnehin erweist sich er sich hier als Meister der Dialektik. Es geht um das ständige Widerspiel zwischen Nähe und Ferne, zwischen Zuhause und Fremde in seinem Text. So handelt dieser auch – und das ist ein weiteres großes Missverständnis von Handkes Kritikern – ohnehin nicht vom jugoslawischen Bürgerkrieg – sondern von uns.

Von uns hier im Westen. Von uns und unserer Weise, die Dinge wahrzunehmen, sie anzusehen und von ihnen zu berichten.

Der Kinobesuch ist eine Brücke dazu. Mäandernd und traumwandlerisch gleitet der Assoziationsstrom von den Besprechungen des serbischen Films "Underground" in den großen französischen Blättern, in denen Handke die damals verbreiteten anti-serbischen Ressentiments aufspürt, über zu der, wie ihm vorkommt, ebenso einseitigen Berichterstattung über die großen Ereignisse des jugoslawischen Bürgerkriegs, die von denselben Blättern gleichfalls betrieben wurde.

Es ist hier wichtig festzuhalten, dass Handke dabei zwar die Serben durchaus wütend verteidigt – dass aber dennoch nichts an seiner Kritik an den Medien einem serbischen Nationalismus das Wort redet oder gar einem serbischen Großreich, auch wenn das nun von den Handke-Kritikern noch so oft behauptet wird. Warum sollte das denn auch der Fall sein? Handke selbst ist slowenischstämmig.

Was Handke viel eher bewegte, und das wird im Übrigen noch deutlicher, wenn man den kleineren beigefügten Text "Abschied des Träumers vom Neunten Land" liest, das war vielmehr ganz im Gegenteil eine Art sentimentaler Trauer um den Vielvölkerstaat Jugoslawien mit seiner kulturellen und nationalen Vielfalt. Was ihn schmerzt, das ist, wie hier Völker aufeinander losgehen und gegeneinander aufgehetzt werden, die eigentlich Brüder sein sollten. 

Und Handke legt seine eigene Zerrissenheit offen, wenn er zuerst einbekennt, wie ein Teil von ihm von einem enormen Hass auf Radovan Karadžić gepackt wurde, als er die ersten Bilder von in Sarajewo getöteten Kindern zu Gesicht bekam, so dass er am liebsten gesehen hätte, wenn einer den bosnisch-serbischen Präsidenten umgebracht hätte; wenn er aber dann gleichzeitig doch nicht daran glauben will, dass sich alles so einfach in Gut und Böse, in Schwarz und Weiß teilen lässt, wie das die Weltöffentlichkeit gerne haben möchte.

... als Möglichkeit von Humanismus

Und dann macht Handke das, was in der Tat ein jeder echter Humanist tun sollte: Er fordert sich selbst und den Leser auf, sich einmal in die "andere Seite" hineinzuversetzen, in einen Angehörigen der in Kroatien und Bosnien ansässigen Serben, über deren Köpfe hinweg gewaltsam neue Staaten gegründet worden waren, die sie plötzlich zu Fremdem im eigenen Land gemacht hatten, ja zu Vertriebenen.

Vor allem aber ist es die stereotype Sprache und Bildsprache der westlichen Medien, die Handke beschäftigt. Er sind die "feind- und kriegsbildverknallten" Darstellungen westlicher Journalisten, "über die Jahre immer in dieselbe Wort- und Bildkerbe dreschend, von ihrem Auslandshochsitz aus", die ihn empören. Er wendet sich gegen eine Weltpresse, die sich daran gewöhnt hat, die Serben immer nur als "Horde Slivovica trinkender serbischer Nationalisten, bäuerlicher Illuminierter und Paranoiker" zu karikieren, als ein Volk von "Vergewaltigern, Schlächtern und uneuropäischen Barbaren".

Die Serben – ein Volk von Bösewichtern?

Jeder, der, wie ich, in den 90ern in Mitteleuropa lebte, schon alt genug und ein halbwegs aufmerksamer, wacher Kopf war und regelmäßig Medien konsumierte, wird an dieser Stelle übrigens mit dieser Wahrnehmung Handkes übereinstimmen. Damals herrschte – auch in der österreichischen Öffentlichkeit – eine seltsame anti-serbische Grundstimmung, die mehr oder weniger genau auf das hinauslief, was er hier beschreibt. Ähnlich muss es vor dem Ersten Weltkrieg zugegangen sein, als das "Serbien muss sterbien!" kursierte. Gewisse simple Narrative hatten sich einbetoniert, Komplexität wurde unterschlagen, die Serben wurden nur mehr als halbe Tiere dargestellt, und sie waren natürlich von Grund auf bösartig und an allem schuld.

Wenn jetzt die STANDARD-Korrespondentin Adelheid Wölfl gegen Handke empört ins Feld führt, dass er mit seiner Verteidigung der Serben "Ethnizismus" betrieben habe, weil es ja gar kein homogenes Volk der Serben gebe – dann übersieht sie daher, dass dieser Ethnizismus ja gerade zuallererst von ihren Journalistenkollegen in den 90ern betrieben wurde.

Freilich verweist sie darauf, dass es dabei ja nie um „die“ Serben gegangen sei, sondern nur um die „gewaltbereiten rechtsextremen Nationalisten“. Aber liegt darin nicht gerade das Problem, dass eben stets die Serben als „gewaltbereite rechtsextreme Nationalisten“ dargestellt wurden, die anderen Völkerschaften hingegen immer nur als Opfer? Entgegen aller Fakten übrigens, denn gerade die Nationalisten dieser anderen Völkerschaften waren es doch gewesen, die zuallererst rücksichtslos mit der Zerschlagung des sensiblen Vielvölkerstaatgefüges begonnen und damit den Bürgerkrieg vom Zaun gebrochen hatten.

Ähnlich wie Handke urteilten damals übrigens auch andere – von der Weltöffentlichkeit freilich ignorierte – Medienkritiker über die eingespielte Jugoslawienkriegsberichterstattung. Die Publizistin und Balkanexpertin Mira Beham etwa, die 1996 ein bemerkenswertes Buch mit dem Titel "Kriegstrommeln" verfasste.

Dass auch Serben Opfer waren, wurde von den westlichen Medien zwar nicht gänzlich übergangen, aber doch marginalisiert und nicht auf dieselbe Weise ins Bild gerückt. "Aber war es nicht … auffällig", notiert Handke zur Vertreibung der Serben aus der Krajina, "wie die bis dahin fast verschwindenden serbischen Leidtragenden in der Regel grundanders in Bild, Ton und Schrift kamen als die Hekatomben der anderen?"

Handkes bohrende Fragen ...

Und dann schreibt Handke einen Satz, der ganz besonders als Beweis dafür präsentiert wurde, dass er serbische Kriegsverbrechen leugnet: "Wer sagt mir, daß ich mich irre oder gar böswillig bin, wenn ich so zu der Aufnahme des lauthals weinenden Gesichts einer Frau, Close Up hinter den Gittern eines Gefangenenlagers, das gehorsame Befolgen der Anweisung des Photographen der Internationalen Presseagentur außerhalb des Lagerzaunes förmlich mitsehe, und selbst an der Art, wie die Frau sich an den Draht klammert, etwas von dem Bilderkaufmann ihr Vorgezeigtes?"

Handke "unterstellt … einer Frau in einem Lager, sich für eine Kamera in Szene geworfen zu haben", empört sich hier Wölfl.

Aber das kann man auch nur glauben, wenn man den Satz aus dem Zusammenhang reißt und seine explizit hypothetische Natur ignoriert. Handke spricht hier nämlich nicht von der Frau, und er unterstellt ihr auch nichts. Er spricht von ihrem Bild, das er in der Zeitung sieht, und davon, was es in seinem Bewusstseinsstrom auslöst. Seinen Gedanken, der ja auch als bloße Frage geäußert war, relativiert er gleich wieder und gibt seine eigene Verunsicherung zu: "Mag sein, ja, ich irre mich, der Parasit ist in meinem Auge …"

Auch aus dem restlichen Kontext der ganzen Passage wird klar, dass es nicht darum geht, einzelne Personen zu beschuldigen, dass sie sich verstellt hätten. Vielmehr äußert Handke hier sein Unbehagen darüber, dass wir in einer Welt der gemachten Bilder leben, die uns schon so verwirrt, dass wir eben gar nicht mehr klar unterscheiden können, was echt ist und was nicht.

Dann stellt er jedoch eine seiner bohrenden Fragen: " – doch weshalb habe ich solche gar sorgfältig kadrierten, ausgeklügelten und eben wie gestellten Aufnahmen noch keinmal – jedenfalls nicht hier, im 'Westen' - von einem serbischen Kriegsopfer zu Gesicht bekommen? Weshalb wurden solche Serben kaum je in Großaufnahmen gezeigt … ?"

... und seine Kritiker in der Echokammer

Und so könnte ich nun jede einzelne Stelle des Buches hernehmen, die von den Handke-Kritikern in den letzten Monaten als Beweis für seine Schlechtigkeit herangezogen wurde, und ihre Behauptungen widerlegen.

Aber damit hat man sich nicht begnügt. Auch abseits davon hat man rasch Dinge gefunden, die gegen ihn sprechen. Er habe beim Begräbnis von Milošević eine Rede gehalten, er habe Karadžić besucht, er habe seine Freundin misshandelt, und selbst ein unautorisiertes Interview hat man aus den Archiven herausgekramt, mit dem nun endlich angeblich doch belegt würde, dass er Kriegsverbrechen geleugnet habe.

Wie verzweifelt muss man aber ganz im Gegenteil sein, wie wenig muss man gegen Handke wirklich in der Hand haben, wenn man schon im privaten Verhalten Handkes und in seinen unautorisierten Interviews nach Beweisen gegen ihn suchen muss? Wozu braucht man das noch? Gesteht man damit nicht indirekt ein, dass die Stellen in der "Winterlichen Reise" in Wahrheit nur eine magere Ausbeute an Belegen für irgendwelche Kriegsverbrechersympathien Handkes liefern?

Jedenfalls hat man den Eindruck, dass hier nach dem Schneeballprinzip nun alles selbst aus den hintersten Winkeln hervorgezerrt wurde, was irgendwie nur dazu diente, Handke zu diskreditieren.

Als ob das nicht reichen würde, hat man sich auch mit vernichtenden Charakterstudien an ihm ausgetobt, man hat ihm "Uneinsichtigkeit" und "Starrköpfigkeit" vorgeworfen, es wurde gehöhnt, dass er sich in eine "Opferhaltung“ begebe, man hat ihn mit kriminalisierendem Vokabular umkränzt, indem man ihn beispielsweise als "Wiederholungstäter" bezeichnete – und man hat ihm urplötzlich auch seinen literarischen Rang abgesprochen.

Dabei hat man etwa in einem Bericht vom Herbst 2010 in der "FAZ" noch ganz genau gewusst, dass Handkes Besuch bei Karadžić im Jahr 1996 alles andere war als ein zahmer Höflichkeitsbesuch, sondern er ihm eine Liste vermisster Muslime übergeben und ihm "harte Fragen" gestellt hatte. Komischerweise weiß dieselbe "FAZ" in ihrem Artikel vom 12. Oktober 2019 nichts mehr davon und macht Handke eben diesen Besuch bei Karadžić plötzlich zum Vorwurf.

Ein Geschichtsrevisionismus ist notwendig

Man gewinnt den Eindruck, dass die Öffentlichkeit nun mit Handke genau das macht, was seiner Auffassung nach mit den Serben auch gemacht wurde. Es hat sich ein Narrativ eingespielt. Dem Zuwiderlaufendes wird allgemein ignoriert.

Zwei Welten prallen hier unversöhnlich aufeinander: einerseits ein Dichter, der von sich selbst sagt, er wohne im "Niemandsland" und der seit jeher unsere Wirklichkeiten aufbrechen, die Gewalttätigkeit der Sprachroutine entlarven und bekämpfen will, und auf der anderen Seite eine Öffentlichkeit, die ebenso traditionell gerade in dieser Sprachroutine lebt und an sie glaubt. Handkes Zwischenrufe werden hier bloß als Störung wahrgenommen, ja, als Gefährdung der allgemeinen Ordnung.

Ganz besonders wird von den Handke-Gegnern ein Geschichtsrevisionismus als Schreckgespenst an die Wand gemalt. Genau ein solcher Geschichtsrevisionismus wäre aber notwendig, und das zeigt eben die Handke-Debatte. Die Wut auf Handke stammt davon, dass in der Öffentlichkeit die problematische Jugoslawienkriegsberichterstattung der 90er-Jahre nie aufgearbeitet wurde.

Stattdessen wird sie jetzt mit Krallen und Zähnen verteidigt, mit einer Vehemenz, die verwundert. Schließlich ist das alles 20 bis 30 Jahre her. Wir glauben ja heute auch nicht mehr an die Kriegspropaganda des Ersten Weltkriegs – an die des Zweiten sowieso nicht. Man sollte meinen, dass auch beim jugoslawischen Bürgerkrieg die zeitliche Distanz allmählich groß genug sein könnte, um zur Selbstkritik und Aufarbeitung bereit zu sein, selbst wenn es schmerzhaft ist. Es liegt schon längst genügend Material dafür bereit, es bekommt nur noch nicht die breite Wirkung, die es bräuchte.

Erst im vergangenen Frühling habe ich in meinem Blog präsentiert, mit welchen von der Nato lancierten Un- und Halbwahrheiten, die allgemein unüberprüft übernommen wurden, der völkerrechtswidrige Angriff auf Serbien im Jahr 1999 gerechtfertigt wurde. Der Hufeisenplan, laut dem damaligen deutschem Verteidigungsminister Rudolf Scharping ein serbisches Konzept zur ethnischen Säuberung im Kosovo, hat nie existiert, ebenso wenig ein Konzentrationslager im Stadion von Pristina, der Hauptstadt des Kosovo.

Und nein, wenn man das ausspricht, ist man deswegen noch lange kein Diktatorenfreund.

Man sieht Handke als Bedrohung. Vielleicht könnte man ihn auch als Geschenk wahrnehmen und von ihm lernen. Und, ja, einige sollten sich bei ihm entschuldigen. (Ortwin Rosner, 9.12.2019)

Literaturhinweise

  • Peter Handke: Abschied des Träumers vom Neunten Land. Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien. Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise. (suhrkamp tb 2905)
  • Mira Beham: Kriegstrommeln. Medien, Krieg und Politik. (Deutscher Taschenbuch Verlag 1996)
  • Jörg Becker, Mira Beham: Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod. (Nomos Verlagsgesellschaft)

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