Einen Tag vor Weihnachten präsentierte die FPÖ ihren Historikerbericht. Generalsekretär Christian Hafenecker (li.) schrieb über die "Einzelfälle", der Historiker Thomas Grischany über die FPÖ im Nationalrat, und der Publizist Andreas Mölzer (re.) steuerte blaue Originaltext-Aussendungen zum Thema Antisemitismus bei.

Foto: Christian Fischer

Er hätte bereits vor über einen Jahr veröffentlicht werden sollen. Nun wurde der Historikerbericht zur Aufarbeitung der freiheitlichen Parteigeschichte einen Tag vor Weihnachten präsentiert. Die Arbeit ist 668 Seiten stark und umfasst 19 Beiträge.

Parteipolitischer Spin

Herzstück des Berichts ist der Text über die NS-Vergangenheit von FPÖ-Funktionären, daneben finden sich Beiträge, die man sich von einer Historikerkommission nicht erwarten würde – denn sie verfolgen einen klaren parteipolitischen Spin. Etwa ein Text über "den Umgang der FPÖ mit dem Islam", geschrieben von einer Verbündeten der rechtsextremen Identitären, oder ein Aufsatz über die "Einzelfälle" in den Reihen der Blauen. Dazu kommt eine Sammlung älterer Presseaussendungen der FPÖ zum Thema Israel und Antisemitismus.

Seit der Bericht im Internet veröffentlicht wurde, hagelt es Kritik. Vor allem auf Twitter wird er zerpflückt. Es findet sich in der Arbeit keine "selbstkritische Auseinandersetzung", sagt etwa die Historikerin Heidemarie Uhl von der Akademie der Wissenschaften. Auch wurde zeitgeschichtliche Forschung teilweise völlig negiert.

Ein "gemäßigter Nazi"

So wird Anton Reinthaller, der erste Parteiobmann der FPÖ, als "gemäßigter Nazi" beschrieben, den "keine hartnäckigen, von der Flüsterpropaganda des politischen Gegners genüsslich aufgegriffene Gerüchte über Fehlverhalten während des Krieges" verfolgten. Eine kritische Betrachtung sieht wohl anders aus, zumal Reinthaller direkt aus dem Zentrum des NS-Systems kam. Der Oberösterreicher war bereits vor dem sogenannten Anschluss bekennender Nationalsozialist, trat 1938 der SS bei, wurde Reichstagsabgeordneter und dann Unterstaatssekretär des Großdeutschen Reiches. Nach dem Krieg wurde Reinthaller wegen seiner Verstrickung in das NS-Regime zu drei Jahren Kerker verurteilt.

Laut der Salzburger Historikerin Margit Reiter, die mit Die Ehemaligen das Standardwerk über die Gründung der FPÖ verfasste, inspizierte der SS-Brigadeführer Reinthaller auch mindestens einmal das Konzentrationslager Mauthausen, in dem auch Leopold Figl (ÖVP), der spätere, erste Bundeskanzler der Zweiten Republik, von den Nazis gefangen gehalten wurde.

Viele Zitate, wenig Neues

Seltsam mutet an, dass im zentralen Kapitel ("Die NS-Vergangenheit der Funktionäre von VdU und FPÖ") hauptsächlich aus einem Text von Margit Reiter und Büchern FPÖ-naher Autoren wie dem Wiener Universitätsprofessor Lothar Höbelt zitiert wird. Dabei beklagt Reiter in ihrem eigenen Buch die schlechte Quellenlage, da ihr der Zugang zu Parteiarchiven von FPÖ und VdU verwehrt worden war – genau, um diese Quellen abzuschöpfen, war ja die Historikerkommission der FPÖ gegründet worden. Aber Quellen abseits von Reiter und FPÖ-nahen Autoren sind im Bericht vergleichsweise nur in Spurenelementen vorhanden.

Die FPÖ nutzt den Bericht auch, um sich klar zu positionieren. So hält sie mit ihrem Deutschnationalismus nicht hinterm Berg. Im Kapitel "Nationsbegriff und FPÖ" wird betont, dass "man auch ohne Bekenntnis zur "österreichischen Nation" ein "guter Österreicher" sein kann. Und es wird betont: Österreicher sind auch "gute Deutsche".

"Einzelfälle" sorgen für Aufsehen

Für Aufsehen sorgt der von FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker verfasste Aufsatz über die sogenannten rechtsextremen "Einzelfälle" in seiner Partei. Dieser sei eine "seltsame Rechtfertigungssuada", meinte etwa die SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz. Hafenecker erklärt darin, dass es kein "Einzelfall" sei, wenn sich jemand nicht mehr erinnern kann, warum er einen Beitrag eines Gasthauses auf Facebook likte, der "Hitlers Geburtstag feierte und ein Schnitzel für 8,88 Euro (Neonazi-Code für "Heil Hitler") anbot".

Unfreiwillig komisch ist hingegen die Erwähnung der Wiener Burschenschaft Olympia. Diese sei "nach eigener Bezeichnung eine Burschenschaft", heißt es. Es sei aber nicht offengelegt, "wer dort Mitglied ist". Diesbezüglich hätte FPÖ-Klubdirektor Norbert Nemeth vermutlich Auskunft geben können, der nicht nur Olympe ist, sondern auch einen Beitrag für den Bericht verfasst hat.

Vorsitzender Brauneder wusste nichts von Präsentation

Kritisiert wurde außerdem das Kapitel von Wilhelm Brauneder. Der Jurist und ehemalige FPÖ-Politiker ist auch Vorsitzender der Historikerkommission. Brauneders Beitrag wurde nicht eigens für den Historikerbericht verfasst, sondern wurde wortgleich aus einem Artikel des Jahres 2015 kopiert. Brauneder stellte das am Freitag in der ZiB 2 nicht in Abrede, meinte aber, dass alles, was 2015 gestimmt habe, auch 2019 noch wahr sei. Er selbst habe bei der Präsentation des Berichts nicht anwesend sein können, weil er darüber nicht rechtzeitig informiert worden sei. Brauneder will erst am Montagabend, also schon nach der Pressekonferenz, von dieser erfahren haben.

Mölzer spricht von "Hauruck-Aktion"

Dort anwesend war hingegen der FPÖ-Publizist Andreas Mölzer, der auch als Koordinator der Kommission fungierte. In einem Interview in der ZiB 2 gab Mölzer zu, dass es sich um eine "Hauruck-Aktion" gehandelt habe. Brauneder habe er telefonisch in der kurzen Vorbereitungszeit nicht erreichen können. Auf die inhaltliche Kritik, wonach der Bericht eine Auseinandersetzung mit den Burschenschaften vermissen lässt, reagierte Mölzer eher rätselhaft: Die Sichtung der Burschenschafter-Archive sei wegen der Datenschutzgrundverordnung nicht möglich gewesen, behauptete Mölzer – ohne allerdings konkret zu werden, wieso das Gesetz einer historischen Aufarbeitung gegenüberstehe.

ORF

Mölzer nahm auch zur Kontroverse rund um eine antisemitische Karikatur Stellung, die der damalige Parteichef Heinz-Christian Strache 2012 auf Facebook veröffentlicht hatte. Hafenecker schrieb im Bericht ohne weitere Begründung, dass diese Karikatur "nicht antisemitisch" gewesen sei – eine Behauptung, der nicht nur jüdische Organisationen vehement widersprechen. Mölzer argumentierte, dass Hafeneckers Ausführungen schlicht der Einschätzung der FPÖ entsprächen. Man wolle sich die Beurteilung der Karikatur nicht von "gegnerischen Medien" vorschreiben lassen, meinte Mölzer.

Brisanter Aspekt ausgespart

Der Wiener Historiker Thomas Riegler wundert sich im Gespräch mit dem STANDARD, dass die FPÖ einen "brisanten Aspekt ihrer Gründungsgeschichte fast ganz ausgespart hat". Ohne Einverständnis der US-Besatzungsmacht hätte es nämlich den FPÖ-Vorläufer VdU (Verband der Unabhängigen) nicht gegeben. Die Amerikaner wollten so das "antikommunistische Potenzial" stärken. Dafür kam es auch zur Zusammenarbeit von VdU und FPÖ-Funktionären mit US-Geheimdiensten. (Markus Sulzbacher, Fabian Schmid, red, 28.12.2019)