Im Gastkommentar widmet sich Kulturwissenschafter Christoph Landerer der veränderten Rolle der Grünen und der neuen Koalitionslogik

Holpriges Motto, aber große Chance: Die am Dienstag angelobte Koalition könnte helfen, die Lagermentalität in Österreich zu überwinden.
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Eine Koalition ist eine Koalition ist eine Koalition. Dass der kleine Partner in einer kleinen Koalition immer sehr viel weniger durchsetzen wird als erhofft, liegt in der Natur politischer Aushandlungsprozesse – umso mehr erstaunt die Heftigkeit so mancher Kritik. Mit Blick auf Ressorts und Kompetenzen liegt das Kabinett Kurz/Kogler recht genau auf der erwartbaren Linie, die sich aus den jeweiligen Stärkeverhältnissen ergibt. Das Finanzministerium ist für eine 14-Prozent-Partei unerreichbar, selbst ein Staatssekretär nicht immer leicht zu installieren – die SPÖ verzichtete auf diesen Konterpart zu einem schwarzen Finanzminister auch in manchen großen Koalitionen.

Natürlich ist auch das Verhandlungsergebnis der 27- beziehungsweise 26-Prozent-Partei FPÖ in den Kabinetten Schüssel I und Kurz außer Reichweite. Im Vergleich mit der Zehn-Prozent-FPÖ nach dem Absturz der Partei 2002 und dem darauffolgenden Kabinett Schüssel II schlagen sich die Grünen ganz gut: Sie besetzen mit Verkehr, Soziales und Justiz dieselben Ressorts, konnten aber das Amt des Vizekanzlers mit zusätzlichen Agenden ausstatten und das Verkehrsministerium zu einem sogenannten "Superministerium" ausbauen. Dass Werner Kogler persönlich sich für die "Verzwergung" (siehe Gastkommentar von Stefan Brocza) entschied und selbst kein größeres Ressort übernahm, ist nicht ungewöhnlich – zwei der letzten drei kleinen Koalitionen folgten diesem Muster, und Kogler wird als Koordinator des grünen Regierungsteams in einer ungewöhnlichen Partnerschaft die Arbeit sicherlich nicht ausgehen.

Produktives Ausloten ...

Ein Teil der Kritik ist freilich dem unorthodoxen Design dieser Regierung geschuldet. Es folgt nicht der Logik des kleinsten gemeinsamen Nenners mit der damit verbundenen Veto- und Blockadementalität, sondern versucht sich an der praktischen Umsetzung des größten gemeinsamen Vielfachen. Der Preis für diesen erweiterten Gestaltungsspielraum ist das Mittragen der jeweiligen "Grauslichkeiten" des anderen – aber der Ansatz erzwingt auch ein produktives Ausloten möglicher Horizonterweiterungen, die die Regierungsarbeit bereichern können. Das gilt insbesondere für das etwas holprige und plakative Motto "Klima und Grenzen schützen", das den äußeren Rahmen des Regierungsprogramms abstecken soll.

Eine ehrgeizige Klimaschutzstrategie trifft sich üblicherweise nicht mit den Grundsätzen konservativer, wirtschaftsfreundlicher Politik, aber der österreichische Beitrag ist in einem globalen Rahmen unerheblich. Das einzige sinnvolle Ziel ist hier der Anschluss an die Gruppe der engagierteren Länder und die damit verbundene Vorbildwirkung. Funktionieren wird das nur in Kombination mit einer grundsätzlich wirtschaftsfreundlichen Politik, und dafür ist die ÖVP nicht zwingend der falsche Partner.

Nicht sehr viel anders liegen die Dinge im Bereich Asyl und Migration, wo starre ideologische Fronten seit Jahren die Debatte blockieren. Die klassischen Einwanderungsländer kombinieren in der Regel eine strikte Haltung gegenüber ungeplanter illegaler Migration mit einer humanitären Orientierung bei Hilfsleistungen und einer Unterstützung geordneter Resettlement-Programme. Beide Komponenten bilden sich in den jeweiligen Programmen der Regierungsparteien ab, aber sie werden nicht systematisch miteinander verknüpft. Hier werden die Grünen die allgemeine restriktive Linie der Volkspartei akzeptieren müssen, während Sebastian Kurz wohl die zwar angekündigte, aber nie umgesetzte großzügigere Dotierung der "Hilfe vor Ort" budgetieren wird. Österreichs 1,9 Millionen US-Dollar für das World Food Programme der Uno etwa nehmen sich äußerst bescheiden aus, verglichen mit den Beiträgen von Dänemark (56 Millionen), den Niederlanden (72 Millionen), der Schweiz (80 Millionen) oder gar dem Europameister Deutschland (849 Millionen, jeweils 2018).

... von Positionen und Profil

Die Gegensätzlichkeit der beiden Parteien wird auch zu einer anderen Binnenstruktur der Regierung führen. Da diese künftig wohl weniger als einheitlicher ideologischer Block wahrgenommen wird, wird sich der von Wolfgang Schüssel wie auch von Kurz genutzte Mechanismus einer Wählerwanderung innerhalb des Regierungslagers im Neuwahlfall nicht mehr so leicht aktivieren lassen. Dass zugleich auch die politische Konkurrenz in der Krise steckt und weniger leicht Wähler abwerben kann, wirkt zusätzlich stabilisierend.

Für die Grünen ist die Regierungsbeteiligung vor allem auch eine Chance, ihr häufig etwas diffuses Profil nachzuschärfen und unter dem Druck pragmatischer Regierungsarbeit einen inhaltlichen Reifungsprozess nachzuholen, der von einer entwickelten Debattenkultur und einem Abbau liebgewonnener Klischees und Phraseologien begleitet werden muss. Dass die eigenen Parteitraditionen auch eine konservative Wurzel haben, könnte dabei helfen. Kogler hat bereits hellsichtig die Rolle skizziert, die die Grünen bei einer Überwindung der in Österreich noch immer überstark ausgeprägten Lagermentalität spielen könnten.

Gewinnt die Partei an Breite, dann könnten sich die Grünen dauerhaft zu einer in beide Richtungen offenen Koalitionsoption entwickeln und damit das Land von der lähmenden Alternative große Koalition oder Einbindung der FPÖ befreien – analog etwa zur FDP, die in Deutschland jahrzehntelang funktionierenden politischen Wechsel ermöglicht hat, zu einer Zeit, als das österreichische politische System erstarrte. Wenn wir uns damit dann auch die Diskussionen über den Umbau des Wahlsystems ersparen, ist das ein zwar geringer, aber durchaus willkommener Nebeneffekt. (Christoph Landerer, 8.1.2020)