In Teilen Chinas herrscht der absolute Ausnahmezustand. Das erste Quartal ist bereits verloren.

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Eine Woche Stillstand macht sich deutlich bemerkbar. 440 Millionen Zugtickets, 80 Millionen Flugtickets – auch ohne das Coronavirus wirkt sich das chinesische Neujahrsfest massiv auf die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt aus. Für mindestens eine Woche sind die meisten Fabriken des Landes geschlossen, schlicht weil alle Arbeiter verreist sind. Die Woche um das chinesische Neujahr ähnelt der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr im Westen – wenn man sich Ostern noch dazudenkt. Dieses Jahr allerdings wird die wirtschaftliche Delle, die das Frühlingsfest ohnehin jedes Jahr verursacht, weitaus heftiger ausfallen.

Schon jetzt hinterlässt das Corona-Virus erste Spuren im Wirtschaftsgeschehen. Eine ganze Provinz mit rund 40 Millionen Einwohnern ist von der Außenwelt abgeschnitten. Der Schulbeginn wurde in vielen Teilen des Landes um zwei Wochen verschoben, die Börseneröffnung vorerst ausgesetzt, Peking hat die Ferienwoche quasi um zwei weitere verlängert.

Geschlossene Pforten

Die Stadt Schanghai hat angekündigt, Fabriken eine weitere Woche geschlossen zu halten. Austrian Airlines streicht bis 9. Februar alle Flüge nach China, ebenso ihre Mutter Lufthansa und die Swiss. Die amerikanische Caféhauskette Starbucks hat die Hälfte ihrer Filialen geschlossen, der japanische Autohersteller Toyota die Produktion gestoppt; BMW tat es ihm gleich und hat drei seiner Werke mit 18.000 Beschäftigten in der Millionenstadt Shenyang geschlossen, vorerst bis 9. Februar. Nur die Büroangestellten arbeiteten ab Montag wieder, allerdings von zuhause aus.

Die schwedische Möbelkette Ikea zog ebenfalls die Notbremse: Alle 30 Einrichtungshäuser im Land werden vorübergehend geschlossen, jene in Wuhan sind dies seit einer Woche. Der Verkauf von Kinokarten ist inzwischen völlig zusammengebrochen.

Der Hangseng, der Index der Hongkonger Börse, eröffnete nach drei Tagen Handelspause am Mittwoch mit 2,5 Prozent im Minus. Zahlreiche Sportevents werden verschoben, darunter die chinesischen nationalen Winterspiele. Auch der alpine Skiweltcup der Herren wurde abgesagt. Am 15. und 16. Februar hätten auf den Olympiastrecken von 2022 in Yanqing Abfahrt und Super-G stattfinden sollen.

Dies sind alles nur Momentaufnahmen. Zu quantifizieren ist der wirtschaftliche Schaden nur schwer. Einziger Anhaltspunkt ist bisher die Sars-Pandemie aus dem Jahr 2003. Damals erkrankten rund 4000 Menschen, 800 starben. Der Tourismus brach ein. Die Umsätze im Einzelhandel gingen um die Hälfte zurück. Rund ein Prozent Wachstum kostete das damals die Volksrepublik. Andere Schätzungen gehen gar von drei Prozent aus.

Peking will gegensteuern

Doch Chinas Wirtschaftsleistung betrug damals kaum mehr als ein Fünftel der heutigen. Die globalen Lieferketten sind heute um ein Vielfaches verflochtener als damals. China war damals die Werkbank der Welt. Heute ist es der größte Markt. Internationale Automobilhersteller zum Beispiel setzen dort mehr Produkte ab als in jedem anderen Land. 2003 reisten gerade einmal 20 Millionen Chinesen ins Ausland, heute sind es rund achtmal so viele. Und schon heute haben sich mehr Menschen mit dem Coronavirus infiziert als damals. Die Frage ist jetzt: Wie rasant breitet es sich weiter aus?

Natürlich wird Peking alles versuchen, um gegenzusteuern. Am Dienstag gab die Zentralbank bekannt, zusätzlich Liquidität in Form günstiger Kredite für Unternehmen bereitzustellen. Möglich, dass Peking zu anderen Maßnahmen greift. Doch als sicher gilt schon jetzt: Das erste Quartal 2020 ist ein verlorenes.

Wachstum verlangsamt

Chinas Wachstum hatte sich zuletzt deutlich verlangsamt. Sechs Prozent wuchs das Bruttosozialprodukt im vergangenen Jahr. Das ist weit entfernt von den zweistelligen Boom-Raten des vergangenen Jahrzehnts. Aber es geschieht nach Plan. Anstatt Billigwachstum, getrieben durch gewaltige Infrastrukturprojekte, setzt man mittlerweile mehr auf den Konsum im eigenen Land. So wollen die kontrollfixierten Kader in Peking eine "Soft Landing" der Wirtschaft steuern. Selbst der Handelskonflikt mit den USA ließ sich so bisher managen. Erst vor kurzem wurde der erste Teil eines Handelsabkommens unterzeichnet. Ein Virus aber ist ein "Schwarzer Schwan", ein unvorhersehbares Ereignis. Nicht auszuschließen, dass nun eine harte Landung bevorsteht. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 30.1.2020)