Wer Sport treibt, trainiert das körpereigene Abwehrsystem, vermuten Forscher.

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Stress ist nicht per se schlecht. Im Gegenteil, es gibt auch eine gesunde Form, Eustress genannt. Doch wie wirken unterschiedliche Arten von Stress auf den Körper, und warum wird Stress manchmal positiv und manchmal negativ empfunden? Diese Fragen stellten sich Dirk Moser und Robert Kumsta vom Institut für Genetische Psychologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB).

Konkret untersuchten die beiden Wissenschafter 20 Sportstudenten, die bis zur Belastungsgrenze auf einem Laufband trainieren mussten. "Wir haben Teilnehmer ausgewählt, die regelmäßig Sport machen und bereits einem Gesundheitscheck unterzogen worden waren", erklärt Dirk Moser. Zusätzlich absolvierten die Probanden den sogenannten Trier Social Stress Test, bei dem vor einem nüchtern agierenden Gremium und vor laufender Kamera ein fiktives Jobinterview gemacht wird. Der Test ist in der Forschung etabliert und löst nachweislich Stress bei den Teilnehmern aus.

Das Ergebnis: Zu verschiedenen Messzeitpunkten vor und nach der körperlichen oder psychosozialen Belastung füllten die Teilnehmer Fragebögen zum emotionalen Wohlbefinden aus. Gleichzeitig bestimmten die Forscher die Menge verschiedener Biomarker im Blut, etwa der Stresshormone Cortisol und Noradrenalin.

Obwohl die Probanden bis zur äußersten Belastungsgrenze gelaufen waren, gaben sie anschließend an, sich gut und gestärkt zu fühlen, auch wenn sie erschöpft waren. Nach dem fiktiven Bewerbungsgespräch fühlten sie sich hingegen unwohl. "Ich hätte vorab gewettet, dass die körperliche Ausbelastung wesentlich höhere Stresshormonlevel produziert als ein fiktives Jobinterview", sagt Moser. "Aber die Werte gingen in beiden Situationen durch die Decke." Obwohl alle Probanden wussten, dass es kein echtes Bewerbungsgespräch war, sorgte die soziale Bewertungssituation für Stressgefühle. "Es hat mich schon überrascht, dass das Gehirn ähnliche Kraftressourcen beanspruchen kann wie eine körperliche Ausbelastung, die so stark ist, dass man sie vermutlich nicht mehrmals am Tag erleben möchte", ergänzt Moser.

Zusätzlicher Stress-Kommunikationsmechanismus

Die Cortisol- und Noradrenalinwerte unterschieden sich den Forschern zufolge nicht zwischen beiden Situationen, trotzdem nahmen die Probanden die körperliche und psychosoziale Drucksituation sehr unterschiedlich wahr. Also suchten die Wissenschafter nach einem anderen Biomarker, auf den die unterschiedlichen Reaktionen zurückzuführen sind.

Unter bestimmten Bedingungen findet sich DNA nicht im Zellkern, sondern frei in der Blutbahn. Die Forscher konnten beobachten, dass das auch unter Stress der Fall ist. Es zeigte sich außerdem, dass die zellfreie DNA, die bei körperlichem und psychosozialem Stress im Blut zirkuliert, aus unterschiedlichen Zelltypen stammte, denn sie besaß ein unterschiedliches Methylierungsmuster – also abweichende Muster bestimmter chemischer Gruppen, die Enzyme an die DNA anhängen, um den Ableseprozess zu regulieren.

Demnach hatte die zellfreie DNA, die unter psychosozialer Belastung im Blut zirkuliert, ein anderes Methylierungsmuster als jene zellfreie DNA, die bei körperlichem Stress abgesondert wurde. "Das bedeutet, dass die DNA aus unterschiedlichen Zelltypen stammt. Wir können aber nicht sagen, aus welchen – das erfordert weitere Studien", betont Kumsta.

Training für das Immunsystem

Aus den Studienergebnissen leiten die Wissenschafter die Hypothese ab, dass die zellfreie DNA eine Kommunikationsschleife zwischen Immunsystem, Muskeln und Gehirn bildet. Die Theorie dahinter: Unter körperlicher Belastung könnten die Muskelzellen zellfreie DNA abgeben, um mit dem Immunsystem zu interagieren. Auch krankmachende Bakterien geben DNA ab, wenn sie in den menschlichen Körper gelangen, und das Immunsystem reagiert darauf.

"Die körpereigene zellfreie DNA könnte ein Training für die Immunzellen sein", vermutet Moser. "Sie werden sozusagen scharfgeschaltet, sobald sie DNA im System bemerken." Das könnte auch erklären, warum sich Sport förderlich auf das Immunsystem auswirkt. Zellfreie DNA aus Gehirnzellen hingegen könnte eine gegensätzliche Wirkung auf das Immunsystem haben und psychosozialer Stress langfristig Krankheiten fördern. (red, 8.3.2020)