Familie Kreutzer wird in einem Pilotprojekt der Volkshilfe finanziell unterstützt. Seither können sich die Kinder auch wieder etwas zu Weihnachten wünschen.

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21 Jahre lang war Andreas Kreutzer* bei der Eisenbahn. Bis zu 60 Stunden pro Woche verbrachte der Schweißer auf Gleisen und auf Bahnhofsbaustellen. "Es war wie eine Familie. Man ist ja auch fast die ganze Woche zusammen", sagt der 48-Jährige heute. In seiner Stimme klingt Wehmut durch, aber keine Verbitterung. Zwei Jahrzehnte lang war er als Bahnbaufacharbeiter bei jedem Umbau zwischen Mürzzuschlag bis Wien-Meidling dabei.

Bis er lange im Krankenstand war. Nach seiner Genesung dachte er zwar anfangs, dass er so weitermachen könne wie davor, aber sein Körper streikte. Auf ärztliche Anweisung musste er schließlich seinen Beruf aufgeben.

Tiefe Einschnitte

Kreutzer sitzt an einem großen Tisch, vor ihm steht eine Mineralwasserflasche. Hinter ihm geht es durch eine Schiebetür in den kleinen Garten der Doppelhaushälfte, die in einem kleinen Ort in Niederösterreich steht. Er redet eigentlich gern und viel, auch über schwierige Themen. Ob er dachte, ihm würde so etwas einmal passieren? "Nein, ich war doch unbezwingbar", sagt Kreutzer. Und schweigt.

Dann wurde das Geld knapper. Bis zu 2.800 Euro netto hatte Kreutzer vor seiner Krankheit verdient, inklusive Gefahrenzulagen und Wochenenddiensten. Dementsprechend hoch war das Arbeitslosengeld zu Beginn, hinzu kam noch das Geld aus der Teilzeitbeschäftigung von Kreutzers damaliger Frau. Fünf Kinder hatten die Eltern zu versorgen. Das ging sich noch irgendwie aus.

Doch dann kam die Scheidung, später die Notstandshilfe, und das Geld wurde knapp. Kreutzers Ex-Frau zog aus dem Haus aus und in eine eigene Wohnung. Ein neuer Abschnitt begann. Einer, mit dem der fünffache Papa nie gerechnet hatte: "Man stellt sich bestimmte Wege in seinem Leben vor. Der gehörte nicht dazu", sagt er. Die Kinder, heute zwischen fünf und 20 Jahre alt, leben größtenteils beim Papa. An Alimente war nicht immer zu denken. Seine Ex-Frau habe selbst kaum etwas gehabt, meint Kreutzer.

Der Alltag war plötzlich von Verzicht geprägt. Aber man lerne schnell, sagt der 48-Jährige: Fertiggerichte für die ganze Familie? Bergbauernheumilch statt Clever? "Am Ende des Monats fehlt dir dann das Geld. Wenn du arm bist, machst du keinen Fehler zweimal." Vor den Kindern versuchte er, die Probleme so gut als möglich zu verstecken. "Aber die kriegen mehr mit, als man glaubt."

Er habe genau gemerkt, dass seine Kinder manche Dinge gerne hätten – ein Handy zum Beispiel. "Aber wenn ich herumgedruckst habe, dann haben sie schon gewusst: Na, wir bringen den Papa jetzt nicht in Verlegenheit." Dann standen manchmal die Kinder selbst auf der Bremse: "Papa, das können wir jetzt nicht kaufen. Ich hab’ dich trotzdem lieb." Oder wenn Schulausflüge anstanden, hieß es: "Ich will da eh gar nicht mitfahren." So geht es mehr Familien als gemeinhin angenommen. Jedes fünfte Kind in Österreich ist armutsgefährdet.

Schuhe auftragen

Heute geht sich bei Familie Kreutzer alles besser aus. Seit einem Jahr bekommt die Familie für die drei minderjährigen Kinder jeweils 280 Euro, noch für ein weiteres Jahr wird die Zahlung fortgeführt. Sie ist eine von neun Familien österreichweit, die von der Volkshilfe mit einer Kindergrundsicherung unterstützt werden. Es ist ein Pilotprojekt, das sozialwissenschaftlich begleitet wird. Dabei soll untersucht werden, wie sich die finanzielle Unterstützung, die einkommensabhängig berechnet wird, auf die Lebenswelt der Kinder auswirkt. Die Ausgaben für die Kinder werden dabei genau dokumentiert.

Bevor die Kindergrundsicherung die Familienkassa aufbesserte, hat Kreutzer versucht, bei sich selbst zu sparen. Statt neuer Winterschuhe trug er zum Beispiel die Bundesheerschuhe des Sohnes. Der Kontakt zu Freunden verringerte sich, er fand Ausreden, um kein Geld ausgeben zu müssen. "Einmal lässt man sich einladen, aber nicht dreimal." Aber auch die Kinder mussten unweigerlich kürzertreten. Umso schöner sei der Moment gewesen, als er die langersehnten Handys kaufen konnte: "Da hab' ich mich mehr gefreut als sie."

"Da bin ich anderer Meinung", sagt der 14-jährige Sebastian*, dessen Freude immer noch groß ist. "Aber ich hab' genau gesehen, wie es dem Papa besser gegangen ist." Lustig sei die Zeit nicht gewesen: "Manchmal krieg' ich Flashbacks", sagt er: "Wenn ich am Ende des Monats in die Küche gegangen bin, hab' ich gehofft, dass noch Brot da ist."

Auf Jobsuche

Kreutzer versucht einen neuen Job zu finden. Jetzt, da die Jüngste kein Wickelkind mehr sei, gehe das hoffentlich auch einfacher. Schwierig bleibe es trotzdem: Er sei Profi in seinem Job gewesen, aber seine Tätigkeit monoton. Was er damals gelernt habe, entspreche etwa der Aktualität von einem iPhone der ersten Generation.

Inklusive Notstandshilfe, Beihilfen, Alimenten und der Unterstützung der Volkshilfe habe er jetzt 2.300 Euro im Monat zur Verfügung, sagt Kreutzer. Damit komme er gut zurecht, da könne die Familie hie und da auch einmal über die Stränge schlagen, ohne dass am Ende des Monats das Essen knapp wird. Was die Familie darunter versteht? "Wenn wir uns am Sonntag einmal einen Kebab holen."

Der Familie gehe es jetzt besser, auch "im menschlichen Sinne", sagt Sebastian. Gemeinsam mit einer Sozialarbeiterin hat die Familie vor einigen Monaten Wünsche an die Zukunft formuliert und auf einem Plakat festgehalten. Zu Weihnachten hat Sebastian eine Kletterausrüstung bekommen. Heute wird er mit einem Freund noch eine Runde gehen. (Vanessa Gaigg, 13.3.2020)