Das wiedereröffnete Künstlerhaus will sich für die junge Generation, die Stadt und Diskurse öffnen.

Foto: Florian Aschka

Der deutsche Künstler Thomas Baldischwyler spielt in einer Installation mit Werken von Karl Hofer, Gustav Klimt, Martin Kippenberger oder Elke Krystufek mit der Ikonografie der Wiener Kulturgeschigte der vergangenen 150 Jahre und spinnt daraus eine Erzählung, die sich nur Eingeweihten erschließt.

Foto: Michael Nagl

Bei der polnisch-französischen Künstlerin Agata Ingarden (26) tropft von einer Deckenskulptur schwarze Farbe auf einen schreiend gelben Teppichboden und ebensolche Sessel. Man kann einige Zeit damit verbringen, zu schauen und zu lauschen, ob die Farbe tatsächlich frisch ist. Dann hört man es plötzlich tropfen, plopp.

Foto: Michael Nagl

Das frisch und ohne Kosten zu scheuen restaurierte Stiegenhaus – so sah das Künstlerhaus in seiner Frühzeit oder überhaupt nur auf Originalplänen des Architekten August Weber aus.

Foto: Ana Skobe

Dass Kunst von "Kunst ma a Geld leihen" kommt, ist ein böser Spruch, hat aber auch im Fall der Wiener Künstlervereinigung einen wahren Kern. Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte (siehe Chronologie unten) verdankt sie ihren Sitz am Karlsplatz einer Wohltat. Es fiel vor fünf Jahren dem Bauindustriellen Hans Peter Haselsteiner zu, das in seinen Worten zur "Ratzenburg" heruntergekommene Baujuwel mit seinem Einstieg zu neuem Leben zu erwecken. In erster Linie aber, weil er dort seine Sammlung Essl in einer Zweitfiliale der Albertina zeigen wollte.

Dass man es im heute wiedereröffnenden Künstlerhaus mit zwei ungleichen Nachbarn zu tun hat, wird schon beim Näherkommen augenfällig. Die Albertina modern hat nicht nur zwei Pylonen vor dem Haupteingang aufgestellt, über diesem prangt auch groß ihr Name. Den des Künstlerhauses muss man schon genauer suchen. Ist man erst einmal drin, lockt die Prachttreppe zur Künstlervereinigung im ersten Stock aber viel mehr, als dass man daran vorbeischliefen wollte, um zum Quartier der Albertina zu gelangen. Ausgleichende Gerechtigkeit?

Lange wurden sich die neuen Mitbewohner über die WG-Regeln wie Kombitickets nicht einig. Größte Gemeinsamkeit ist auch programmatisch die Abgrenzung. Statt arrivierter Positionen will die Künstlervereinigung aktuelles Schaffen zeigen, statt Repräsentation "Präsenz". Gezeigte Arbeiten sollen auch vor Ort entstehen, nah an der Produktion sein und im Kontext der Stadt und deren polithistorischer Umgebung stehen.

Lehm vom U-Bahn-Bau

Was damit gemeint sein kann, lässt sich in der Eröffnungsausstellung Alles war klar am Beispiel von Cäcilia Browns Beitrag sehen: Sie hat aus Baustellen für die neue Wiener U-Bahn-Linie Lehm gegraben und daraus Tontafeln gebrannt, die nun von einem verzogenen Stahlgerüst gehalten werden. Wie groß die Arbeit werden und ob sie stehen oder liegen würde, sei bis vor wenigen Tagen nicht klar gewesen, sagt Brown. Die Risikobereitschaft des Künstlerhauses, sich darauf einzulassen, findet sie bemerkenswert.

Sie hat das Tim Voss zu verdanken. Als Voss im Februar 2018 allererster künstlerischer Leiter des Künstlerhauses wurde, sollte er die Vereinigung aus dem Sumpf der Selbstverwaltung holen. Fragen à la "Wer darf mit wem?" folgend, hatten die Mitglieder sich nur mehr selbst ausgestellt. Voss kippte diese Befindlichkeiten zugunsten inhaltlicher Kriterien.

Von den 48 in Alles war klar gezeigten Künstlern sind deshalb nur 25 auch Mitglieder der Künstlervereinigung – auf einer Art Karussell zieht das Gros ihrer Werke in einem Raum komprimiert an den Besucheraugen vorbei. Mehr Platz bekommen Künstler wie Brown, Anna Artaker oder Toni Schmale, die mit der Vereinigung nichts am Hut haben. Andere Künstler kommen aus Schweden, Deutschland oder Amsterdam.

Späßchen mit der Secession

Zu sehen gibt es also keine Ausstellung, die vorführt, was in Wien derzeit an Kunstschaffen so los ist. Nichtsdestotrotz setzen sich auch die internationalen Gäste mit der Stadt oder dem Ort Künstlerhaus auseinander. Max Schaffer verstreut, auf die Abspaltung der Secession von der Künstlervereinigung anspielend, Lüftungsrohre aus deren Hinterhof. Solche Anekdoten geben der Schau Charme.

Ob es ein schwer zu schluckender Brocken für die 439 Mitglieder war, im eigenen Haus ins Eck verdrängt zu werden? Das sei nicht unumstritten gewesen, so Voss. "Aber alle wissen, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher."

Ob dieses offene Konzept auch nach Voss’ vorzeitigem Abgang aufgrund der schwierigen Lage Bestand hat, wird sich zeigen. Künstlerhaus-Präsidentin Tanja Prušnik betont zwar ebenso die Notwendigkeit, in aktuellen Diskursen mitzuspielen und den überalterten Verein zu diversifizieren. Wie die Strukturen nach Voss genau sein sollen, ist aber unklar. Problematisch ist weiterhin auch die Finanzlage. Förderzusagen seien unsicher oder niedrig. Der prominentere Nachbar könnte aber für mehr Publikum sorgen.

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Chronologie des Künstlerhauses

1868 eröffnet das Künstlerhaus der erst kurz zuvor neu formierten Wiener Künstlervereinigung am Wiener Karlsplatz.

1897 verlassen aufstrebende Künstler wie Gustav Klimt die Vereinigung, um die Secession zu gründen.

1911 werden nach Umbauten erste Pläne gewälzt, den Bau zugunsten von Ein nahmen für die notorisch finanzschwache Künstlervereinigung in Zinshäuser umzubauen. Umbau- und Abrisspläne werden zum ständigen Begleiter.

1949 trennt man zwecks Einnahmen einen Flügel ab, um dort ein Kino einzurichten, 1974 zieht in den anderen ein Theater ein. Was nach dem Brut-Auszug aus dem rechten Flügel wird, ist noch offen.

1983 wird der Bau trotz Desinteresse unter Denkmalschutz gestellt. Die Künstlervereinigung verdient in den folgenden Jahrzehnten durch Vermietung an Festwochen oder KHM.

2000 subventionieren Stadt und Bund erstmals mit insgesamt 600.000 Euro – zu wenig zum Leben, weshalb das Künstlerhaus für lange Jahre hinter Werbeplanen verschwindet.

2015 steigt Hans Peter Haselsteiner unter Protest vieler Mitglieder ein, übernimmt 74 Prozent an der neu gegründeten Künstlerhaus Besitz- und Betriebs GmbH und saniert den Bau bis 2020 um 57 Millionen Euro. Die Albertina bespielt ab nun 2500 Quadratmeter im Erdgeschoß, die Künstlervereinigung 900 Quadratmeter im ersten Stock und hält an der GmbH 26 Prozent Sperrminorität.

(Michael Wurmitzer, 6.3.2020)