Eine Überraschung war das Urteil nicht, die Sache lag recht klar auf der Hand: Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union hatten sich 2015 per Mehrheitsbeschluss für die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen ausgesprochen, um Griechenland und Italien zu entlasten, deren Asylkapazitäten an ihre Grenzen gestoßen waren. Die Entscheidung fiel rechtmäßig. Und sie fiel im Sinne der gelebten Solidarität – sowohl mit den Schutzsuchenden als auch mit den eigenen Partnern innerhalb der EU.

Ungarn, Polen und Tschechien jedoch weigerten sich, den Beschluss umzusetzen. Dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) darin nun einen Rechtsbruch erkannte, ist nichts anderes als die erwartbare juristische Klarstellung zu einer – auch für die Ohren der heimischen Bevölkerungen – geräuschvoll und offensiv vorgetragenen Position, die da lautete: Wir nehmen keine Flüchtlinge auf, selbst wenn ihr euch auf den Kopf stellt.

Europaeischer Gerichtshof EuGH
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Beim emotionalen Thema Migration wird die Debatte auch nach dem Urteil nicht verstummen. Und das, obwohl für die drei Länder – voraussichtlich nach Zahlung einer Geldstrafe – die Sache vom Tisch sein dürfte: Mittlerweile nämlich ist die Quotenidee tot. Auch andere Staaten, darunter Österreich, halten sie nicht mehr für praktikabel.

Nun sind kühle Köpfe gefragt. Forderungen nach Sanktionen gegen osteuropäische Staaten, wie sie derzeit auch wegen der Sondervollmachten für Ungarns Premier Viktor Orbán laut werden, müssen auch selbst auf dem Boden des europäischen Rechts bleiben. Rufe wie "Sofort Geldhahn zudrehen" oder "Raus aus der EU" gehören da nicht dazu. Gleiches gilt für die Gegenseite: Tschechiens Premier Andrej Babiš sagte am Donnerstag, das Urteil sei nicht wichtig, entscheidend sei nur, "dass wir keine Migranten aufnehmen werden". Wer auf die Missachtung des Rechts auch noch die des Höchstgerichts folgen lässt, spielt mit dem Feuer. (Gerald Schubert, 2.4.2020)