Titanichthys-Panzerfische bei der Nahrungsaufnahme.
Illustr.: Mark Witton

Die Panzerfischgattung Titanichthys trägt ihren Namen, der wörtlich übersetzt "Riesenfisch" bedeutet, völlig zu Recht: Viele Angehörige dieser Gruppe, die vor rund 380 Millionen Jahren in flachen Meeren des Devon zu Hause waren, erreichten Längen von bis zu sieben Metern. Damit zogen sie mit dem gigantischen Dunkleosteus gleich, einer fleischfressenden Gattung von Panzerfischen, deren einzelne Arten bis zu zehn Meter Länge erreichten.

Im Unterschied zum Dunkleosteus verfolgte der Titanichthys allerdings ein deutlich anderes Ernährungsschema – das zumindest war die bisherige Annahme. Nun haben Paläontologen der Universitäten Zürich und Bristol die Mechanik des riesigen Titanichthys-Unterkiefers genauer untersucht. Die Ergebnisse bestätigten frühere Annahmen, wonach der Panzerfisch seine Nahrung beim langsamen Schwimmen mit weit geöffnetem Maul aus dem Wasser herausfilterte – etwa so, wie dies heutige Bartenwale, Wal- und Riesenhaie tun.

Weit größer als der Weiße Hai

Der marokkanische Teil der Wüste Sahara bietet viele Fundstücke aus der geologischen Vergangenheit – etwa die Überreste des großen Dinosauriers Spinosaurus, der wegen seines segelartigen Schwanzes vor kurzem viel Aufmerksamkeit erregte. Nicht weit von diesem Fundort entfernt liegen auch deutlich ältere Gesteine aus der Devon-Zeit zutage. Diese bergen Überreste riesiger Placodermi – ausgestorbener Panzerfische, deren Körperlänge jene eines großen Weißen Hais überstieg. "Bei der Feldarbeit im Antiatlas sind massive Schädelknochen von Placodermi ziemlich häufig zu finden", sagt Christian Klug vom Paläontologischen Institut und Museum der Universität Zürich.

Der Dunkleosteus erreichte etwa die gleiche Größe wie der Titanichthys, war allerdings ein gefürchteter Jäger.
Illustr.: Matteo De Stefano

"Dabei kommen zwei unterschiedliche, aber etwa gleich große Formen vor: Der riesige und bedrohlich aussehende Panzerfisch Dunkleosteus und der großmäulige Titanichthys, der vor 380 Millionen Jahren in den Meeren und Ozeanen des späten Devons lebte", so der Paläontologe weiter. Zusammen mit Wissenschaftern der Universität Bristol hat Klug nun in einer Studie untersucht, wie sich der Panzerfisch Titanichthys ernährte, und ist dabei auf ein ähnliches Verhalten gestoßen wie bei heutigen Wal- und Riesenhaien.

Riesig und zahnlos

Der Titanichthys ist seit langem als eines der größten Tiere des Devon-Zeitalters bekannt: Seine Körperlänge wird auf über fünf Meter geschätzt, dazu kommt ein Unterkiefer, der – ähnlich wie beim Riesenhai – Längen von über einem Meter erreichte. Anders als bei seinem ähnlich riesigen Zeitgenossen Dunkleosteus wurde die Ernährungsweise des Titanichthys bisher nie genauer untersucht.

Während der Unterkiefer des Dunkleosteus und vieler verwandter Panzerfische kräftige Fangzähne und Quetschplatten aufweist, ist der Unterkiefer des Titanichthys schlank, zahnlos und ohne scharfe Kanten, die zum Schneiden geeignet wären. Außerdem konnte er sein Maul nicht vollständig schließen. Dies legt die Vermutung nahe, dass er ein sogenannter Filtrierer war, der mit weit geöffnetem Maul langsam durchs Wasser glitt, um hohe Konzentrationen an Plankton herauszufiltern.

Um diese These zu überprüfen, verglichen die Forscher die Unterkiefer verschiedener Placodermi-Arten mittels biomechanischer Untersuchungen: Indem sie virtuelle Kräfte auf 3D-Computermodelle der Kiefer ausübten, testeten sie deren Elastizität und damit die Wahrscheinlichkeit, dass die Kiefer brechen oder sich verbiegen.

"Der Unterkiefer des Titanichthys stellte sich als mechanisch wesentlich weniger robust heraus als die Unterkiefer anderer Placodermi-Arten, die sich von großen oder hartschaligen Beutetieren ernährten", sagt Sam Coatham, Erstautor der im Fachjournal "Royal Society Open Science" erschienenen Studie. "Deren Fressstrategien kommen für den Titanichthys eher nicht infrage, denn sein Kiefer wäre kaum in der Lage gewesen, die hohen mechanischen Belastungen auszuhalten, die beim Fressen größerer Beutetiere nötig sind."

Für ihre Studie verwendeten die Paläontologen Titanichthys-Fossilien, wie sie in Marokko gefunden wurden.
Foto: Christian Klug / UZH

Vergleichbar mit dem heutigen Riesenhai

In weiteren Analysen wurde die Belastungsverteilung im Kiefer mit heute lebenden Arten verglichen. Dabei fanden die Forscher ähnliche Muster beim Titanichthys und beim Riesenhai, was auf eine vergleichbare Nahrungsaufnahme hinweist. "Die Kiefereigenschaften des Titanichthys ähneln jenen anderer Filtrierer, zu denen etwa Bartenwale, der Walhai oder eben der Riesenhai gehören", fasst Klug zusammen. "Sie unterscheiden sich umgekehrt aber deutlich von großen Raubfischen und Zahnwalen."

Das Forschungsteam vermutet, dass es weitere ausgestorbene Arten gibt, die eine ähnliche ökologische Rolle wie der Titanichthys gespielt haben – darunter andere Panzerfische, aber auch mindestens eine Plesiosaurier-Art. "Unsere Methoden könnten erweitert werden, um solche Arten in den Fossilienbeständen zu identifizieren und zu untersuchen, ob es gemeinsame Faktoren gibt, die ihre Entwicklung und ihr Aussterben vorantreiben", so Coatham. "Erkenntnisse dazu könnten uns helfen, zu verstehen, wie sich moderne Filtrierer wie Bartenwale besser schützen lassen." (red, 23.5.2020)