Wie so oft, geht es auch beim Verschicken von Dick Pics um Dominanz, Kontrolle und Einschüchterung.

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Ich weiß, wir sind in der Vergangenheit eher selten dazu gekommen, aber ich würde mit Ihnen gerne über Penisse sprechen. Das mag jetzt nicht unbedingt das unverfänglichste Thema sein, aber mit 85 Kolumnen im Rücken können wir schon mal die Hosen runterlassen und uns anschauen, was Sache ist. Mich macht das neugierig. Genauer gesagt möchte ich wissen, wo all die Schwanzbilder herkommen, mit denen Frauen ungebeten im Internet überschwemmt werden, wer sie anfertigt und vor allem: warum? Wieso halten es Männer für eine gute Idee, Dick Pics an Frauen zu versenden, die daran vorher kein Interesse hatten? Denn Interesse scheint mir dabei das entscheidende Kriterium zu sein.

Was erwachsene Menschen auf Tinder oder anderswo in gegenseitigem Einvernehmen an Sexting und Nacktfotoaustausch betreiben, um sich gegenseitig anzuheizen, geht niemanden etwas an und bedarf auch keiner Bewertung. Ob das jetzt meine oder Ihre Kragenweite wäre, ist vollkommen unerheblich. Aber der Umstand, dass laut Umfragen 41 Prozent der Frauen zwischen 18 und 36 Jahren ungebetene Dick Pics erhalten, zugleich aber nur fünf Prozent der Männer gleichen Alters zugeben, dass sie ungefragt Bilder von ihrem Penis an Frauen verschicken, ist dann doch schon ziemlich interessant.

Vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das unaufgeforderte Versenden von Schwanzbildern zumindest in Deutschland als "Verbreitung von pornografischen Schriften" gewertet wird und mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet wird.

Es steht also schon etwas auf dem Spiel. Zumal wenn man in Betracht zieht, dass seinen Dödel zu entblößen womöglich nicht die erfolgversprechendste Strategie ist, um einen sexuellen Kontakt zu initiieren. Oder dass die meisten von uns im realen Leben sehr viel Wert auf ihre Privatsphäre legen und nicht wollen würden, dass man Bilder ihrer Genitalien an Freund*innen, Verwandte oder Arbeitskolleg*innen weiterleitet.

Aber selbst wenn wir annehmen, dass sich so ein Penisknipser anonym und sicher fühlt, bleibt die Frage nach dem Warum. Dazu existieren einige wissenschaftliche Spekulationen und Befragungen, die nahelegen, dass es den einen Grund nicht gibt. Einige Männer geben an, dass sie der Akt des Fotografierens und die Vorstellung der Reaktion erregen. Andere sehen ein Dick Pic als Möglichkeit, einer längeren Konversation vorzubeugen, von der sie sich von Anfang an erhoffen, dass sie ausschließlich auf Sex hinausläuft.

Anstrengendes Texten

Sie wählen quasi die Penisabkürzung, weil ihnen Texten zu anstrengend ist – egal wie wenig erfolgversprechend die Option ist. Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass der Selbstversuch einer jungen Frau, den Spieß einmal umzudrehen und Männer unaufgefordert mit Vulvabildern einzudecken, daran scheiterte, dass das mehrheitlich nicht als Bedrohung oder Belästigung aufgefasst wurde. Von 40 Männern haben drei nicht reagiert und 37 wollten sich umgehend treffen.

Es gibt aber noch ein Motiv, und das scheint mir für die nicht enden wollende Würstchenparade in den Mailboxen von Frauen, die sich in sozialen Netzwerken aufhalten, das ausschlaggebende zu sein. Eine kürzlich erschienene Studie belegt, dass die Schwanzbildfreunde sich grundsätzlich sehr viel narzisstischer und sexistischer verhalten als Männer, die keine ungebetenen Dick Pics versenden.

Es geht also nicht nur um ein Kommunikationsmissverständnis oder um einen angeborenen beziehungsweise anerzogenen Unterschied in der Wahrnehmung von Sexualität zwischen Männern und Frauen. Sondern es geht – wie so oft – um Dominanz, Kontrolle und Einschüchterung. Genitalpräsentation als Drohgebärde und Imponierverhalten. Als Machtdemonstration: Hier ist mein Schwanz, was sagst du jetzt! Es ist eine bewusst eingesetzte Belästigungsstrategie. Eine sexualisierte Zermürbungstaktik, die Betroffenen unmissverständlich klarmachen soll, wer den Längeren und das Sagen hat. Mit Sex hat das nichts zu tun. 2016 stellte die Künstlerin Whitney Bell 200 Dick Pics in einem Raum aus, der ihrem Schlafzimmer nachgebildet war.

Auch um zu verdeutlichen, dass sie vor dieser Form von Belästigung selbst als Alleinlebende in den eigenen vier Wänden nicht sicher ist. Sie stellt klar, dass es sich dabei nicht um Flirten handelt: "Es ist, als würdest du eine Frau aus dem Auto heraus anschreien. Du tust es, weil du es kannst und weil die Welt dir beigebracht hat, dass es okay ist." Das Erstaunlichste an diesem Verhalten ist die Illusion von Kontrolle. Während Männer damit beschäftigt sind, Frauen Abbilder ihrer Penisse ins Gesicht zu drücken, merken sie gar nicht, dass ihre Schwänze eigentlich mit ihnen wedeln. Denn Belästigung, Übergriffigkeit und Gewalt sind und bleiben die erbärmlichste Version von Kommunikation. (Nils Pickert, 7.6.2020)