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Die WHO rechnet damit, dass Ende 2020 ein bis zwei Impfstoffe gegen Covid-19 am Markt sein könnten, und zwar bereits in millionenfacher Dosis.

Reuters / Dado Ruvic

Es gab kein Wettrennen in der Geschichte der Menschheit, bei dem so viel auf dem Spiel stand wie bei diesem. Denn je früher ein wirksamer Impfstoff gegen Covid-19 zugänglich ist, desto eher können die Welt und jeder Einzelne von uns vom Ausnahmezustand zur Normalität zurückkehren – abzüglich der gewaltigen Folgen, die durch die Covid-19-Pandemie verursacht wurden.

Dieser einzigartige Wettlauf hat Anfang des Jahres begonnen, als klar wurde, dass es ein neues, gefährliches Sars-Virus gibt. Seit man wusste, dass Covid-19 zu einer Pandemie wird und der Aufbau von Herdenimmunität dagegen illusorisch ist, haben die Bemühungen um einen Impfstoff noch einmal rasant an Fahrt aufgenommen. Mittlerweile nehmen rund 200 Impfstoffentwickler rund um den Globus daran teil, und einige von ihnen sind schon sehr weit fortgeschritten.

Doch ist überhaupt sicher, dass Impfstoffe gegen Covid-19 wirklich wirken werden – und es also "Sieger" geben wird? Welche sind die aussichtsreichsten Kandidaten im Impfrennen? Und wann ist mit den ersten großflächigen Durchimpfungen in Österreich und anderswo zu rechnen?

Vier Jahre als bisheriger Rekord

Der Kalauer, dass Prognosen immer schwierig sind, zumal wenn sie die Zukunft betreffen, gilt bei Fragen der Impfstoffentwicklung ganz besonders, da diese extrem komplex und aufwendig ist. Der Weg von der Forschung über die verschiedenen Testphasen bis zur Massenproduktion und Auslieferung dauert im Normalfall viele Jahre und verschlingt hunderte Millionen Euro. Nur zum Vergleich: Den Rekord für die schnellste Entwicklung bis zur Zulassung hält ein Impfstoff gegen Mumps mit vier Jahren.

Doch einige Neuigkeiten aus dieser Woche lassen hoffen, dass es doch noch schneller gehen könnte als bisher angenommen. So meinte Soumya Swaminathan, die Chefwissenschafterin der WHO, dass bereits bis Ende 2020 ein bis zwei Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 in einigen Hundert Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen könnten. Gestützt werden diese Annahmen durch den jüngsten Zwischenstand im Impfstoffrennen, den die WHO ebenfalls am Donnerstag bekanntgab.

Von den 141 Vakzin-Kandidaten, die auf dieser Liste verzeichnet sind und die auf zumindest acht verschiedenen Wirkprinzipien basieren, kommen die meisten aus China, den USA und Kanada. Auch Österreich ist vertreten: Das Unternehmen Themis entwickelt in Kooperation mit der Universität Pittsburgh und dem französischen Forschungszentrum Institut Pasteur ein Vakzin, das auf einem Masern-Impfstoff basiert und demnächst die klinische Phase erreichen sollte – also an Menschen getestet wird.

13 Impfstoffe in klinischer Phase

Diese Phase haben bereits 13 Kandidaten erreicht. Jüngster Neuzugang ist seit dieser Woche die deutsche Firma Curevac, die praktisch zeitgleich mit dem Beginn der klinischen Phase noch einen kräftigen finanziellen Anschub erhielt: Der deutsche Staat stieg mit 300 Millionen Euro ein, nachdem die Firma bereits im März angebliche US-Begehrlichkeiten unerwidert ließ. Noch im Sommer ist laut neusten Meldungen mit ersten Ergebnissen zu rechnen.

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Ein Mitarbeiter der Firma Curevac bei der Impfstoffherstellung.
Reuters / Andreas Gebert

Bei den klinischen Tests sind wiederum drei Phasen zu unterscheiden. Während in der Phase 1 – sehr vereinfachend – der Impfstoff nur an wenigen gesunden Testpersonen vor allem auf seine Sicherheit und den prinzipiellen Wirkmechanismus untersucht wird, stehen in Phase 2 die konkrete Wirksamkeit des Impfstoffs und die Dosierung im Zentrum, was an einer größeren Probandengruppe getestet wird. In Phase 3 schließlich werden durch Tests an tausenden Personen alle Fragen der Wirksamkeit und Ungefährlichkeit noch einmal abgesichert.

"Das alles passiert doppelt verblindet und Placebo-kontrolliert", erklärt die Virologin Christina Nicolodi, die sich auf die Beratung bei der Entwicklung und Zulassung unter anderem von Impfstoffen spezialisiert hat. "Das heißt, dass weder die zufällig ausgewählten Probanden noch die Ärzte und auswertenden Labordiagnostiker wissen, wer nun den zu testenden Impfstoff oder einen anderen – etwa gegen Meningokokken – erhalten hat."

Die zwei aktuellen Spitzenreiter

Laut der neuen Liste der WHO haben acht Kandidaten bereits zumindest die Anfänge von Phase 2 erreicht. Das liegt auch daran, dass noch vor dem regulären Abschluss der Phase 1 von den Überwachungsbehörden wie der Europäischen Arzneimittel-Agentur der Beginn von Phase 2 erlaubt wird, sagt die Expertin Nicolodi beim Blick auf die Liste.

Die beiden aktuellen Spitzenreiter sind die US-Firma Moderna sowie die Uni Oxford, gemeinsam mit dem Pharmamulti Astra Zeneca, die in Kürze sogar schon mit Phase-3-Studien starten. Das bedeutet konkret, dass ab Anfang Juli die beiden Impfstoffkandidaten an jeweils mehreren Zehntausend Probanden in den USA bzw. in Großbritannien und Brasilien getestet werden sollen.

Während die meisten chinesischen Unternehmen, die besonders weit sind, mit dem klassischen Ansatz inaktivierter Viren arbeiten (wie bei der Tetanusimpfung), setzen Moderna und die Uni Oxford auf neue Methoden, die RNA-basiert sind (Moderna) oder mittels eines rekombinanten Impfstoffs die Vermehrung des Virus im Körper unterdrücken (Uni Oxford). Ein Vorteil dabei ist, dass sich in sehr viel kürzerer Zeit viel Impfstoff herstellen lässt, woran auch schon längst gearbeitet wird. Denn sobald eine Impfung gegen Covid-19 zugelassen wird, sollten davon bereits möglichst viele Dosen verfügbar sein.

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Bei der Impfstoffentwicklung gegen Covid-19 kommt es auch darauf an, möglichst schnell große Quantitäten herzustellen.
AP / Virginia Mayo

Verhandlungen über die Verteilung

Aus diesem Grund sind in den vergangenen Wochen auch bereits etliche mehr oder weniger geheime Vereinbarungen über die Finanzierung und Verteilung der Vakzine getroffen worden. Vorverträge mit den Firmen Astra Zeneca etwa hat bereits Abkommen mit den USA und Großbritannien geschlossen. Vor einer Woche kam noch ein Vertrag mit Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden dazu, die sich bis zu 400 Millionen Impfstoffdosen sicherten.

Die 2016 gegründete Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (Cepi, Deutsch in etwa: Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung), an der unter anderem die WHO, die EU, Regierungen oder die Bill & Melina Gates Foundation beteiligt sind, will AstraZeneca mit bis zu 383 Millionen Dollar unterstützen.

Über Verhandlungen mit Österreich ist zwar nichts offiziell bekannt, doch geht Christina Nicolodi davon aus, dass man auch hierzulande gut vorbereitet sein wird – so wie man das auch schon bei der Schweinegrippe gewesen wäre. Die Expertin rechnet übrigens auch damit, dass pro Person womöglich zwei Dosen nötig sein werden; mit der zweiten Dosis, die in zeitlichem Abstand erfolgt und im Fachsprech Booster heißt, wird die Immunreaktion noch einmal deutlich verstärkt.

Vorteil mehrerer Impfstoffe

Absehbar ist, dass es bei dem Wettrennen um die Covid-19-Impfstoffe zwar einen Sieger geben wird. Es könnte sich aber als Vorteil erweisen, wenn mehrere Mitbewerber kurz danach ebenfalls wirksame Impfstoffe auf den Markt bringen. Denn einerseits ist denkbar, dass zwei verschiedene Vakzine den Schutz vergrößern. Andererseits werden nach der Zulassung der ersten Covid-19-Vakzine sicher Verteilungsfragen virulent. Und nach allen bisherigen Erfahrungen mit Impfstoffen weiß man, dass die ärmeren Länder der Welt bisher noch jedes Mal zuletzt drankamen – und am Ende die Verlierer waren. (Klaus Taschwer, 19. 6. 2020)