Im Mai 2020 haben sich 473.300 Österreicher beim AMS arbeitslos gemeldet; das sind fast 70 Prozent mehr als im Mai des Vorjahres. Die Arbeitslosenquote liegt damit bei 11,5 Prozent, einer der höchsten Werte seit der Nachkriegszeit. Dass insbesondere unfreiwillige Arbeitslosigkeit Folgen für die Gesellschaft hat, steht außer Frage. Betroffene verlieren Einkommen, es kommt zu finanziellen Engpässen, Strukturlosigkeit im Alltag, Isolation und sozialer Stigmatisierung. Dem Staat entstehen fiskalische Kosten, die sich zu etwa zwei Dritteln aus direkten Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung und aktiver Arbeitsmarktpolitik sowie zu einem Drittel aus verlorenen Steuereinnahmen und Sozialbeiträgen zusammensetzen. Arbeitslosigkeit hat aber auch einen anderen unerwünschten Nebeneffekt, nämlich auf die Gesundheit.

Dass Arbeitslosigkeit krank macht, ist in der ökonomischen Literatur mittlerweile ausgezeichnet dokumentiert. Die ersten Berichte hierzu stammen bereits aus den 1930er-Jahren. Man erkannte damals, dass Haushalte, die besonders stark von der Großen Depression betroffen waren, eine weitaus höhere Sterblichkeit aufwiesen als jene am oberen Ende des sozialen Spektrums. Systematischere Untersuchungen anhand von Befragungen begannen in den 1980er-Jahren, stets mit ähnlichen Resultaten. Aus derartigen Befragungen geht jedoch oft nicht hervor, ob Arbeitslosigkeit tatsächlich zu schlechterer Gesundheit führt, oder ob kränkere Menschen schlicht mit höherer Wahrscheinlichkeit arbeitslos werden.

An dieser Stelle macht es wohl Sinn, darüber nachzudenken, warum Arbeitslosigkeit eigentlich einen Einfluss auf Gesundheit haben sollte. Am offensichtlichsten ist wohl der Einkommenseffekt: Es kann weniger Geld für gesunde Nahrung, das Fitnessstudio oder Gesundheitsleistungen ausgegeben werden. Letzteres hat in Österreich aufgrund der gesetzlichen Krankenversicherung allerdings weniger Bedeutung als beispielsweise in den USA. Hinzu kommt, dass sich Stress und Perspektivlosigkeit auf die psychische Gesundheit auswirken: Depressionen, Angst und psychosomatische Beschwerden treten etwa doppelt so häufig unter Arbeitslosen wie unter Erwerbstätigen auf. Dies hat wiederum Folgeeffekte auf die körperliche Gesundheit. Aus der medizinischen Forschung weiß man beispielsweise, dass Stress zu Durchblutungsstörungen führen kann, was das Risiko für Herzkrankheiten erhöht. Interessanterweise ist dieser Effekt besonders bei Frauen ausgeprägt. Daneben beobachtet man unter Arbeitslosen oft Gewichtszunahme, Erhöhung des Blutdrucks und Cholesterinspiegels, teilweise Schwächung des Immunsystems und manchmal gesteigertes Risikoverhalten.

Arbeitslosigkeit wirkt sich auf die Gesundheit aus.
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Gesundheitszustand und Job

Wie können wir nun das zuvor angesprochene Henne-Ei-Problem lösen? Hier kommt die moderne ökonomische Forschung ins Spiel. Interessierte Leserinnen und Leser des Ökonomieblogs wissen, dass empirische Ökonominnen und Ökonomen heute besonders gut darin ausgebildet sind, Kausalität von Korrelation zu unterscheiden. Wir bedienen uns hierbei primär sogenannter natürlicher Experimente – das sind arbiträre Begebenheiten, die im konkreten Fall dafür sorgen, dass ein bestimmter Teil einer Bevölkerung ohne eigenes Zutun arbeitslos wird und ein anderer nicht. Ein derartiger Ansatz ist beispielsweise, Firmenschließungen zu betrachten. Die Überlegung dahinter ist, dass ein einzelner Mitarbeiter nur sehr geringen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg der gesamten Firma hat – und damit eine Schließung nicht aus eigener Kraft herbeiführen oder verhindern kann. Insbesondere bei großen Konzernen ist dies wohl eine realistische Annahme.

Genau diesen Ansatz wählen beispielsweise die Ökonomen Martin Browning und Eskil Heinesen. Sie finden, dass von einer Firmenschließung betroffene dänische Arbeiter früher sterben, höhere Suizidraten aufweisen, wahrscheinlicher aufgrund von Verkehrsunfällen und Alkohol im Krankenhaus landen und eher psychische Probleme entwickeln. In Österreich reagiert laut einer Studie von Andreas Kuhn und Koautoren zwar die physische Gesundheit tendenziell weniger auf Firmenschließungen, negative Folgen für die mentale Gesundheit finden sich aber in ähnlichem Ausmaß wie in der dänischen Studie.

Auch das Umfeld ist betroffen

Arbeitslosigkeit macht nicht nur Arbeitslose krank. Mehrere Studien belegen etwa, dass Partner und Kinder ähnlich stark von Jobverlust im Haushalt betroffen sind wie der Entlassene selbst. In einer laufenden Arbeit zeigen Rudolf Winter-Ebmer, Dominik Grübl und ich, dass sich Jobabbau sogar auf Mitarbeiter im Unternehmen auswirkt, die nicht entlassen wurden. Wie kann das sein? Ein wichtiger Kanal ist Unsicherheit. Sieht man, wie Kollegen entlassen werden, bangt man auch um den eigenen Job. Vielleicht wird man dabei in neue Rollen gedrängt, für die man sich nicht geeignet fühlt, oder das Arbeitspensum steigt, wenn man das der entlassenen Kollegen kompensieren muss. All das verursacht Stress.

Wir haben Daten über alle Massenentlassungen in oberösterreichischen Firmen zwischen 1998 und 2015 gesammelt. In diesen Firmen untersuchen wir den Gesundheitszustand von Mitarbeitern, die nach den Massenentlassungen im Unternehmen verbleiben. Als Vergleichsgruppe ziehen wir andere Erwerbstätige heran, die in einem Zeitrahmen von zumindest zwei Jahren in der Zukunft ebenfalls von einer Massenentlassung betroffen waren. Die Idee dahinter ist, dass Arbeiter, die von einer Massenentlassung betroffen sind, möglicherweise Gemeinsamkeiten haben, die sich nicht einfach in Daten messen lassen. Vergleicht man also nur Betroffene von Massenentlassungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, kann man – um ein beliebtes Sprichwort zu bedienen – Äpfel mit Äpfeln statt mit Birnen vergleichen. Unsere Ergebnisse suggerieren, dass Personen in der verbleibenden Belegschaft um 3,5 Prozent mehr Medikamente nehmen und eine um 10,6 Prozent längere Zeit im Krankenhaus verbringen. Ältere Arbeiter sind besonders stark betroffen. Bei Frauen finden wir Hinweise darauf, dass vor allem koronare Herzerkrankungen infolge von Massenentlassungen ansteigen.

Weitreichende Effekte

Welche Schlüsse können wir nun aus diesen empirischen Resultaten ziehen? Es scheint, als habe Arbeitslosigkeit weitreichende Effekte auf die Gesundheit von Entlassenen, von deren Familien und sogar von früheren Kolleginnen und Kollegen. Das ist in Pandemiezeiten prekär, weil Behandlungsmöglichkeiten speziell für psychische Probleme kurzfristig stark begrenzt sind. Umso wichtiger sind Maßnahmen, die dafür sorgen, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben, etwa Kurzarbeit. Langfristig kann soziale Ungleichheit gefördert werden, weil ohnehin vulnerable Haushalte tendenziell stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Was kann die Politik tun? Gemeinsam mit Analisa Packham habe ich gerade ein Arbeitspapier veröffentlicht, in dem wir uns mit Gesundheitseffekten von Arbeitslosenunterstützung beschäftigen. Die Frage ist, ob zusätzliches Arbeitslosengeld die negativen Effekte der Arbeitslosigkeit dämpfen kann.

Wir nutzen ein Detail im österreichischen Arbeitslosengesetz aus, das Menschen, die kurz nach dem 40. Geburtstag arbeitslos werden, neun Wochen mehr Arbeitslosengeld zuspricht. Das vereinfacht wiederum den Apfel-Apfel-Vergleich, sofern Firmen nicht gezielt den 40. Geburtstag abwarten, um Mitarbeiter zu entlassen (wofür wir in den Daten keine Belege finden). Wir finden besonders für Frauen vielversprechende Ergebnisse; die mentale Gesundheit verbessert sich, und das Risikoverhalten nimmt stark ab. Diese Ergebnisse geben zur Hoffnung Anlass, dass der gesellschaftliche Gesamteffekt zumindest teilweise durch großzügige Arbeitsmarktpolitik abgefedert wird. Zu überlegen wäre etwa, die Arbeitslosengeldbezugsdauer auch für jüngere Menschen auszuweiten. (Alexander Ahammer, 23.6.2020)

Alexander Ahammer hat 2018 an der Johannes-Kepler-Universität Linz im Fach Volkswirtschaftslehre promoviert. Dort tritt er auch ab Herbst 2020 eine Stelle als Assistenzprofessor für Big Data und Applied Econometrics an. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Gesundheit am Arbeitsmarkt und mit der Ökonomie von Drogen und Kriminalität.
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