Im Arbeitszimmer von Harald Gach grenzt der Karl-Marx-Hof direkt ans Rathaus, und das ist nicht mal seltsam. Auf dem Sideboard gegenüber dem Schreibtisch, an dem der große, hagere 54-Jährige arbeitet, stehen Modelle von Wiener Gebäuden, auf dem Computerbildschirm wartet eine Bauskizze auf Vollendung. Das hier könnte problemlos ein Architekturbüro sein, wären die Modelle nicht stark vereinfacht und noch dazu aus Lego-Steinen.

Harald Gach ist Miniaturbaumeister. Er lebt quasi einen Kindertraum: Bis heute hat er mehr als 70 Wiener Gebäude und Wahrzeichen aus Lego-Steinen nachgebaut, vom Westbahnhof über den Theseustempel im Volksgarten bis zu Otto Wagners Postsparkasse. Hinter seinem Schreibtisch in der Josefstadt warten 80.000 Lego-Teile auf ihren Einsatz, fein säuberlich nach Form und Farbe in Kisten sortiert.

Moderne – gut und schön. Gach hofft, dass ihm auch das Burgtheater gelingt.
Foto: Christian Fischer

Alles begann vor sechs Jahren mit einem Modell des Kölner Doms, zweieinhalb Meter hoch, extrem detailliert und so schwer, dass es mehrere Menschen brauchte, um es zu bewegen. Gach sieht ein Foto davon im Internet und ist fasziniert. "Ich dachte: Das gibt’s nicht, dass das nur Lego ist." Er arbeitet sich in die Materie ein und merkt: Doch, das gibt’s. Eine Community, hauptsächlich Männer mittleren Alters, baut die Realität mit Lego nach und vernetzt sich über das Internet.

Klein, aber oho

Für Gach, der von jeher ein Interesse für Architektur und Fotografie hat, klingt das nach einem perfekten Hobby. Er begibt sich mit seiner Kamera auf Streifzüge durch den achten Bezirk und die angrenzende Umgebung. Das ist sein Revier: Gach wohnt in der Nähe des Alten AKH, ist im Nachbarhaus aufgewachsen. Nur einmal in seinem Leben hat er nicht in der Josefstadt gewohnt, sondern in Neubau, dem Nachbarbezirk.

Das erste Modell, das er baut, ist das Billrothhaus in der Frankgasse mit seinen hohen Rundbogenfenstern. Es ist nicht einfach, aber irgendwann steht es: voller Details, 40 Zentimeter breit und wuchtig. "Da hab ich mir gedacht: Das ist schon schön, aber das muss kleiner gehen", sagt Gach. Daraus entwickelt sich der Anspruch, der ihn noch heute antreibt: "Es sollte so klein wie möglich sein, aber man muss auf den ersten Blick erkennen, welches Gebäude es ist." Er macht weiter, arbeitet sich die 2er-Linie entlang, baut das ehemalige militärgeografische Institut gegenüber dem Rathaus, dann schnell auch das Rathaus selbst nach. Und entwickelt so seinen Stil.

Gach baut die Gebäude nicht eins zu eins nach. Man muss ihn sich vielleicht weniger wie einen Architekten oder Bauzeichner vorstellen, sondern mehr wie einen Karikaturisten, der charakteristische Merkmale wie Ohren, Nasen oder Brillen so prominent hervorhebt, dass man die Person sofort erkennt, auch wenn sie nur aus einigen Strichen besteht. "Weglassen, weglassen, weglassen", fasst Gach zusammen. Perfektion als Zustand maximaler Reduktion. "Man erkennt ein Gebäude an ein bis zwei charakterlichen Details, sei es ein Balkon, ein Umriss, die Farbe." Wenn ein Gebäude diese nicht hat, kann es Gach auch nicht bauen. An der Nationalbank hat er sich bereits versucht, dem Gebäude fehlen aber diese Elemente der Wiedererkennbarkeit. Das sei halt "ein Haus", sagt ihm eine Freundin, als sie das Modell sieht.

Der Karl-Marx-Hof grenzt in Gachs Arbeitszimmer ...
Foto: Christian Fischer

Das Prinzip der Reduktion aufs Wesentliche erklärt auch den unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad der Modelle. Die Secession ist einfach, ihre kleinen Aufsätze mit der Goldkugel in der Mitte erkennt man auch betrunken hundert Meter gegen den Wind. Schwieriger sind Wiens Stadtpalais oder auch gotische Kirchen, die sich nur in Kleinigkeiten unterscheiden. Diese Modelle müsste man groß bauen, und das will Gach nicht. Seine geliebte Heimatstadt macht es ihm nicht immer einfach. "Der Jugendstil ist schwierig", sagt der Architekturfreund. "Die Gebäude leben von den Details." Die Kirche am Steinhof ist das bisher komplexeste Modell, das er gebaut hat. Das macht ihn stolz, ist aber nicht sein einziger Antrieb. Bei seinen Streifzügen durch die Stadt sieht Gach "manchmal ein Gebäude", wie er sagt, "und weiß schon zu 80 Prozent wie ich’s mach. Dagegen hab ich auch nichts, bin ich schneller fertig."

Manchmal, wenn Gach ein Lego-Modell in die Hand nimmt, blitzen seine Augen kurz auf, als sei er nicht Mitte 50, sondern sechs Jahre alt. Wie für viele Männer in der Community ist das Lego-Bauen auch für Gach ein Rückfall in alte Gewohnheiten. "Als ich ein Kind war, hat es die Matador- und die Lego-Fraktion gegeben, ich hab zu Letzterer gehört", sagt Gach. Später lässt er Lego erst einmal Lego sein, arbeitet als IT-Kraft in einer Bank, ist Projektleiter, hat 13 Jahre lang ein eigenes Grafikbüro.

... ans Wiener Rathaus.
Foto: Christian Fischer

Jetzt konzentriert sich Gach auf seine Modelle, die er auch verkauft. Über seine Webseite viennabricks.at kann man prinzipiell alles bei ihm bestellen: komplette Modelle, Bauanleitungen mit den passenden Steinen, nur die Bauanleitung. Die Abnehmer sind oft Menschen mit einem Bezug zu Wien oder sogar zu dem Gebäude selbst. Der Trägerverein des Billrothhauses zum Beispiel hat ihm mehrere Modelle abgenommen. Preislich fängt es mit 40 Euro für das Mini-Mumok an, aber es geht bis zu 1.300 Euro für das Hotel Intercontinental. "Das hat auch mit den Steinen zu tun", sagt Gach. Ein einzelner durchsichtiger Stein kostet bis zu zwölf Cent, und für Hotels mit vielen Fenstern brauche man viele davon.

Apropos: Wo bekommt man solche Steine eigentlich her? Die Antwort ist wie so oft: aus dem Internet. Auf speziellen Plattformen sind Onlinehändler versammelt, die alle möglichen Steine führen, auch die, die es im offiziellen Lego-Shop schon seit Jahren nicht mehr gibt. Um aber zu wissen, welche Steine man überhaupt braucht, muss man das Modell erst planen. Das nimmt zumeist eine Woche in Anspruch und ist die wahre Herausforderung. Gach benutzt dafür zwar ein Computerprogramm, extra für die Arbeit mit Lego entwickelt. Mit diesem kann er die Teile Schicht für Schicht aufbauen, sich die Liste mit den benötigten Steinen ausspucken lassen und gleich als Einkaufsliste in die oben erwähnten Plattformen im Internet importieren. Das Zusammenbauen ist dann fast nur noch Pflichtübung. "Das dauert zwei Stunden und ist nicht mehr das Prickelnde daran", sagt Gach.

Es geht nicht um möglichst detailgenaues Bauen, sondern um die Reduktion aufs Wesentliche.
Foto: Christian Fischer

Eine Frage der Ehre

In diesem Prozess ergeben sich gelegentlich praktische Probleme, die für Außenstehende nicht leicht zu durchschauen sind. Viele Steine, die man zum Beispiel für Details an gotischen Kirchen brauchte, gibt es nur in Grau. Wiens Kirchen sind aber meist aus einem beigen Sandstein aus Niederösterreich gebaut. Unter den erwachsenen Lego-Freaks gibt es einen gewissen "Ehrenkodex": Man nimmt nur offizielle Lego-Steine in offiziell erhältlichen Farben, steckt diese nur an den offiziell dafür vorgesehenen Stellen zusammen und klebt nicht. Deshalb haben viele von Gachs Modellen kleine Schönheitsfehler ("Das Rot des Karl-Marx-Hofs ist eigentlich ein dunkleres Rot, und er hat in der Realität rundere Bögen"), die aber wahrscheinlich eher nur dem Baumeister selbst auffallen.

Nicht alles, was sich Gach gewünscht hat, ist ihm auch gelungen. "Ich hab einen Ordner mit 20 bis 30 Gebäuden, bei denen mir noch nicht der entscheidende Kniff eingefallen ist, wie ich sie reduzieren könnte", sagt Gach. Darunter das Burgtheater, das er aber "gern noch schaffen würde".

Manchmal kommt die Inspiration doch noch, wenn auch spät. Das Palais Fraenkel in der Nähe des Hamerlingplatzes wollte Gach schon lange bauen. "Ich dachte immer: Das geht nicht", sagt er. Vor ein paar Monaten ist der Baumeister dann doch noch etwas an dem Gebäude aufgefallen, das er weglassen konnte. Und dann ging es doch. (Jonas Vogt, 21.7.2020)