Im Gastkommentar vermisst der Schauspieler Christoph F. Krutzler sein Burgenland. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar von WU-Professor Stefan Pichler: Auch Banken dürfen in Insolvenz gehen.

Ich stehe auf dem Hügel, auf dem ich immer stehe, um Aussicht zu halten, und halte Aussicht.

Im Osten sehe ich den Hirschen- und den Geschriebenstein, die letzten Hügel des Alpenmassivs. Der eine mit Antenne, der andere mit Turm. Die Staatsgrenze geht durch diesen Turm, teilt heute zwei EU-Staaten, teilte vor dreißig Jahren aber noch die ganze Welt. Tatsächlich hat der Geschriebenstein aber seinen Namen, weil hier früher die niedergeschriebene Grenze zwischen den Esterházys im Norden und den Batthyánys im Süden verlief. Am Fuß des Hügels tut sich die große zentraleuropäische Ebene auf, die heute gar nicht mehr so europäisch ist.

Ich drehe mich nach Süden und erahne den Punkt, an dem die drei Täler, die diese Landschaft durchmessen, eins werden. Im Osten die Pinka. Wie eine Lebensader durchzieht sie das Südburgenland. Im nördlichen Pinkatal findet man Industrie und prosperierende Städte, im südlichen macht der Fluss die Landschaft weich und warm, und man versteht, warum das einmal Ungarn war. Parallel zur Pinka schneidet die Strem durch das Land. Ein beschauliches Bächlein, das aber von Zeit zu Zeit gerne über die Ufer tritt und uns so erinnert, wer der Herr im Haus ist. Im Westen kommt die Lafnitz aus dem steirischen Joglland herunter und macht uns den Grenzfluss. Etwas eigenwillig. Sie mäandert fröhlich und verändert gerne ihren Lauf. Ein Albtraum der Geodäten und der Landherren. Ein Refugium vieler Arten. Naturbelassen, wie es sich für ein Grenzland gehört, das ja in Wirklichkeit niemandem gehören darf.

Die Pfeffer-Paprika-Linie

Eine Grenze gibt es noch in diesem kleinen, schmalen Land. Eine unsichtbare. Die Pfeffer-Paprika-Linie. Meine Lieblingsgrenze. Sie durchzieht das Land von Nord nach Süd. In früheren Zeiten gab es keine bedeutenden Siedlungen im Südburgenland. Oberwart war ein Viehhandelsposten, Güssing hatte eine Burg, sonst aber auch schon nichts, und Jennersdorf gab es damals noch gar nicht. Da wurde das Land von fünf Städten geprägt. Friedberg, Hartberg, Fürstenfeld im Westen und Szombathely und Szentgotthárd im Osten. Die südburgenländischen Bauern trieben dort Handel, die tüchtigen Arbeiter fanden dort Lohn und Brot.

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Paprika in der "Menasch" zeugt von ungarischem Einfluss.
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Jetzt sieht man heute noch manchmal in Wirtshäusern und Buschschänken, leider viel zu selten, in der sogenannten "Menasch" neben Salz und Gewürzsauce manchmal Pfeffer, manchmal Paprika. Esto! Pfeffer-Paprika-Linie. Nur der Vollständigkeit halber erkläre ich jetzt, dass die Dörfer, in denen man Paprika findet, eher ungarisch, und die, in denen man Pfeffer findet, eher steirisch beeinflusst waren.

Hic sunt dracones.

Im Westen thront der Hochwechsel über dem Land. Die Wetterküche. Südlich davon der Masenberg und dahinter das steirische Alpenvorland. Meine Region ist eher steirisch beeinflusst, und deshalb zieht es mich dort auch immer wieder hin. Nicht nur geografisch ist mir Hartberg so nahe wie Oberwart. Viel habe ich dort erlebt und allerlei Schabernack getrieben. Hui! Lange Nächte mit Freunden, Würsten und Bier. Lediglich im Norden versperrt mir ein dunkler Wald die Sicht. Ganz schwer erkenne ich darüber den Hügel von Bernstein und westlich das Dreiländereck. Dahinter? Weißer Fleck. Hic sunt dracones.

Mein Blick als Südburgenländer auf die Welt.

Erzähle mir niemand was übers Hintergründige bis -fotzige des Mattersdorfes!

Natürlich weiß ich, dass hinter dem Wald das Mittel- und das Nordburgenland liegen. Und natürlich weiß ich, dass es hier schon gar keine Drachen gibt. Immerhin habe ich den Großteil meiner Schulzeit im Norden verbracht. Im katholischen Seminar zu Mattersburg. Ausgerechnet! Erzähle mir also niemand was übers Hintergründige bis -fotzige des Mattersdorfes! Der Norden ist ein anderes Land. Es sind andere Menschen. Mit einer anderen Sprache, mit anderen Bräuchen, mit anderen Träumen. Wunderbare Menschen. Viele Herzbrüder und Herzschwestern habe ich dort, und oft war mir das Heim eines Freundes so lieb wie das Haus meiner Eltern. Trotzdem.

Wir werden zwar alle Burgenländer geheißen, sein tun wir aber ganz anders. Und doch gibt es eine Gemeinsamkeit, die uns auf ewig verbindet. Als Grenzlandbewohner, die wir immer waren, fließt das Blut von tausend Völkern in unseren Adern.

Letzte Ruhe

Als in der dunklen Zeit der Hunnenkönig beschloss, dem Weströmischen Reich das Licht auszublasen und so die Zeit noch dunkler zu machen, trieb er ungezählte namenlose Sippen und Stämme vor sich her. Als er dann nach seiner kleinen Unterredung mit Papst Leo I., genannt der Große, vor den Toren Mantuas entschied, wieder heimzureiten, erlag er der schlechten Krankheit. Ob es jetzt Blutvergiftung war oder doch die Syphilis (naheliegend, dass man sich nach der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern mit der Franzosenkrankheit ansteckt), kann man heute nicht mehr sagen. Jedenfalls fand er seine letzte Ruhe im Gebiet des heutigen Burgenlandes.

Viele Orte prahlen damit, auf ihrem Gemeindegebiet das Grab des Hunnen zu wissen. Tatsächlich ist es in meinem Dorf. Ich weiß sogar, wo. Sag ich aber nicht.

Unser Gründungsmythos.

Aber um die Geschichte abzuschließen: Er starb inmitten der Völker, die er ihrer Heimat beraubt und über den halben Erdball getrieben hatte. Und die blieben und wurden Burgenländer. Flüchtlinge, angetrieben von einem Wilden aus der asiatischen Steppe, machten sich jetzt das Sumpfland urbar. Unser Gründungsmythos.

Später wurden stolze Kroaten angesiedelt. Bayern und Schwaben kamen dazu. Viele, die ihrer Religion wegen verfolgt wurden, fanden hier eine Heimat und Frieden. Die Fahrenden kamen und wurden wahrscheinlich zum ersten Mal sesshaft. Es gefiel ihnen hier.

Der Burgenländer, der Bewohner des Grenzlandes, das Kind vieler Völker, ist vor allem Weltbürger, weil er mit jedem Menschen auf der Welt verwandt ist. Nicht nur mit den guten. (Christoph F. Krutzler, 22.8.2020)