Die zwei Anschläge gegen die Synagoge in Graz und der tätliche Angriff gegen den Präsidenten der winzigen jüdischen Gemeinde bedeuten eine neue Dimension der Bedrohung der Juden auch in Österreich. Die von dem angegriffenen Präsidenten, Elie Rosen, ausgesprochene Warnung – "Niemand darf sich allzu sicher sein" – sollen die Nichtjuden ernst nehmen. Der Antisemitismus ist das historisch unfehlbare Barometer dafür, ob und wann die Demokratie in Gefahr ist.

Angesichts der propalästinensischen Schmierereien an der in der Pogromnacht vom 9. November 1938 niedergebrannten und erst 2000 wiederaufgebauten Synagoge muss man immer wieder daran erinnern, dass, wer Judenhass sät und Homophobie betreibt, auch Islamhass ernten wird, weil die Menschenfeindlichkeit unteilbar ist. Nicht nur die Anschläge in Graz, sondern auch der Antisemitismusbericht 2019 der Israelitischen Kultusgemeinde mit mehr als 550 antisemitischen Vorfällen (doppelt so viele wie 2014) zeigen in aller Deutlichkeit die Heuchelei jener, die den wachsenden Judenhass verschweigen, verdrängen oder verniedlichen.

Solidaritätskundgebung nach dem Angriff auf Elie Rosen, den Präsidenten der jüdischen Gemeinde in Graz.
Foto: APA/INGRID KORNBERGER

Es ist nicht zu bestreiten, dass die antisemitischen Taten in Österreich, wie auch in Deutschland, mehrheitlich rechtsextrem motiviert sind. Dass mit der muslimischen Massenmigration auch eine breite Schicht muslimischer Mitbürger in Westeuropa Hass gegen die Juden als Teil ihres Alltags mitbringt, ist auch eine Realität. Auch die drastische Israel-Feindschaft von links schürt den Antisemitismus.

Mahnung an alle Demokraten

Die Juden in Österreich (die Kultusgemeinde zählt rund 8000 Mitglieder) sind in den letzten Jahren von Terroranschlägen verschont geblieben. Die empörte Reaktion des offiziellen Österreich auf die erschreckenden Vorfälle in Graz war schnell, eindeutig und glaubhaft. Im Gegensatz zur Zeit des Haider-Kultes und der Waldheim-Affäre wird die Erinnerung an die Shoah, die Ermordung von zwei Dritteln des europäischen Judentums, wissenschaftlich, literarisch und medial gepflegt.

Trotzdem ist der merkwürdige Fall des am Mittwoch wegen seines Glückwunsch-Postings auf Facebook an Adolf Hitlers Geburtstag zu zwölf Monaten bedingter Haft verurteilten Ex-Klubobmanns der FPÖ Niederösterreich, Martin Huber, eine Mahnung an alle Demokraten. Der vor der letzten Nationalratswahl von Bundesparteiobmann Norbert Hofer aus der FPÖ geworfene langjährige niederösterreichische Spitzenfunktionär hat das verräterische Posting bisher nicht gelöscht. Der Schuldspruch der Geschworenen gegen den 50-jährigen Träger des Großen Silbernen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik (seit Jänner 2019) wegen Verstoßes gegen das NS-Verbotsgesetz fiel mit fünf zu drei sehr knapp aus. 75 Jahre nach dem Zusammenbruch Hitler-Deutschlands glorifiziert laut Anklage dieser gestandene Politiker mit seinem "herzlichen Glückwunsch" die Person eines der größten Massenmörder der Geschichte. Wegen der nicht rechtskräftigen Verurteilung darf der Mann sogar als wilder Abgeordneter im niederösterreichischen Landtag bleiben.

Eine rechtzeitige und symbolträchtige Warnung, dass "die Vergangenheit nicht tot ist, sie ist nicht einmal vergangen" (Literaturnobelpreisträger William Faulkner). (Paul Lendvai, 24.8.2020)