Vor mehr als zehn Jahren initiierte Martin Krenn mit Studierenden der Universität für angewandte Kunst Wien das Projekt "Open Call zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Rassismus und Antisemitismus". In seinem Gastkommentar erläutert er, warum man das Lueger-Denkmal kippen und nicht stürzen sollte.

Vom Denkmal zum Mahnmal: Der Entwurf "Schieflage" hätte die Statue Karl Luegers gekippt. Die Stadt Wien konnte sich bis heute nicht dazu durchringen, das Projekt umzusetzen.
Foto: APA/Klemens Wihlidal/Andreas Praefcke

Black Lives Matter hat eine Renaissance des Denkmalsturzes eingeleitet und dadurch eine Debatte über den Umgang mit Denkmälern angestoßen. Zu hoffen ist, dass die Beschäftigung mit Manifestationen dunkler Seiten der eigenen Geschichte im öffentlichen Raum, die derzeit auch in Österreich wieder vermehrt stattfindet, nicht bald wieder aus der Mode gerät. Bisher konnte man sich in Wien noch nicht zu einer kompromisslosen Aufarbeitung des Antisemitismus Karl Luegers entschließen, welcher nach wie vor durch ein monumentales Denkmal geehrt wird. In letzter Zeit wieder häufiger stattfindende Beschmierungen des Bauwerks enthüllen das Unbehagen, das jenes innerhalb der Bevölkerung auslöst.

Jüdische HochschülerInnen und Sozialistische Jugend fordern in Petitionen den Abriss der Lueger-Statue. Oliver Rathkolb, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte, entgegnet im STANDARD, "ihn einfach auszuradieren wäre politisch gefährlich", der Platz solle als "Stachel im Fleisch" die Diskussion um wachsenden Antisemitismus und Rassismus wachhalten. Er ruft Künstlerinnen und Künstler auf, eine kreative Lösung zur historischen Kontextualisierung des Denkmals zu erarbeiten. Genau dies ist jedoch im Rahmen eines von namhaften Expertinnen und Experten unterstützten Open Calls zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals, an dem sich mehr als 220 Künstlerinnen und Künstler beteiligten, bereits vor zehn Jahren geschehen.

Versäumte Chance

Ein Blick zurück: Als sich 2010 der Todestag Karl Luegers zum hundertsten Mal jährte, versäumte die Stadt Wien die Chance, endlich klar Stellung zu beziehen und mit der Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein "Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus" eine neue Ära der Wiener Denkmalskultur einzuleiten. Der Ball lag bei der Stadt, Klemens Wihlidals Entwurf "Schieflage", der vorsah, das Denkmal um 3,5 Grad zu kippen, umzusetzen. Für die international besetzte Jury des Wettbewerbs, welcher unter anderem Doron Rabinovici, Lisl Ponger, Eva Blimlinger, Gerald Bast und Aleida Assmann angehörten, symbolisierte die Schiefstellung die Unsicherheit der Stadt Wien im Umgang mit der Geschichte des Antisemitismus. Der Künstler erklärte: "Entgegen einem Denkmalsturz wird in dem Moment, wo die Statue nur gekippt wird, das Denkmal zum Mahnmal." Trotz zahlreicher Unterstützungserklärungen aus dem In- und Ausland, einer anfänglichen Zusage des KÖR (Kunst im öffentlichen Raum Wien)und der Forderung der Umsetzung des Entwurfs durch die Grünen konnte sich die Stadt nicht durchringen, das Monument umzugestalten. Die Diskussion war jedoch eröffnet und dauert bis heute an.

Das Bundesdenkmalamt argumentiert: Das Erscheinungsbild des Lueger-Denkmals dürfe nicht beeinträchtigt werden, weshalb eine Schiefstellung nicht genehmigt werden könne. Denkmäler sollten jedoch nicht mehr als unantastbar gelten, wenn sie Personen ehren, die sich aufgrund antisemitischer Politik profiliert haben. Das ist ein demokratiepolitisch nicht tolerierbarer Widerspruch.

Ambitionierte Denkmalstürmerinnen und Denkmalstürmer führen ins Feld, Wihlidals Entwurf greife viel zu wenig in das Erscheinungsbild des Monuments ein, der mit dieser künstlerischen Intervention verbundene Aufwand würde sich nicht lohnen. Tatsächlich wäre der Eingriff bautechnisch aufwendig. Um Lueger in eine Schieflage zu versetzen, müsste der massive Sockel eingeschnitten werden, wofür es wiederum notwendig wäre, die Statue temporär zu entfernen, um sie schließlich nach gelungener Umgestaltung des Sockels am selben Standort wieder aufzustellen.

Zu harmlose Maßnahme

Die Kritik, die Schrägstellung stelle eine zu harmlose Maßnahme dar, übersieht jedoch, dass durch den scheinbar unauffälligen Eingriff die Aussage des Lueger-Denkmals radikal verändert wird: Durch die Intervention Wihlidals wird der Sturz einer der bedeutendsten Repräsentationsfiguren des historischen österreichischen Antisemitismus dauerhaft eingefroren. Es handelt sich um einen permanent eingeleiteten, zugleich unvollendeten Denkmalsturz, wodurch Luegers Ehrenmal erst zum "Stachel im Fleisch" werden würde. Die offizielle Erklärungstafel zur unangetasteten Lueger-Statue, für deren Inhalt Oliver Rathkolb verantwortlich zeichnet, kann dies nicht hinreichend erfüllen.

Der dritte gegen die Umgestaltung vorgebrachte Einwand, mit dem aktuelle Kunst allgemein häufig konfrontiert wird, bezieht sich auf die Sorge, die Schiefstellung würde von der Bevölkerung sowie von Touristinnen und Touristen nicht verstanden werden.

Auch wenn es eine Stärke künstlerischer Interventionen sein kann, sich nicht auf den ersten Anblick zu erschließen, spräche auch nichts dagegen, eine neue Informationstafel beim umgestalteten Monument anzubringen. Der Text könnte lauten: "Dieses Denkmal zeigt Karl Lueger, der als Antisemit von 1897 bis 1910 der Bürgermeister Wiens war. Er war Adolf Hitlers großes politisches Vorbild und wurde trotzdem viele Jahrzehnte von der Stadt Wien in größten Ehren gehalten. Lueger steht für einen populistischen modernen Antisemitismus, der bis in die Gegenwart reicht. Das Denkmal wurde deshalb von der Stadt Wien gekippt, der endgültige Sturz der Statue könnte erfolgen, wenn der Antisemitismus in dieser Stadt überwunden worden ist." (Martin Krenn, 27.8.2020)