Wer kann besser helfen als jemand, der es selbst erlebt hat? René Schober ist selbst wohnungslos gewesen, bevor er die Ausbildung zum Peer der Wohnungslosenhilfe begonnen hat.

Christoph Liebentritt

Der 39-Jährige ist Peer der Wohnungslosenhilfe für die Sozialorganisation Neunerhaus. Hinter dem Wort Peer versteckt sich das Konzept: Ehemals Betroffene geben ihr Wissen an andere weiter.

Der gelernte Betriebselektriker und IT-Techniker erlebte selbst Arbeitslosigkeit und prekäre Wohnsituationen. Im August 2017 meldete er sich obdachlos und zog nach einer mehrwöchigen Wartezeit für sechs Monate in das Neunerhaus Billrothstraße ein. Dies wurde auch zu einem beruflichen Wendepunkt in seinem Leben. Er berichtet hier über seinen Job und seine Peer-Ausbildung.

"Ich versuche, Gemütlichkeit auszustrahlen und für gute Stimmung im Neunerhaus Café zu sorgen. Vor kurzem hat mir ein Besucher erzählt, dass er neue Zähne bekommen hat. Er hat sich so gefreut. Ich sagte ihm daraufhin, dass es jetzt vielleicht auch mit einer neuen Freundin klappt. Seine Reaktion, das ist ebenso der Lohn für meine Arbeit. Ich kann gut mit den Menschen, die zu uns kommen. Viele sind Freigeister, so wie ich. Sie sollen einen Ort haben, an dem sie sich wohlfühlen und für ein paar Stunden entspannen können. Draußen geht es anders zu. Leider musst du in diesem System erst am Ende sein, damit einem geholfen wird. Man sieht den Leuten nicht an, wer wohnungslos ist und wer nicht. Es kann jeden treffen. Oft stehen Schicksalsschläge dahinter, die man nicht beeinflussen kann.

Das Café hat Montag bis Freitag von 10.00 bis 15.00 Uhr geöffnet. Ich fange um halb zehn an, richte das Café her, lege Informationsmaterial auf. Es gibt Kaffee und ein frisch zubereitetes Mittagessen auf freier Spendenbasis, meist vegan, mindestens aber vegetarisch. Man muss aber nichts konsumieren, jeder kann auch selbst etwas mitbringen. Wir bieten auch Beratungsgespräche mit Sozialarbeitern sowie mit mir als Peer an. Es ist ein intensiver Job – ein 25-Stunden-Job, der sich anfühlt wie ein 40-Stunden-Job, aber meine Arbeit erfüllt mich.

Ausbildung zum Peer

In meiner Ausbildung zum Peer habe ich mich durch die Kursinhalte vielfach in meinen Gedanken bestätigt gefühlt. Ich habe viel über Psychologie und zwischenmenschliche Beziehungen gelernt. Ich werde als Mensch wahrgenommen – anders als damals, als ich als Handwerker gearbeitet habe und nur funktionieren musste. Zweimal pro Woche habe ich den Kurs besucht, und in selbstorganisierten Lerngruppen haben wir gemeinsam Fragen ausgearbeitet. Wir haben uns gegenseitig bestärkt und wollten den Kurs gemeinsam schaffen, und das haben wir auch.

In der Ausbildung hatten wir auch die Aufgabe, uns damit auseinanderzusetzen, wo unsere Stärken liegen und wie wir uns in der Wohnungslosenhilfe einbringen wollen. In Gesprächen mit meinen Kurskollegen und den Sozialarbeitern hat sich bei mir herauskristallisiert, dass es Empowerment ist. Ich habe auch meine Abschlussarbeit über dieses Thema geschrieben. Man kann mit Ich-Botschaften sein Gegenüber ermutigen und inspirieren. Manchmal hör’ ich auch einfach nur zu, um zu entlasten. Es gibt Menschen, die wenig Hoffnung haben – das sehe ich besonders als Herausforderung. Diesen Menschen will ich erst recht helfen. Wenn man wirklich an jemanden glaubt, selbst wenn er oder sie es nicht tut, kann das sehr hilfreich sein. Sie müssen aber schon auch selbst ihr Leben auf die Reihe bekommen wollen, ich kann das nicht für sie erledigen.

Beobachterrolle

Mein Praktikum konnte ich im Neunerhaus Café machen. Das Motto des Neunerhauses – "Du bist wichtig" – hat mich sofort angesprochen. Ich habe selbst sechs Monate im Neunerhaus Billrothstraße gewohnt, bis ich in eine Gemeindewohnung ziehen durfte. Während des Praktikums war ich in der Beobachterrolle und habe alles aufgesogen wie ein Schwamm. Bei den KlientInnen-Gesprächen, bei denen ich dabei sein durfte, hatte ich schon das Gefühl, dass sie sich besser verstanden fühlten, wenn jemand die Situationen selbst ähnlich erlebt hat.

Zu Beginn musste ich mir sagen: Denk nicht zu kompliziert. Lass dich nicht von Fachbegriffen verwirren. Du hast das doch alles schon in deiner Jugend als Punk praktiziert: Jeder von uns hatte seine Geschichte, und wir haben gut auf uns geschaut. Ich hatte nach schweren Zeiten wieder die Freude am Leben für mich entdeckt. Wir sind füreinander da gewesen, haben uns psychisch verarztet und hatten auch Spaß am Leben. Das Mantra aus dieser Zeit habe ich noch heute: "Drauf geschissen". Tut mir leid für diese Wortwahl, damit meine ich: Das Leben ist traurig, aber auch wunderschön. Es werden immer Dinge passieren, die man nicht beeinflussen kann. Man kann sich dann ärgern, oder man kann loslassen.

Nach der Ausbildung war eine Stelle als Peer-Mitarbeiter im Neunerhaus Café ausgeschrieben, auf die ich mich gleich beworben habe. Den Job habe ich zum Glück bekommen. Nach intensiveren Arbeitstagen gönne ich mir etwas und gehe zum Beispiel an der Donau Rad fahren. Ich spiele abends auch gern Videospiele statt fernzusehen. Wichtig ist mir, den Kopf freizubekommen, um zu entspannen und Energie zu tanken. Inspirationsquellen sind für mich auch Kunst, Musik, Philosophie.

Mein Traum ist es, irgendwann gemeinsam mit meiner Schwester ein Häuschen zu bauen und im Einklang mit der Natur zu leben." (Protokoll: Stefanie Leschnik, 31.8.2020)