Bisher durften sich nur Männer zum Ausfischen in den Stadtbach von Memmingen stürzen.

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Stolz blickt Walter IV., der Taucher, von der Website des Memminger Fischertagsvereins. Dem amtierenden Fischerkönig ist in der Kleinstadt im Allgäu ja auch der größte Fang ins Netz gegangen. 1.840 Gramm wog jene Forelle, die ihm den begehrten Titel Fischerkönig einbrachte.

Viele haben ihn schon getragen, Dicke, Dünne, Alte, Junge. Aber eines haben die Fischerkönige allesamt gemeinsam: Immer sind es Männer, es gab noch nie eine Fischerkönigin, obwohl der Verein, der einmal im Jahr das berühmte "Ausfischen" des Memminger Stadtbaches organisiert, ein Drittel Frauen als Mitglieder hat.

Kübelmädle

Es ist nicht so, dass diese bei dem in der Region sehr bekannten und äußerst beliebten Spektakel mit 30.000 Zusehern gar nicht mitmachen dürfen. Während sich die Männer in den Bach stürzen und den größten Fisch zu ergattern versuchen, bleiben die Frauen als "Kübelmädle" am Rand stehen und bewachen die Fische in den Kübeln.

Sage keiner, dass das nicht auch eine schöne, erfüllende und verantwortungsvolle Aufgabe ist. Und jahrhundertelang hat sich auch niemand beschwert darüber – bis die Tierärztin Christiane Renz kam.

Seit 30 Jahren ist sie Mitglied im Fischertagsverein, zweimal hatte sie bei der Delegiertenversammlung beantragt, dass auch Frauen in den Stadtbach jucken dürfen – so wird das Ausfischen genannt.

Doch sie scheiterte. "Tradition ist Tradition", hörte sie als Antwort. Und diese Tradition gibt es zudem schon sehr lange. Sie geht auf das Mittelalter zurück, damals begann man, den Bach jährlich auszulassen und zu reinigen.

Damit sich viele Männer beteiligten, wurde unter ihnen ein Fischerkönig gekürt. Seit 1900 organisiert dies eben der Fischertagsverein. In seiner Satzung hat er Folgendes stehen: "Zur Wahrung der jahrhundertealten Tradition haben nur männliche Mitglieder des Vereins (...) das Recht zum Ausfischen des Stadtbaches."

Tradition seit dem Mittelalter

Doch seit Montag gilt diese Bestimmung nicht mehr. Das Amtsgericht Memmingen, an das sich die Klägerin gewandt hatte, sprach ein Urteil – zuungunsten des Vereins und der Tradition und zugunsten der Gleichberechtigung. Auch Frauen müssen künftig zum Ausfischen zugelassen werden.

Richterin Katharina Erdt betonte, der Fischertagsverein sei gemeinnützig und damit auch steuerlich begünstigt. Da Frauen und Männer beim Steuerzahlen gleichberechtigt seien, müsse dies auch im Vereinsleben umgesetzt werden.

Nicht gelten ließ sie das Argument des Vereins, wonach die Frauen ja ansonsten im Verein völlig gleichberechtigt wären, bloß beim Ausfischen nicht, das im Übrigen nur ein untergeordnetes Ereignis sei. Der Verein mit seinen 4.500 Mitgliedern, so das Gericht, habe in Memmingen eine besondere soziale Machtstellung und sei daher an den Grundsatz der Gleichberechtigung gebunden.

Außerdem sei das Ausfischen nicht irgendeine kleine Veranstaltung, sondern das Vereinsspektakel überhaupt. Der Fischerkönig wird mit Böllerschüssen geehrt, unter Jubel in die Memminger Stadthalle getragen und darf auch noch auf einen Birkenthron.

Jeans und T-Shirts erlaubt

Das Gericht befasste sich aber auch mit der vom Verein immer wieder ins Feld geführten Tradition, die angeblich eine Teilnahme der Frauen unmöglich mache. Ganz so traditionell laufe es beim Ausfischen ja nicht mehr ab, so Richterin Erdt. Schließlich würden die Männer heute Jeans und T-Shirts tragen und sich nicht wie im Mittelalter kleiden.

Während sich der Vereinschef Michael Ruppert "überrascht und enttäuscht" über das Urteil zeigt und erwägt, in die nächste Instanz zu gehen, ist Klägerin Renz höchst zufrieden. Bei den Interviews, die sie vor Gericht gab, hatte sie bereits eine lilafarbene Schärpe um. Darauf stand in goldenen Buchstaben: "Fischerkönigin". (Birgit Baumann aus Berlin, 1.9.2020)