An die Adresse Reischachstraße 3 verläuft man sich selten, es sei denn, man sucht die auf Google Maps verewigte "Berühmte Brücke aus Before Sunrise", den Zollamtssteg über den Wienfluss. Ums Eck liegt die Urania, gusseisernes Blattwerk ziert den Eingang, das Foyer ist noch ein richtiges Foyer, an der Decke prangen teilbekleidete allegorische Damen.

Hier im zweiten Stock ist der Sitz vom "Bridge Club Wien". Die seit 2012 denkmalgeschützten Klubräumlichkeiten sind nämlich gleichzeitig laut Denkmalamt "ein gut erhaltenes Dokument einer erstklassig ausgestatteten großbürgerlichen Wohnung der 1910er-Jahre". Die über 500 m2 große, ein ganzes Geschoß umfassende Wohnung, in der heute Karten gespielt wird, wurde 1913 von Architekt Adolf Loos eingerichtet. Hier wohnte das jüdische Ehepaar Löwenbach, Emil Löwenbach war Privatier, Sohn eines Tuchhändlers oder Wollfabrikanten. Und diese Wohnung spielte tatsächlich aller Stückerln.

Prunk und Eleganz: die von Adolf Loos entworfene Räumlichkeit ...
Foto: Regine Hendrich

Wer heute hier hereinkommt, dem wird aber erst einmal Fieber gemessen. Es herrscht Maskenpflicht. Die Fenster sind weit geöffnet, der erste Bezirk weht herein, der Blick fällt auf das inzwischen leicht absurd anmutenden Bundesamtsgebäude, Architektur brutal aus den 1980er-Jahren. Hier herinnen im Erkerzimmer mit halbrunder Sitzbank herrscht im Gegensatz größtmögliche Eleganz.

Take me to the bridge

Am frühen Nachmittag versammeln sich bereits die ersten Spielerinnen (90 Prozent) und Spieler (zehn Prozent) an den kleinen viereckigen Tischen, acht Tische sind besetzt, 32 Menschen haben sich "hergetraut", trotz Corona, normalerweise wären es 20, 22 volle Tische gewesen. Und dann steht man vor der legendären Zimmerflucht: Durch das ehemalige "Herrenzimmer", ein eleganter Salon getäfelt mit indischem Zitronenholz, gelangt man in den überdimensionalen Speisesaal – und der ist nun wirklich spektakulär. Eine weiße, grün-grau gemaserte Marmorverkleidung, über der eine rosettenverzierte Decke mit insgesamt 108 Glühbirnen (vier Lichtschalter!) prangt, ein riesiger Spiegel wiederholt die ganze Pracht.

... umfasst fast 500 Quadratmeter.
Foto: Regine Hendrich

Der Luxus verbirgt sich auch im Detail, in jeder Lampe, jedem Messingbeschlag. Man hatte Dampfzentralheizung und einen Stockwerksstaubsauger der "Commandit Gesellschaft Vacuum Cleaner". Und hätte nicht eine Fliegerbombe im Zweiten Weltkrieg den anderen Teil der Wohnung zerstört, dann könnte man auch noch das Schlaf- und das Frühstückszimmer im Originalzustand besichtigen. Das Personal konnte, ohne zu stören, alle Zimmer über einen innenliegenden Pawlatschengang erreichen und lebte selbst in fensterlosen Kammerln.

Spielen in Corona-Zeiten

Über zwei Monate war der Klub geschlossen, die Bridgeszene verlor acht Mitglieder an die Krankheit. "Ich selbst hab Corona gehabt, meine Gattin auch, wir haben’s überlebt, Gott sei Dank", erzählt Bridgeklubobmann Josef Paulis, der uns durch die Räumlichkeiten führt.

Die Bridgeszene verlor acht Mitglieder an Corona.
Foto: Regine Hendrich

Hier spielt die Risikogruppe. Die Karten werden nur von den einzelnen Spielern berührt, erst nach 72 Stunden kommen sie wieder zum Einsatz. An jedem Tisch steht Desinfektionsmittel. Und dazwischen spielen ungerührt elegant gekleidete ältere Damen, die alle ein bisschen so aussehen, als ob sie einst Ministerialämter bekleidet hätten. Zur Jause gibt es Sacher- oder Pusztawürstel, Kümmelbratenbrot und Liptauerstangel und sehr ordentliche Weinbegleitung vom Jurtschitsch-Riesling bis zum Gemischten Satz vom Mayer am Pfarrplatz.

Die Karten werden nur von den einzelnen Spielerinnen berührt.
Foto: Regine Hendrich

Bridge ist für Außenstehende quasi unmöglich zu verstehen, es gibt Kurse, die dauern 39 Wochen. Spielen kann man dann überall, "man findet Freunde auf der ganzen Welt, wenn man will", so Paulis, auch hier gibt es gelegentlich internationale Gäste. Es handelt sich um ein Lizitspiel, alle Spieler bekommen gleiche Karten, im Computer wird dann mit Punkten gemessen, wer sich am besten geschlagen hat.

Die Windrichtungen bezeichnen die vier Spieler am Tisch, deshalb hängt auch in jedem Zimmer ein großes "N" für Norden. Beklagt wird die Monatsmiete von 5.600 Euro, für die Lage und das Interieur nicht viel, für den Verein aber schon. Überstanden hat der Klub die finanzielle Trockenzeit durch Corona durch einen völlig anders gearteten Glücksfall: Die Dreharbeiten zur Verfilmung der Schachnovelle mit Oliver Masucci und Birgit Minichmayr letzten Dezember. Mit der Miete kommt man noch eine Weile durch. Nur der Nachwuchs fehlt. Falls Sie also 39 Wochen Zeit haben... (Julia Pühringer, 6.9.2020)