Thomas Berger ist Leiter der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Wien.

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Das Sars-CoV-2-Virus dockt auch an den Riechzellen an. Doch der Riechverlust vergeht wieder, sehen Neurologen wie Thomas Berger von der Med-Uni Wien.

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STANDARD: Das neue Coronavirus verursacht vor allem Atemwegserkrankungen, manchmal jedoch auch neurologische Symptome, etwa Riech- und Geschmacksstörungen. Gehen die wieder weg?

Berger: In 95 Prozent aller Fälle ja, das sehen wir jetzt. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Riechstörungen zwei bis drei Wochen nach einer Infektion besser werden, in sehr seltenen Fällen kann es länger dauern.

STANDARD: Warum treten die Riechstörungen nur bei manchen auf?

Berger: Es kommt darauf an, an welchen Zellen das Coronavirus andockt. Da geht es also um den berühmten ACE-2-Rezeptor, der auch an den Riechzellen oder den mit dem Riechen assoziierten Zellen rundherum zu finden ist. Diese Zellen sind dann entzündet, wenn die Infektion aber abklingt, verschwinden auch die Riechstörungen wieder.

STANDARD: Sars-CoV-2-Infektionen können also nicht zu einem nachhaltigen Verlust führen?

Berger: Wir nehmen nicht an, weil wir ja auch Erfahrungen mit anderen Infekten haben, bei denen wir einen ähnlichen Verlauf beobachten. Nachhaltiger Riechverlust ist oft die Folge von einer Vergiftung, wenn es Kontakt mit Toxinen gab. Oder er kann mechanische Ursachen haben. Durch schwere Erschütterungen wie etwa nach Unfällen reißt der Riechkolben ab.

STANDARD: Welche neuen Erkenntnisse gibt es zu Covid-19 in neurologischer Hinsicht?

Berger: In den letzten drei Monaten sind über 2.000 Publikationen zu diesem Thema erschienen. Sie lassen sich grob in drei Themenbereiche teilen. Eine zentrale Erkenntnis ist, dass das Sars-CoV-2-Virus kaum tatsächliche Gehirnentzündungen verursacht. Da gibt es nur extrem wenige Fallberichte, und das ist eine gute Nachricht, die Masern zum Beispiel sind da wesentlich gefährlicher.

STANDARD: Kann es nicht nach einer überstandenen Infektion ebenfalls zu neurologischen Auffälligkeiten kommen?

Berger: Genau, das ist übrigens bei einer Reihe von Infekten der Fall. Es sind die sogenannten parainfektiösen Symptome. Sie haben eigentlich nicht direkt etwas mit dem Virus selbst zu tun, sondern eher mit der immunologischen Reaktion, die das Virus hervorruft.

STANDARD: Können Sie das genauer erklären?

Berger: Wenn eine Infektion, beispielsweise durch ein Virus, erfolgt, dann reagiert unsere immunologische Abwehr dagegen. Unser Immunsystem erkennt aber nicht das Virus als Ganzes, sondern nur eine Art "Visitenkarte", die aus einer Abfolge von Aminosäuren besteht. Wenn diese Abfolge aber auch noch woanders im Körper vorkommt, dann richtet sich das Immunsystem auch gegen diese körpereigene Struktur. Es ist quasi ein immunologischer Zufall, der da passiert.

STANDARD: Mit welcher Konsequenz?

Berger: Dass sich Immunzellen nicht nur gegen das Virus richten, sondern auch gegen eigene Strukturen, etwa die Myelinschicht rund um die Nervenbahnen. Dann treten periphere Nervenstörungen auf, etwa das Guillain-Barré-Syndrom. Das wurde zuletzt auch bei der Infektion mit dem Zikavirus beobachtet, es sind auch ein paar Fälle von transversaler Myelitis als Folge von Covid-19 beschrieben. Aber wie gesagt: extrem selten.

STANDARD: Die transverse Myelitis war aber doch eine Nebenwirkung, die in der Impfstoffstudie von Astra Zeneca aufgetreten ist?

Berger: Die transverse Myelitis kann sowohl als Folge der Erkrankung selbst, aber auch als Folge der Impfung auftreten. In klinischen Studien wird das nur viel eher manifest, weil man ja sämtliche Nebenwirkungen penibel genau beobachtet.

STANDARD: Was bedeutet es für die Impfung?

Berger: Es geht immer um das richtige Verhältnis. Ein Impfstoff muss so effektiv sein, dass er in sehr kurzer Zeit einen Menschen immun macht, denn sonst würde er sich während einer Infektionswelle ja ständig wieder neu anstecken. Man will also eine starke Wirkung. Doch gleichzeitig sollen durch diese starke Wirkung auf den Körper keine Nebenwirkungen entstehen. Bei sämtlichen Impfstudien ging es darum, abzuwägen, ob diese transverse Myelitis, die ja auch ohne eine Impfung bei einer Sars-CoV-2-Infektion auftreten kann, verhältnismäßig ist. Und es gibt ja auch Fälle, wo eine Infektion klinisch stumm verläuft.

STANDARD: Wie meinen Sie "klinisch stumm"?

Berger: Eine Infektion ohne Symptome. Es könnte durchaus sein, dass der Proband in der klinischen Studie, der eine transverse Myelitis entwickelt hat, bereits mit Sars-CoV-2 infiziert war. Nur eben, ohne es zu merken. Das alles sind Fragen, die die Wissenschafter klären müssen. Sie sind aber nicht spezifisch für die Corona-Impfung, sondern solche Nebenwirkungen treten ja bei allen Impfungen auf. Sie sind also in dem Sinn nichts Neues. Auch bei allen anderen Impfstoffen, die derzeit in klinischen Studien getestet werden, ist anzunehmen, dass die eine oder andere Nebenwirkung mit neurologischen Symptomen auftreten wird. Es kommt auf die Häufigkeit an. Nutzen, Wirkung und Nebenwirkungen müssen gegeneinander abgewogen werden.

STANDARD: Was ist mit Covid-Patienten, die eine Intensivbehandlung hinter sich haben. Sind Sie neurologisch beeinträchtigt?

Berger: Vielleicht vorweg: Wer einen Intensivstationaufenthalt wegen Covid-19 hat, sollte unbedingt neurologisch untersucht werden. Aus zwei Gründen: Im Rahmen des schweren Verlaufs verursacht die Infektion eine generalisierte Entzündung im ganzen Körper. Diese Reaktion wird immunologisch von einem sogenannten Zytokinsturm begleitet. Im Rahmen dessen kann es zu Enzephalopathien oder, wenn auch Blutgefäße betroffen sind, zu einem Schlaganfall kommen. Wenn ein Intensivaufenthalt überstanden wurde, könnten – derzeit noch spekulativ – mittel- bis langfristige Folgen auftreten, zum Beispiel kognitive Einbußen und Schlafstörungen.

STANDARD: Was empfehlen Sie?

Berger: Nach schwerem Verlauf unbedingt einen regelmäßigen neurologischen Check-up durchführen lassen. Rehabilitation ist für eine Genesung sehr förderlich. (Karin Pollack, 30.9.2020)