Zum ersten Mal seit 1913 kam er wieder nach Österreich. Zunächst war es von München aus nur knapp über die Grenze gegangen. Im August 1920 hat Adolf Hitler an einer Tagung in Salzburg teilgenommen, in der sich Nationalsozialisten aus Österreich, Deutschland und den deutschsprachigen Gebieten der Tschechoslowakei auf ein gemeinsames Vorgehen einigten. Es wurde ein Koordinationsbüro gegründet und hinausposaunt, dass eine gemeinsame Partei entstanden sei, die von Kiel bis Villach nur einen Namen trage. Hitler war zu diesem Zeitpunkt kein Unbekannter mehr, sondern galt schon als der "Trommler" der bayrischen nationalsozialistischen Partei, der sich in München einen Namen gemacht hatte.

Österreich-Tour

Da am 17. Oktober 1920 in Österreich Wahlen zum Nationalrat anstanden, ersuchten österreichische Nazis den "Trommler", auch hierzulande etwas Wirbel zu machen. Die Wahlkampfreise dauerte vom 29. September bis zum 13. Oktober. Sie führte von Innsbruck über Linz nach Wien und ins Waldviertel, der Heimat des radikalen alldeutschen Politikers Georg von Schönerer, dessen Wählerschaft man zu erben erhoffte. Es ist die erste Wahlkampftournee Hitlers.

Aus erhaltenen Aufzeichnungen und Zitaten in Zeitungen lassen sich die Inhalte seiner Reden rekonstruieren. Ausgangspunkt bildete stets das "Unrecht" der Pariser Friedensverträge. Das kam gut an bei den Anhängern eines Anschlusses an Deutschland, die es in allen politischen Lagern gab. Noch im Frühjahr 1920 hatte die österreichische Regierung Anschluss-Kundgebungen untersagt, weil sie internationale Verstimmungen fürchtete. Im Wahlkampf machte man sich nun umso deutlicher Luft.

Festabende des "Trommlers"

Wie ein professioneller Entertainer bereitete Hitler sich auf seine Auftritte vor. Er wusste genau, welche Phrasen und rhetorischen Tricks beim Publikum funktionierten. Noch waren auch Fragen und Gegenredner zugelassen. Das Schlusswort allerdings behielt sich Hitler vor. Es sollte dazu dienen, die jeweilige Gegenposition zu widerlegen. Wer allerdings mit Zwischenrufen störte, dem konnte es passieren, dass ihn "Saalschützer" hinausprügelten. In München hat es bald keiner mehr gewagt, sich allzu kritisch hervorzutun.

Die Veranstaltungen der Reise wurden öfters mit dem freundlichen Titel "Festabend" beworben. Manches an der Regie dieser Abende wirkte noch ein wenig improvisiert und uneinheitlich, anderes hatte schon ganz den Charakter späterer Auftritte des "Führers". Konrad Heiden, einer der ersten Biogrfen Hitlers, hat eine solche Versammlung treffend beschrieben: Hitler prostet zu Beginn den Gästen zu, ermahnt sie dann zur Ruhe, wartet, fasst den Tisch an, findet den Anfang nicht, rückt Papiere zurecht, kann sich nicht zum Reden entschließen, bis er mit einem Ruck seine Nervosität abwirft und mit fester Stimme beginnt: "Volksgenossen!". Hitler, so Heiden weiter, lebt sich selbst in seinen Reden einen ehrlichen Mann vor. Auf dem Höhepunkt ist er ein von sich selbst Verführter. "Und mag er die dickste Lüge sagen, dann ist er jedenfalls in dem Augenblick so vollständig der Ausdruck seines Wesens, dass selbst von der Lüge noch ein Fluidum von Echtheit auf den Besucher überströmt."

Hitler auf Propagandafahrt in Bayern 1923.
Foto: Bundesarchiv, Bild 102-00204 / CC-BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.de)

Jubelnde Menschen, lobende Presse

Hitlers Reden auf seiner österreichischen Wahlkampfreise dauerten etwa zwei Stunden. Es ging um den "Niedergang" Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg, seine angeblich unfähigen politischen Führer und warum sich eine Partei wie die deutsche NSDAP bilden müsste. Hitler versuchte diese als linke Partei zu positionieren und bezeichnete sich selbst gerne als "Arbeiterführer". Ein wahrer Sozialist müsse eben auch Nationalist sein und sein Volk lieben – international seien nur "das Kapital" und "das Judentum". Sozialdemokraten und Kommunisten seien daher keine Vertreter des Volkes und Verräter der Arbeiterschaft. Spätestens dann musste er damit rechnen, Widerspruch hervorzurufen. Denn zu den meisten "Festabenden" waren Sozialdemokraten oder Kommunisten als Gegenredner eingeladen. Da aber die österreichischen Nationalsozialisten als Gastgeber Hitlers Auftritte gut organisiert hatten, blieb er Herr der Lage. Aber nicht immer.

Die erste Rede hielt Hitler am 29.9.1920 im Großen Stadtsaal von Innsbruck. Er dozierte über die Friedensverträge von Versailles und St. Germain, die nie hätten unterzeichnet werden dürfen, aber auch über die "glorreichen" Errungenschaften der Deutschen Revolution von 1918, die verraten worden wären von jenen, die immer von internationaler Solidarität "faselten". Wie nach dem Zusammenbruch Roms stünden sich nun Proletarier und Bürger gegenüber. Die Not der Zeit gebiete aber, dass diese Gegensätze schwinden würden. Die NSDAP sei eine Partei der "ehrlich Schaffenden", sie sei national, sozial und antisemitisch. Und sie sei fest entschlossen, die "Judenfrage bis zur letzten Konsequenz mit der bekannten deutschen Gründlichkeit zu lösen".

Die bürgerliche Presse war von Hitler begeistert. In den "Innsbrucker Nachrichten" war zu lesen, dass hier "ein glänzender Redner" sprach, ein "Feuerkopf, der die Kraft hat, Ansichten mit zwingender Gewalt zu verbreiten und er scheint auch die Energie zu haben, um als Führer einer politischen Partei, die sich selbst als Sturmtruppe bezeichnet, Erfolge zu erringen".

Titelblatt der "Innsbrucker Nachrichten" nach Hitlers Auftritt.
Foto: anno/Österreichische Nationalbibliothek

Sozialdemokratischer Widerstand

Am 1. Oktober 1920 trat Hitler im Kurhaussaal in Salzburg auf. Die Rede war die gleiche, allerdings ging es in der Diskussion deutlich heftiger zu. Und doch: Mit dem Absingen der "Wacht am Rhein" endete auch hier die "würdig verlaufene Versammlung", wie das "Salzburger Volksblatt" wissen ließ. Am nächsten Tag sprach Hitler im Saal des Gasthofs Scheicher in Hallein. Der Redakteur der katholischen "Salzburger Chronik" konnte dem "Herrn Hitler aus München" viel abgewinnen, vor allem wenn er von der "tiefsten Wurzel alles Elends sprach, der Ausbeutung durch das im Zinskapital verkörperte Judentum". Dass Sozialdemokraten die Veranstaltung gesprengt und Hitler in die Berge gejagt hätten, ist eine Legende. Es waren die Sozialisten, die den Saal verließen. Allerdings blieben einige sozialdemokratische Frauen zurück und machten solchen Lärm, dass die Veranstaltung abgebrochen werden musste.

Hitler und die österreichischen Nationalsozialisten wussten spätestens jetzt, dass sie in sozialdemokratisch regierten Städten mit scharfem Gegenwind zu rechnen hatten, wenn die örtliche Parteiführung es verstand, ihre Anhänger zu mobilisieren. Das war in seiner Geburtsstadt Braunau, wo Hitler am 3. Oktober im Hotel Fink auftrat, nicht der Fall. Als Gegenredner war dort der Kommunist Leopold Siharsch angetreten, der aber kaum Mitkämpfer mitgebracht hatte und nach seinen Ausführungen niedergeredet wurde. Dass man Hitler in seiner Geburtsstadt besonders schonen wollte, ist nicht anzunehmen. Man kannte ihn dort nicht. Die "Braunauer Nachrichten" berichteten von einem "August Hittler". Danach hatte der erschöpfte Wahlredner eine Pause. In Linz war keine größere Rede, sondern nur eine "zwanglose Zusammenkunft mit Familien" im Gasthof Scharmüller vorgesehen. Zwei Tage später sollte es in St. Pölten dafür umso turbulenter zugehen. (Christian Rapp, 15. 10. 2020)

Fortsetzung folgt.