Stellen wir uns vor, der Mediziner Sukharit Bhakdi wäre im Jahr 1912 im Nordatlantik unterwegs, auf einem Ozeandampfer mit dem Namen Titanic, und es hätte ein wenig gerumpelt nach einer Havarie mit einem Eisberg. Bhakdi würde im großen Saal stehen und den Gästen der ersten Klasse einen Vortrag halten: "Eisberg: Fehlalarm." Und die feinen Pinkel würden klatschen und lachen über die verzweifelten Durchsagen des Kapitäns, man solle doch bitte die Schwimmwesten anlegen und sich zu den Rettungsbooten begeben. "Alles Panikmache", würde mancher im Saal schreien, oder: "Da will wohl ein Kapitän unbedingt seine Autorität unter Beweis stellen." 

Bestseller mit einem Fail: Leider kein "Fehlalarm"

Der emeritierte Mikrobiologe Bhakdi hat im Sommer mit dem Buch "Corona: Fehlalarm" eine Bestseller gelandet und er hat nicht nur die feinen Pinkel zum Lachen gebracht. Der Wissenschafter hat mit seiner Fehleinschätzung ein ziemlich breites Soziotop von Seuchenfreunden, Maskenverweigeren und Verschwörungsplauderern betört. In diesen Kreisen ist der Wissenschafter, der dem wissenschaftlichen Konsens widerspricht, der Held. Da können Faktenchecker Bhakdis Thesen Punkt für Punkt zerlegen, da kann die Realität den keck verlautbarten "Fehlalarm" zur Chuzpe degradieren und da kann das Robert-Koch-Institut seitenlange Erklärungen zur Sinnhaftigkeit von Masken, Hygiene und Abstand abgeben. Bhakdi sitzt beim "Corona Quartett" des Senders Servus TV und flötet in die Kamera: "Reißt die Masken runter, gebt Euch die Hand und fangt an zu singen."   

Vor kurzem hat Bhakdi dazu aufgerufen, die "Barrington-Erklärung" zu unterzeichnen. Die Petition zielt darauf ab, dass eine rasche Durchseuchung der Nicht-Risiko-Gruppen bei gleichzeitiger Separation der Risikogruppen Sinn macht. Hinter der Erklärung steht letztlich eine eiskalte neoliberale Rechnung: Wie viele Tote sind uns Party machen und ein möglichst ungehinderter Gang der Dinge ohne Lockdown wert? Der britische Ökonom Richard Murphy bringt die Sache auf den Punkt: Die Barrington-Erklärung hat nichts mit Epidemiologie zu tun, aber sehr viel mit ultrarechter Wirtschaftspolitik. 

Eine eiskalte neoliberale Rechnung

Hinter der Barrington-Erklärung steht der neoliberale Think-Tank American Institute for Economic Research. Dort richtet man auch Klimaforschern aus, dass sie ein wenig übertreiben mit der CO2-Panikmache. Fast bizarr mutet ein Paper zum Thema Sweatshops in Asien an. Der Autor des Instituts kommt zum Schluss, dass es die Arbeiter in Fernost angesichts der Alternativen zum Lohnerwerb in den Textilmühlen eh gut erwischt haben.

Wer nun glaubt, dass die "Barrington-Erklärung" nur in rechten und neoliberalen Milieus Anklang findet, der irrt. Ich erhalte regelmäßig den Newsletter des Bioladens Nets.werk aus Steyr. Dort gibt es nicht nur Tipps zu fair gehandelten Mandarinen vom Peloponnes und feinem Schafkäse aus der Region, sondern stets auch eine ganze Latte von knallhartem Covidioten-Kram. Der Bioladen teilt mir unter anderem mit, dass nun endlich bewiesen sei: "Masken sind gesundheitsschädlich." Für Bhakdi und die "Barrington-Erklärung" aus dem Stall der neoliberalen Scharfmacher rührt das faire Nets.werk seit Wochen penetrant die Werbetrommel. 

Dass Bhakdi ein Bionetzwerk betört, ist für die Betreiber umso peinlicher, wenn man bedenkt, wen Bhakdi ansonten betört. Bhakdi bedient ganz bewusst die Szene der Verschwörungsplauderer. Bhakdi ist unter anderem Autor im Magazins „Rubikon“. Das Internet-Portal hat ein offenes Ohr für Aids-Leugner und rezensiert auch mal Adolf Hitlers Schrift „Mein Kampf“ verständnisvoll wohlwollend.

Von einem Milieu, dass Angela Merkels Deutschland mit Adolf Hitlers Deutschland in gedankliche Nähe setzt, kann man sich fernhalten, wenn man Wert auf Seriosität legt. Bhakdi tut das nicht. Er publiziert dort. Er macht dort Werbung für sein Buch. Und er stößt ins selbe Horn. In einem seiner Beiträge vergleicht er die Anti-Corona-Maßnahmen der Gegenwart mit der Nazi-Diktatur: „Es ist knapp 90 Jahre her, dass die Meinungsfreiheit abgeschafft wurde und die Volksmeinung gleichgeschaltet wurde.“ Bhakdi beklagt die Corona-Maßnahmen und nennt sie Denunziantentum, Gleichschaltung der Medien und Zensur der Meinungsfreiheit: „Dieses Mal stand nur ein gewöhnliches Virus vor der Tür, und was haben wir erlebt (...) Wer sich da nicht an eine Diktatur erinnert fühlt, hat im Geschichtsunterricht geschlafen."

Ganzkörperschutz für alle, die mit Corona-Patienten arbeiten.
Foto: REUTERS/Stephane Mahe

Die Wahrheit über die "Pandemie" und das "Innere der Erde"

Ende November tritt Bhakdi beim "Wahrheitskongress 2020" auf. Unter den Referenten finden wir unter anderem: Peter Fitzek, einen deutschen Reichsbürger, der sich schon mal zum Oberhaupt des "Königreichs Deutschland" krönen ließ. Dazu das Who-is-who der Impfgegner, Pädophilen-Jäger und 9/11-Truther. Ein Q-Anon-Überraschungsredner ist angeteasert. Die Referenten werden laut Webseite "die Wahrheit ans Licht bringen", rund um die "Corona-Pandemie", den "Ausstieg aus der BRD", den "Deep State" und: "Das Innere der Erde". (Christian Kreil, 18.11.2020)

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