Als Joe Biden am Samstag von den großen Medienstationen zum Sieger erklärt wird, beginnt vor dem Weißen Haus in Washington die Party. Die meisten kamen mit Maske.

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Michael Wille hat auf ein Stück Pappe gekritzelt, was er sich wünscht. Er hat eine Schnur durch die Pappe gezogen, sodass er sich das schnell gefertigte Poster um den Hals hängen kann. Damit steht er nun, am Samstagabend Ortszeit, mitten in einer Traube ausgelassen jubelnder Menschen auf der Black Lives Matter Plaza. Auf einer breiten Straße, die von Norden her direkt zum Weißen Haus führt und auf deren Asphalt seit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd in riesigen gelben Lettern zu lesen ist, dass schwarze Leben zählen. Tausende sind spontan zur Black Lives Matter Plaza gezogen, nachdem klar war, dass Donald Trump die Wahl verloren hat. Es wimmelt nur so von Transparenten, und dass sich einiges an Häme in den Jubel mischt, erkennt man schon an den Sprüchen.

"You’re fired!": Es ist eine Anspielung auf den Satz, mit dem der Star der Fernsehserie The Apprentice einst Lehrlinge nach Hause schickte, die ihre Prüfung fürs Business in seinen Augen nicht bestanden hatten. Das "Fuck Trump!", das ebenfalls prominent vertreten ist, bedarf wohl keiner Erklärung, was auch für die Aufforderung gilt, den Möbelwagen zu bestellen. Dann wäre da noch "Bydon" oder auch "Bye-Don", angesichts des Sieges Joe Bidens ein ironischer Abschiedsgruß an den Amtsinhaber.

Widerstand mit Ablaufdatum

Michael Wille hat es mit ausgesuchter Höflichkeit so formuliert: "Please concede, Mr. President." Ins umständlichere Deutsche übersetzt heißt es, dass der Präsident seine Niederlage bitte eingestehen möge. Fragt man den 34-Jährigen, für wie wahrscheinlich er hält, dass der Mann im Weißen Haus seiner Bitte nachkommt, verzichtet er auf jegliche Höflichkeitsfloskeln. "Er wird lügen, er wird twittern, er wird Leute verklagen. Und dann wird er gehen." Spätestens am 14. Dezember, wenn das Electoral College mit seinen 538 Wahlmännern und -frauen den nächsten Präsidenten zu benennen hat, werde er aufgeben. Glaubt Michael Wille.

The Telegraph

Was sie von ihm halten, die Bewohner der Stadt, in der Donald Trump seit vier Jahren lebt, haben sie am Wochenende in aller Deutlichkeit klargemacht. Am Samstag, am späten Vormittag, nachdem die Fernsehsender Biden zum Wahlsieger ausgerufen hatten, war der Verlierer gerade in seinem Golfklub in Virginia eingetroffen. Auf dem Rückweg zum Weißen Haus fuhr seine Wagenkolonne an Schaulustigen vorbei, die ihn ausbuhten und ihm den Mittelfinger zeigten. Ansonsten ließ die Stimmung an argentinische, brasilianische, französische, italienische oder auch deutsche Städte nach dem Titelgewinn bei einer Fußballweltmeisterschaft denken. Sternenbanner wurden geschwenkt, mit Topfdeckeln Konzerte improvisiert. Kaum eine Straßenkreuzung, an der nicht Menschen standen, die Autofahrer zum Hupen aufforderten. Washington, kann man sagen, war am Samstag ein einziges Hupkonzert.

Etwas mehr Normalität

Fragte man Latifah Ferguson und Samantha Sargent nach ihren Gefühlen, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen: "Erleichterung." Die endlosen Tage, in denen sich die Auszählung der Stimmen hinzog, hätten ihr Nervenkostüm arg strapaziert, räumte Ferguson ein, 31 Jahre alt, Afroamerikanerin, von Beruf Managementberaterin. Zwischenzeitlich habe sie auch damit gerechnet, dass Biden noch den Kürzeren ziehen könnte. Umso mehr fühle es sich nun an wie ein Befreiungsschlag. Nein, mit der Welle der Euphorie, die 2008, nach dem ersten Sieg Barack Obamas, durchs Land rollte, könne man den 7. November 2020 nicht vergleichen. "Aber vielleicht ist es die Chance, dass wieder etwas mehr Normalität einzieht."

Und Trump? Wird er gehen? Mick Mulvaney, eine Zeit lang Stabschef im Weißen Haus, glaubt, dass sein einstiger Dienstherr den Tatsachen über kurz oder lang ins Auge sieht. So schnell, orakelt der einstige Adlatus, werde er das Resultat allerdings nicht akzeptieren, sondern nur nach hartem juristischem Kampf, der gleichsam mit einem K.-o.-Schlag ende. Dass ihn Medienvertreter, die ihn hassten, zum Verlierer stempelten, sei für Trump "bedeutungslos". Man müsse sich die Stimmzettel in Städten wie Philadelphia noch einmal genauer anschauen, schrieb der Präsident am Sonntag in einem Tweet. Philadelphia ist die größte Stadt Pennsylvanias, des Staates, in dem Biden am Samstag zum Sieger ausgerufen worden war, womit der Demokrat die entscheidende Hürde genommen hatte. "Wir glauben, diese Leute sind Diebe", protestierte Trump – und behauptete einmal mehr, dass ihm der Wahlsieg gestohlen worden sei. Die Maschinerie in den Großstädten sei durch und durch korrupt, wetterte er.

Emotionaler Auftritt

Der Name, der im siegestrunkenen Washington in aller Munde ist, ist der von Van Jones. Vor Jahren gehörte Jones zum Wahlkampfteam Obamas, inzwischen ist er CNN-Kommentator. Scharf in der Analyse, gehörte er immer zu denen, die ohne Polemik zu ergründen versuchten, warum so viele US-Amerikaner Trump den Zuschlag gaben. Am Samstag aber ließ er seinen Emotionen freien Lauf. "Es ist von heute an leichter, ein Vater zu sein. Es ist einfacher, deinen Kindern zu sagen, dass es auf den Charakter ankommt", sagte er unter Tränen. "Dass es wichtig ist, dass man die Wahrheit sagt. Dass es wichtig ist, ein guter Mensch zu sein." Es tue ihm leid für die Leute, die heute verloren hätten, beendete Jones seinen Monolog. "Aber für viele Leute ist das heute ein guter Tag." (Frank Herrmann aus Washington, 8.11.2020)

CNN