Was weiß man schon über Armenien, das gerade in einen Krieg mit Aserbaidschan verwickelt wird? Gewiss, vom Berg Ararat hat man schon gehört, auf dem einst die Arche Noah gestrandet sein soll (Wer's glaubt!), und die Hauptstadt kennt man von kindlichen "Radio Erewan an …"-Witzen. Aber sonst? Man fragt also nach bei den Mechitaristen im 7. Wiener Gemeindebezirk, und der überaus fröhliche Pater Vahan Hovagimian, geboren 1958 in Kamschlie im Nordosten Syriens, lädt zu einem Termin, bei dem erfreulicherweise schon ab 10 Uhr vormittags feinster Kräuterlikör serviert wird. Er führt uns in den Empfangsraum des mehrere tausend Quadratmeter großen Klosters, in dem sein ebenso freundlicher Kollege Narek Dadourian, geboren 1963 im syrischen Aleppo, dazustößt. Man setze den beiden schwarze Sonnenbrillen und Hüte auf, und sie könnten als Blues Brothers durchgehen.

Beide sind armenische Benediktiner und gehören zu der über die ganze Welt verstreuten Diaspora, geschätzte zehn Millionen Armenier gibt es. Ihr Orden wurde 1701 von Mechitar von Sebasteia in Konstantinopel gegründet, in Wien bezog man 1811 das alte Kloster der Kapuziner, es wurde abgerissen und nach Plänen des Architekten Joseph Kornhäusl neu erbaut. Darauf trinken wir ein erstes Stamperl, Pater Vahan schenkt gut ein, "Prost" heißt auf Armenisch "Genats", was sogar in manchem Kreuzworträtsel nachgefragt wird, also sagen wir: "Genats!"

Pater Vahan Hovagimian zeigt, wo Armenien liegt.
Foto: Matthias Cremer

"Alt und lieb"

Die Sowjets hätten Pater Vahans Familie 1964 mit offenen Armen aufgenommen, sein Vater war Brunnenbauer. Aber die Großmutter wollte ihre Enkerl später nicht in der UdSSR besuchen, daher übersiedelte die Familie nach Beirut, als Vahan sieben war. Dort besuchte er die Schule der Mechitaristen, und mit 13 kam er als Seminarist nach Wien. "Schön!" sei die Stadt damals gewesen, erinnert er sich, "alt und lieb!". In Gruppen durften sie immer wieder hinaus, sogar in kurzen Hosen, aber sehr oft nach links und rechts sollten sie dabei nicht schauen, da waren nämlich überall die feschen Wiener Madln. Manche Mutter oder Großmutter von denen beugte sich dann gerne zu ihnen und fragte: "Na, ihr seids aber lieb! Wo kommts denn her? Ah, aus Rumänien?"

Die Leute mussten auch damals erst nachschauen, wo Armenien überhaupt liegt, Pater Vahan lernte Wien daher schneller kennen als die Wiener seine gefühlte Heimat. Im 23. Bezirk hatte der Orden ein Sommerhaus, dort gab es den Pappelteich, durch den die Bundesheerler nach dem Morgensport immer schwammen, und Fußballspiele gegen die Buben vom Kollegium Kalksburg. Der angehende Mönch schaffte es ohne Kreuzbandriss und gröbere Verletzungen am Herzen infolge unglücklicher Verliebtheit bis zum Noviziat, dann folgten die zeitlichen Gelübde, dann die ewigen, dann die Priesterweihe in Rom. Da war er 26.

Pater Vahan Hovagimian (links) und sein nicht minder fröhlicher Kollege Pater Narek heben im Klosterspeisesaal ein Stamperl selbstgebrauten Likörs.
Foto: Matthias Cremer

An der Uni, als sie Theologie studierten, saßen sie ganz selbstverständlich neben den Wiener Studentinnen, freilich nicht sehr lange. Die armenische Diaspora unterhält Schulen in der ganzen Welt, in die sie zum Unterrichten geschickt wurden. Die in Wien jedoch wurde im Jahr 2000 geschlossen, nachdem das Kloster mit jenem in Venedig fusioniert worden war, sieben Novizen werden dort heute unterrichtet. Wenn sie allerdings so wissensdurstig sind wie Pater Narek, werden sie bald nach Wien zurückkommen, um sich hier in die Armeniologie zu vertiefen. Der Pater wurde nach seinem Studium nach Australien geschickt, "aber hier in Wien liegen die Bücher!", sagt er begeistert, hier hat er später Liturgie und Altarmenisch studiert in der Bibliothek mit ihren 15.000 Exemplaren in Fremdsprachen und 160.000 in Armenisch, die sich auch der Strauss Schani 1887 angeschaut hat, wie ein Gästebucheintrag beweist.

Der Speisesaal des Klosters.
Foto: Matthias Cremer

Hier hat sich der Pater auch "verliebt" in die Ordensgemeinschaft, in der er mit 57 Jahren der jüngste ist und Pater Samuel mit 82 der älteste. Vier Mönche sind sie noch, die heute jeden Tag dreimal im Speisesaal sitzen, der so groß ist wie der Strafraum im Camp Nou und in dem jeder für sich einen Tisch gedeckt hat. Was auch immer miteinander reden? Pater Narek, der auch ein guter Koch ist, hat erst kürzlich eine Dame als "Pfarrersköchin" angelernt, vorgestern servierte sie ihnen Leberkas mit Rotkraut und gestern Rindfleisch mit Reis. An der Kombination muss sie vielleicht noch ein wenig arbeiten, daher freuen sie sich heute auf Pizza ohne alles.

Gerüchte

Wir gehen hinüber in die Kirche, die Maria Schutz heißt und in der eine Ikone der Kapuziner aus 1634 hängt und ein paar ebenso alte Bänke stehen. "Lange Zeit war das eine Klosterkirche", erklärt Pater Vahan, "seit 1991 ist es auch eine Pfarrkirche." Drei Messen feiern sie am Sonntag, jeder kommt dran, zusammengezählt besuchen 50 Leute den Gottesdienst, am liebsten ist ihnen das zwei Stunden dauernde Hochamt. Wenn das Amt einmal unter zwei Stunden dauert, beschweren sich die Gläubigen: "Heute haben Sie aber was ausgelassen!"

Wir schauen uns Trachten an, Keramiken, Briefmarken, Münzen, politische Karikaturen, auf denen einer aussieht wie Fred Sinowatz, Platten von Aznavour, der Franzose war, aber auch Armenier, Teppiche, Altarschuhe aus 1850 und ein Buch, in dem Maria Theresia "das Privilegium" erteilt. Hätten sich die alten Muatterln all das angeschaut, sie hätten Armenien gewiss nie mit Rumänien verwechselt.

Pater Narek Dadourian ist einer von vier Mechitaristen-Mönchen in Wien – und Hüter des geheimen Likörrezepts.
Foto: Matthias Cremer

Einen der Novizen wird Pater Narek später vielleicht in die Geheimnisse der Produktion des berühmten Likörs einweihen, denn mittlerweile ist er auch für diesen verantwortlich. Die geheime Rezeptur mit vierzig Kräutern und Früchten wird immer von einem Pater an einen nächsten weitergegeben, wobei: Es gab das Gerücht, dass der letzte Meister mit kaum 70 an Demenz erkrankt war und die Rezeptur daher nicht mehr an einen Schüler weitergeben konnte, bevor er kurz darauf starb.

"Falsch!", erklärt Pater Narek, denn es gebe gar nicht die Rezeptur. Gewiss, es gab ein Rezept aus 1680, das über Umwege nach Wien wanderte, in den Apotheken trug der Likör sogar den Beinamen "cordeal", was man ihnen aber mittlerweile verboten hat, weil anerkannte Herzmedizin ist er trotz hervorragenden Geschmacks natürlich nicht. 4.000 Flaschen à 25 Euro produzieren sie ungefähr im Jahr, "und alles ist Handarbeit!", sagt Pater Narek. Sogar die Etiketten muss er selbst draufpicken.

Das alles tut er für Gott? "Natürlich", sagt er. "Gott hat uns das Leben geschenkt, damit wir seine Schöpfung sehen." Und eventuell, damit wir doch noch ein Stamperl trinken? "Genats!"

Foto: Matthias Cremer

(Manfred Rebhandl, 20.11.2020)