Vor Corona war der Wiener Architekt Roland Gruber stets auf Achse. Nun hat sich der passionierte Städter nach Kärnten zurückgezogen und entdeckt zwischen Bäckereien und Biobauernhöfen eine neue rurale Qualität.

"Die meiste Zeit arbeite ich mit Bürgermeistern, Stadträten und Geschäftsführerinnen zusammen und durchquere dazu mit dem Zug ganz Österreich und halb Deutschland. In einem normalen Jahr lege ich auf diese Weise rund 3000 Kilometer pro Woche zurück. Doch jetzt ist alles anders. Mit dem Beginn von Corona habe ich die große weite Bahnwelt gegen unser Zuhause in Moosburg getauscht, einer kleinen Kärntner Gemeinde im Norden vom Wörthersee.

Roland Gruber und Gordana Brandner-Gruber daheim, wo sie jetzt mehr Zeit verbringen.
Foto: Ferdinand Neumüller

Wir wohnen hier in Gordanas Elternhaus, das wir in den letzten Jahren umgebaut haben. Statt 3000 Kilometer mit dem Zug zu fahren, radle ich nun täglich drei Kilometer in den Coworking-Space am Kirchplatz, wo wir uns ein Kamerastudio eingerichtet haben – quasi meine digitale Schaltzentrale, von der aus ich Zukunftsentwicklungsprozesse mit Gemeinden und Unternehmen leite und moderiere. Das funktioniert ziemlich gut.

Früher war ich ein typischer Wochenendmann und Freitag-bis-Montag-Papa. Nun verbringe ich den Alltag mit meiner Familie, mit meiner Frau Gordana und unseren beiden Kindern Johanna und Konstantin. Meine Frau ist endlich keine Alleinerzieherin mehr, sagt sie, und kann sich daher wieder vermehrt beruflichen Projekten widmen. Es ist ein Alltag mit gemeinsamen Mittag- und Abendessen, mit Mittagsschläfchen und Spazierengehen, und immer wieder wird das Wohnzimmer abends zur Familiendisco umgebaut – so richtig mit Discokugel und buntem Licht –, und dann geben wir uns dazu drei Stunden lang die Gurke.

"Olta Fux, die hom Biacha! Bist du deppat! Hobts ihr des eppa olles glesn?"
So reagierte ein Krampus, als er in den Wohnbereich von Roland Gruber und Gordana Brandner-Gruber schaute.
Fotos: Ferdinand Neumüller

Das digitale Arbeiten war eine ziemliche Umstellung. Zu Beginn hatte ich von dem ganzen Skype, Zoom und Teams jeden Tag Schädelweh und Kreuzschmerzen. Danach habe ich es mir angeeignet, die eine oder andere Besprechung in eine Gehsprechung umzuwandeln und während des Videokonferierens durch den Wald zu spazieren. Meist gehspreche ich zwei, drei Stunden pro Tag. Ist wie Zugfahren im Wald. Und man nimmt sogar ein paar Kilo ab dabei. Große, bunte Post-its in der Jackentasche und einen Stift hab ich immer mit.

Mit Corona hat sich das Leben auf dem Land dramatisch verändert. Früher sind alle mit dem Auto gefahren, nun gehen viele zu Fuß und fahren mit dem Rad. Vor allem aber erleben die lokalen Biobauernhöfe einen richtigen Boom. Es gibt Eier, Milch und Gemüse, und per SMS wird die nächste Schlachtung bekanntgegeben. Nach drei, vier, fünf Stunden ist das ganze Tier meist schon verkauft. Unsere Nachbarin bäckt für ihre Whatsapp-Gruppe immer frisches Brot – ein Hammer, da kann kein Bäcker mit. Die Menschen ernähren sich heute bewusster und gesünder als noch vor einem Jahr. Corona hat diese großartigen Ressourcen auf dem Land wieder sicht- und spürbar gemacht.

Die Familie wohnt im Elternhaus Gordana Brandner-Grubers, das in den letzten Jahren umgebaut wurde.
Fotos: Ferdinand Neumüller

Man kann aus der Fülle des Alltags schöpfen – ohne die Hektik und die Corona-Angst, die wir aus der Großstadt mitbekommen. Und es geschehen lustige Anekdoten: An einem Krampustag wie heute, als die Kinder noch kleiner waren, hat eine traditionelle Perchtengruppe an unserer Haustür geläutet. Wir machen auf, und plötzlich schreit der eine Krampus ins Wohnzimmer rein: ,Olta Fux, die hom Biacha! Bist du deppat! Hobts ihr des eppa olles glesn?‘ Auch das ist Landleben.

Abends wird der Wohnraum auch einmal zur Disco.
Foto: Ferdinand Neumüller

Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass die Medien plötzlich voll sind mit Artikeln über Stadtflucht, dann hätte ich mir gedacht: Der spinnt! Ich habe das in meinen Vorträgen als Zukunftspotenzial erzählt – und heute sind wir genau da. Das Abwandern aus ländlichen Regionen wird eingedämmt, es findet eine Stabilisierung statt. Für die Zeit nach Corona wünsche ich mir, dass diese ruralen Schätze wieder stärker in den Mittelpunkt rücken – und dass wir bei Stadt und Land von einem Miteinander sprechen." (7.12.2020)