Knie und Gehirn sind mehr miteinander verbunden als gedacht. Bei Verletzungen dauert es, die Kontrolle zurückzugewinnen. Diese Yogaübung ist allerdings keine Anleitung dafür.

Foto: Elmar Gubisch

Das Kniegelenk ist für die Stabilität des Körpers essenziell und nahezu bei jeder Bewegung im Einsatz. Bei Unfällen ist ein Kreuzbandriss eine häufige Verletzung mir relativ langer Rehabilitationszeit. Patienten brauchen Zeit, wieder Vertrauen in die Belastbarkeit zu gewinnen. Schmerzen und Einschränkungen in der Bewegung wirken verunsichernd.

Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass Letzteres auf Veränderungen bestimmter Verarbeitungsprozesse im Gehirn zurückzuführen sein könnte, wie Tim Lehmann vom Department Sport und Gesundheit der Universität Paderborn berichtet. Er erforscht, wie solche neurophysiologischen Vorgänge ablaufen und wie sie mit dem motorischen Verhalten von Kreuzbandpatienten zusammenhängen.

Was posturale Kontrolle ist

"Nach einer Operation haben viele Patienten Schwierigkeiten, die gewohnte Stabilität im Kniegelenk zu erreichen, und weisen so eine verminderte Gleichgewichtsfähigkeit auf. Man nennt das auch posturale Kontrolle. Damit steigt das Risiko einer erneuten Verletzung des Kniegelenks, selbst nach Abschluss der Rehabilitation", erklärt Lehmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Trainings- und Neurowissenschaften.

Aktuelle Forschungsergebnisse weisen Lehmann zufolge nun auch auf veränderte Prozesse im Bereich der Großhirnrinde hin: "Die Defizite legen eine Umgestaltung komplexer sensomotorischer Netzwerke nahe. Dazu zählen die Areale und deren Verknüpfungen, die mit der Wahrnehmung und Verarbeitung bestimmter Reize beschäftigt sind. Sie sind also für die Steuerung von Bewegungen zuständig. Während bisherige Studien überwiegend motorische Reaktionen untersucht haben, stehen in unseren Forschungsprojekten die neurophysiologischen Mechanismen der Gleichgewichtskontrolle im Fokus."

Profisportler unter der Lupe

An den Untersuchungen nehmen Probanden aus unterschiedlichen Sportarten und Leistungsklassen teil. Mithilfe sogenannter Kraftmessplatten berechnen die Experten Schwankungsparameter, um so die Gleichgewichtsfähigkeit der Sportler objektiv beurteilen zu können. "Über ein zusätzlich angebrachtes 3D-Kinematiksystem werden Gelenkwinkelveränderungen und Körpersegmentbeschleunigungen aufgezeichnet. Gleichzeitig wird mittels mobiler, nicht-invasiver Elektroenzephalografie (EEG) die Aktivität des Gehirns erfasst, um so einzelne Hirnareale, aber auch die funktionellen Verbindungen zwischen verschiedenen Arealen zu beschreiben", erklärt Lehmann.

Bewegungssteuerung wird angepasst

Die Wissenschafter haben bei den Kreuzbandpatienten in Abhängigkeit vom Standbein – verletzt oder unverletzt – unterscheidbare Verknüpfungsmuster im Gehirn gefunden. Je nachdem, ob das gesunde oder das verletzte Bein verwendet wurde, liefen bei den Probanden unterschiedliche Prozesse in der Schaltzentrale ab. Dazu Lehmann: "Das deutet darauf hin, dass die Kreuzbandpatienten möglicherweise vermehrt visuelle und somatosensorische, also die Körperwahrnehmung betreffende, Informationen in kortikale Netzwerke einbeziehen, um so verletzungsbedingte Veränderungen im Kniegelenk auszugleichen. Einfach ausgedrückt: Das Gehirn passt seine Strategien zur Bewegungssteuerung an." Da die Rolle dieser Netzwerkmodulationen bisher allerdings noch ungeklärt ist, sollen weitere Studien zur Überprüfung der Ergebnisse folgen. (red, Gesundheitsportal, 8.12.2020)