"Six, left long, one hundred, keep left over crest jump, fifty, slow", brüllt mir der Kopfhörer ins rechte Ohr, während ich versuche, den Porsche 911 Group B auch nur ansatzweise auf den rutschigen Gatschstraßen von New England zu halten, um nicht von den vom Herbst schön orange und braun gefärbten Bäumen am Wegesrand erwischt zu werden.

Wer dieses Szenario nicht kennt, der hat noch nie in seinem Leben ein Rallye-Spiel gespielt. Verübeln kann ich es ihm nicht, denn so ein Spiel verlangt sehr viel Geduld, Disziplin und eine gesunde Frusttoleranz. Nur weil der Matsch digital ist, heißt das nicht, dass er nicht genauso gnadenlos ist wie der echte.

Rallye-Videospiele von heute können sich wahrlich sehen lassen, besonders in solch verwunschenen und verschneiten Szenarien.
Foto: Codemasters

Aber der Reihe nach. Wenn man über Rallye-Videospiele redet, schafft man das nicht, ohne den Namen Colin McRae in den Mund zu nehmen. Der schottische Weltmeister von 1995 lieh der wohl einflussreichsten Rallye-Serie seinen Namen. Colin McRae Rally kam 1998 für den PC, die Playstation und den Gameboy Color auf den Markt und bestach, vor allem auf den stationären Konsolen, durch die fantastische Mischung aus Realismus und Spielbarkeit. Mit beispielsweise Grand Prix Legends waren noch realistischere Exemplare auf dem Markt, die aber verdammt schwer zu beherrschen waren. Die Präsentation war hingegen gleich karg. Bäume am Wegesrand waren noch die Ausnahme, die Straße war ein einziger Texturenmatsch und die Berge im Hintergrund nichts anderes als eine Tapete.

Hallo, Force Feedback

Aber: Das Fahrzeug steuerte sich nachvollziehbar, und der Spieler wurde erstmals an die Hand genommen. In der "Rallye-Schule" gab es verschiedene Übungsaufgaben, die Neulinge an die verschiedenen Herausforderungen und Widrigkeiten im Gatsch vorbereiten sollte.

Die Serie entwickelte sich nach und nach weiter, die Grafik wurde besser, das Auto verhielt sich realistischer, der Einsatz von Force Feedback, also einer Rückmeldung des Spiels beispielsweise über Vibration im Lenkrad oder Controller, führte dazu, dass die Immersion besser funktionierte und man das rutschende Auto nun nicht mehr nur sehen und hören, sondern auch spüren konnte. Bis ins Jahr 2007.

Denn dann entschied sich Entwickler Codemasters dazu, der Serie eine andere Richtung zu geben, die die Rallye-Game-Fans in zwei Lager spaltete. Colin McRae: DiRT verfolgte einen anderen Ansatz: weniger Rennen gegen die Uhr, dafür mehr Schlammschlachten mit anderen Autos auf der Strecke. Damit einher gingen auch weitere Vereinfachungen der Steuerung und der generellen Fahrbarkeit der Fahrzeuge. Für viele Fans war das keine Simulation mehr, für viele Neulinge aber der perfekte Einstieg in den virtuellen Rallye-Sport.

Wie die Zeiten sich ändern: hier der Subaru Impreza in "Dirty Rally 2.0" (2019)...
Foto: Codemasters

Puristen konnten sich aber aufgrund der großen Vielfalt für andere Serien entscheiden. Die offizielle WRC-Serie ist so ein Kandidat, und auch Weltmeister Sébastian Loeb hat einer Spielereihe seinen Namen geliehen, die weiter auf den Wettkampf um die Sekunden fokussiert war.

Wenn wir uns die heutige Auswahl anschauen, sehen wir einen alten Bekannten wieder ganz weit vorne. Entwicklerstube Codemasters hat nämlich mit Dirt Rally 2.0 vergangenes Jahr einen Teil im alten Stil auf den Markt gebracht. Rennen gegen die Zeit, ein Auto, eine verwunschene Landschaft. Zudem ist die Grafik mittlerweile eine wahre Pracht, wie Sie auch oben auf dem Schneebild sehen können. Und auch beim Gameplay hat sich einiges getan. So dürfen mittlerweile Experten und Hobbyschrauber an ihrem virtuellen Boliden so gut wie alles verändern und somit das Fahrzeug auf die individuellen Wünsche oder aber Begebenheiten der Strecke anpassen.

Ganz so realitätsgetreu ist das frisch gebackene Dirt 5 nicht. Hier geht es wieder mit mehreren Fahrzeugen auf abgesteckte Rundkursstrecken. Viel Fahrzeugkontakt, eine große Vielfalt bei den Boliden und viel Spielspaß, auch für Einsteiger.

...hier der ikonische Rallye-Wagen in "Colin McRae Rally" (1998).
Screenshot: YouTube: Pirate Love

Gatsch in Virtual Reality

Wer den Realismusgrad auf beinahe volle Leistung drehen will, der muss sich freilich eine Virtual-Reality-Brille zulegen. Dirt Rally 2.0 unterstützt die gängigen Geräte, dazu ein ordentliches Lenkrad mit Schaltknüppel, Gas, Bremse und Kupplung, und der Rutschspaß im Wohnzimmer kann losgehen. Das funktioniert fantastisch. Kleines Beispiel: Wenn sich das eigene Auto auf einen Sprung zubewegt, krampft sich der Körper automatisch zusammen, weil das Gehirn das merkwürdige Gefühl des Abhebens erwartet – doch es kommt nichts.

Aber nicht vergessen: Das ist kein Downforce-Monster à la Formel 1, von dem wir hier reden. Jeder Hauch zu viel auf dem Gaspedal wird bestraft, jeder Grad zu viel an Lenkung endet im Unterholz. Und währenddessen schreit dir immer jemand die nächste Kurve ins Ohr. Herrlich. (Thorben Pollerhof, 20.12.2020)