Auf PS5 und Xbox Series X läuft das Spiel flüssig – wenn es nicht abstürzt.

Foto: CD Projekt Red

Die Fachpresse zeigte sich zunächst begeistert. Kurz vor Release schien Cyberpunk 2077 tatsächlich das Spiel des Jahres zu sein, als das es die letzten Jahre gehypt wurde. Getestet wurde von den großen Medien aber ausschließlich auf PC, so hatte es Entwickler und Publisher CD Projekt Red vorgegeben. Nicht einmal eigenes Videomaterial durfte aufgenommen werden. Um den Test aber vor dem Release liefern zu können, gingen selbst große US-Medien wie The Verge oder IGN auf die in diesem Umfang unüblichen Einschränkungen ein.

Nach dem Erscheinen des Spiels wurde klar, warum die Entwickler so sparsam mit konkreten Vorabinformationen waren. Die Playstation- und Xbox-Version des Spiels ist technisch dem PC-Gegenstück bei weitem nicht ebenbürtig, hat mit Grafikfehlern und Abstürzen zu kämpfen. Erste Spieler verlangten ihr Geld zurück, die Fachpresse zog langsam mit schwächeren Bewertungen nach und ging punktuell auf die Missstände ein. CD Projekt Red war zu diesem Zeitpunkt bereits in den schwarzen Zahlen. Über acht Millionen Vorbestellungen und die zusätzlich verkauften Exemplare sicherten dem unabhängigen Entwickler und Publisher die Ausgaben für das Spiel innerhalb kürzester Zeit wieder eingenommen zu haben. Satte 121 Millionen Euro hat Cyberpunk 2077 laut der deutschen Wirtschaftswoche gekostet. Stornierungen und schlechte Presse vor dem Start hätten das Jahr 2020 für den Entwickler weniger rosig aussehen lassen.

Die Straßen sind auf den Konsolen weit weniger bevölkert als in der PC-Version.
Foto: CD Projekt Red

Hype-Training mit "The Witcher"

Mit dem Spiel Witcher erschien 2007 das erste Spiel des in Warschau sitzenden Entwicklers CD Projekt Red. Spätestens mit dem dritten Teil der Serie im Jahr 2015 wurde der Entwickler, der gleichzeitig als Publisher für seine Spiele aktiv ist, weltbekannt und sahnte unzählige "Spiel des Jahres"-Auszeichnungen ein. Knapp 30 Millionen Mal verkaufte sich Witcher 3, das in den Folgejahren noch auf mehreren Plattformen umgesetzt wurde. Schon zwei Jahre zuvor, noch vor dem Erscheinen der Playstation 4, kündigte CD Projekt Red ein neues Franchise an – Cyberpunk 2077. Starkes Setting, beliebter und talentierter Entwickler. Der Hype-Train fuhr los.

Mit den Aufgaben wuchs auch das Unternehmen. Mehr als 1.000 Angestellte an drei Standorten in Polen und ein Börsenwert, der in zehn Jahren um 21.000 Prozent stieg, ließen den Wert von CD Projekt Red Anfang 2020 auf rund sieben Milliarden Dollar (5,7 Milliarden Euro) ansteigen. Im Mai stand man nach Börsenkapitalisierung sogar bei über neun Milliarden Dollar und war damit vor Ubisoft das wertvollste Unternehmen der europäischen Spielebranche.

Um diesen Wert zu halten, musste die Zeit bis zum Release des neuesten Games überbrückt werden, der Hype aber erhalten bleiben. Erreicht wurde das unter anderem durch zahlreiche Trailer mit ausgewählten Szenen, überschwänglichen Vorschauen der Presse und ein stetiges Ansteigen der Erwartungen ins Unermessliche. Auf Messen und in zahlreichen Streams wurden zusätzlich besonders spektakuläre Merchandise-Artikel verteilt, bis jeder wichtige Streamer und punktuell auch Journalisten mit Jacke oder Sneakern Werbeplattform für das Spiel wurden. Speziell vor dem Release schien das Internet Cyberpunk-gebrandet. Jeder wollte Teil des Hypes sein, die acht Jahre Entwicklung schienen tatsächlich ein Ende zu finden.

Manche Fans haben das Spiel schon vor vielen Jahren bestellt, basierend auf Vertrauen dem Entwickler gegenüber.

Fragwürdige Testbedingungen

Wie eingangs erwähnt, schlugen vor dem Release am 10. Dezember 2020 die ersten Tests auf. In Nebensätzen wurde angemerkt, dass nur auf PC getestet wurde und eigenes Videomaterial nicht erlaubt war. Ähnliches hatte man bei großen Titeln schon erlebt, aber noch nie wurden ganze Plattformen aus dem Prozess der Berichterstattung entfernt. Sogar Rockstar, Pionier in Sachen Geheimhaltung, ließ bei Spielen wie GTA V oder Red Dead Redemption mehr Einblicke zu. So war das Internet schnell gefüllt mit Topwertungen, denn auf einem leistungsstarken Gaming-PC sieht das Spiel tatsächlich unglaublich gut aus. Diverse Bugs wurden in Nebensätzen erwähnt, schließlich hatte der Entwickler versprochen, diese mit einem Update zum Verkaufsstart zu beheben. Es kam anders.

Während sich die Gamingpresse, den Frust der Spieler kommen sehend, in Kolumnen und nachgeschossenen Videos zu rechtfertigen versuchte, drang langsam ans Tageslicht, dass die Konsolenversionen des Spiels unter groben Problemen leidet. Trotz der vielen Verschiebungen schaffte CD Projekt Red keine Versionen für Playstation 5 oder Xbox Series X, das heißt, die Konsolenversionen sollten auf die Generation davor optimiert sein.

Sind sie nicht, wie zahlreiche Benchmarktests im Internet bewiesen. Weniger als 20 Bilder pro Sekunde bei belebten Szenen, weniger Leben auf den Straßen und spät ladende Texturen waren nur ein Teil der bösen Überraschung. Viele User klagten über Fehler im Spiel, etwa Charaktere oder Waffen, die im Boden versinken, und regelmäßige Abstürze. Plötzlich war der Hype der letzten Wochen verschwunden und der Entwickler um Schadensbegrenzung bemüht. So entschuldigte sich CD Projekt Red auf Twitter bei den Fans, man hätte der Konsolenversion tatsächlich mehr Aufmerksamkeit schenken sollen. Man arbeite an Updates, die die Fehler beheben sollen.

So lange wollten viele Käufer nicht warten und sich lieber das Geld für den Kauf sowohl von Sony als auch von Microsoft rückerstatten lassen, was laut Stellungnahme von CD Projekt Red auch möglich sein sollte. Ist es in dieser Form natürlich nicht, weil dieser Prozess nicht in der Hand von CD Projekt Red liegt, außer auf ihrer eigenen Plattform GOG. Deshalb gab es im Internet auch mehrere Stimmen, die bestätigen, dass sowohl Sony als auch Microsoft in vielen Fällen eine Rückerstattung ablehnten. Am 18. Dezember zog Sony allerdings die Reißleine und gab grünes Licht für eine Geld-zurück-Garantie, löschte aber gleichzeitig die Kaufoption von Cyberpunk 2077 im Playstation Store. Ein drastischer Schritt.

Auf Twitter folgt eine Entschuldigung der Entwickler.

Bei Metacritic pendelten sich die Bewertungen der Konsolenversion mittlerweile bei knapp unter 3/10 ein, die der PC-Version zumindest bei 6,9/10 – die den 9/10 der Presse gegenüberstand. Enttäuschte Fans machten sich wenig blumig Luft über den Status quo des Spiels. Solche oft sehr überzogenen Trotzreaktionen kannte man schon gut von anderen Spielen. Mass Effect 3 wurde wegen seines umstrittenen Schlussaktes von den Fans zerrissen, The Last of Us 2 unter anderem wegen der lesbischen Protagonistin und einer Story-Entscheidung der Entwickler.

Spieler sind gern Teil eines Hypes, fordern ihn sogar ein. Man freut sich gern auf das, was da noch kommt. Ein neuer Trailer zu Mass Effect – Gänsehaut. Wenn das Spiel dann erscheint und die hohen Erwartungen nicht erfüllt – Verriss in Foren, auf Social Media und auf Bewertungsplattformen. Die Medien sind da natürlich ein Teil davon. Die Analyse von Trailern, das Vorstellen jedes neuen Screenshots als Event. Onlinejournalismus ist genau wie Game Pass und Netflix-Abo zur Content-Produktion gezwungen. Auch hier gibt es oft nur Schwarz und Weiß. Anhimmeln oder zerreißen. Was anderes wird auch kaum geklickt, so fair muss man sein. Nach Bug-Festivals wie Assassin's Creed Unity oder Mass Effect Andromeda sollte man als Berichterstatter allerdings vorgewarnt sein, nicht auf die Versprechungen von Publishern zu hören. Auch die Community hat offenbar genug von falschen Versprechungen und strafte Titel wie Anthem, Marvel's Avengers und Fallout 76 für ihre Halbfertigkeit ab. Es muss eine Grenze geben, die nicht überschritten werden darf. Ein Spiel muss zum Erscheinen fertig sein, sonst darf man es nicht veröffentlichen. Das gilt auch für den Fanliebling CD Projekt Red.

Ein Vergleich der Konsolenversionen von "Digital Foundry".
Digital Foundry

Irreführung

Kommen wir zurück zu Cyperpunk 2077. Im Netz konnte man in den letzten Tagen oft lesen, dass man sich ein Spiel nicht am ersten Tag kaufen müsse und erst abwarten solle, ob es denn die hohen Erwartungen erfüllt. Man könne auch sagen, dass große Rollenspiele wie Skyrim, Witcher 3 oder Fallout 4 zum Start auch nicht fehlerfrei waren. Aber das zählt nicht. Es zählt, dass ein Entwickler, der bei Fans und Presse hoch für seine Arbeit angesehen war und ist, Spieler der Konsolenversion bis zum Release im Dunkeln gelassen hat. Die Gaming-Presse hat weder mit ausreichend Hinweisen noch mit Boykott auf diese Gefahr aufmerksam gemacht. Als PS4- und Xbox-Besitzer konnte man damit rechnen, auch wenn die eigene Hardware ebenfalls rund acht Jahre alt ist, dass Cyberpunk 2077 ausreichend gut auf ebendieser Hardware läuft. Schließlich gibt es noch keine Next-Gen-Version zu kaufen, und die Bewerbung lief über all die Jahre ebenfalls nicht PC-exklusiv. So werden all jene, die jetzt mit der Spieleerfahrung nicht zufrieden sind, weder das nächste CD-Projekt-Red-Game kaufen noch der Gaming-Presse künftig vertrauen, wenn sie wieder einmal ein Spiel mit 9/10 bewertet.

CyberManLives postet diesen Fehler auf Twitter, den er im Spiel selbst erlebte.
User smileybs twittert am 14. Dezember ein Video von seinem Spiel.

Ein hoher Preis

Nach unzähligen Verschiebungen und der Branchenkrankheit "Crunch Time", also unzähligen Überstunden des Teams, um das Spiel fertig zu bekommen, warten jetzt weitere Wochen des Fehlersuchens und -behebens auf die polnischen Entwickler. Die Geschichte hat bewiesen, dass CD Projekt Red nicht ruhen wird, bis zumindest die gröbsten Probleme auch in den Konsolenversionen behoben sind. Da es jetzt kurz vor Weihnachten ist, werden das wohl nicht allzu viele freie Tage für die ohnehin überarbeiteten Mitarbeiter. Diesen soll auch kein Vorwurf gemacht werden. Unter den gegebenen Umständen haben sie wohl das Maximum aus dem Spiel herausgeholt. Das Versagen lag wohl ausschließlich beim Management, welches auch dazu bereits eine Stellungnahme abgab.

"Zuletzt war unser Bonusmodell mit guten Wertungen und der Einhaltung von Erscheinungszeitpunkten verknüpft. Unter den Umständen, mit denen wir zuletzt zu kämpfen hatten, scheint uns das unfair", wird Game Director Adam Badowski in einem Bericht zitiert. "Wir haben die Größe und Komplexität des Projekts unterschätzt, und trotzdem hat jeder Mitarbeiter hart daran mitgearbeitet, dass unser Spiel ein herausragendes wird."

Nach dem ersten Patch, ein paar Tage nach dem Release, wirkte das Spiel bereits stabiler.
Foto: CD Projekt Red

Moral von der Geschichte

DER STANDARD testete Cyberpunk 2077 ebenfalls, und wenn man die Bugs und Abstürze außer Acht lässt oder das Glück hat, weniger davon betroffen zu sein, kann man dem Spiel wenig vorwerfen. Eine faszinierende Welt, überzeugend geschriebene Charaktere und ein filmreifer Spannungsbogen ziehen Spieler schnell in diese Welt, wenn alles rundläuft. Mit etwas Abstand kann man Mitte 2021 mit Sicherheit sehr gute Versionen für Playstation 5 und Xbox Series X spielen. Die Flammen werden erloschen sein und Cyberpunk 2077 mehrere Spiel-des-Jahres-Auszeichnungen bekommen. Zu Recht, auch wenn es nicht die Revolution darstellt, die in den vergangenen Jahren oft versprochen wurde.

Was man sich für die Zukunft jedoch wünschen darf, ist etwas mehr Fairness gegenüber dem Kunden. Leere Versprechungen oder gar Täuschung sollte und muss man auch in dieser Branche vermeiden. Bugs in Spielen gab es auch vor Cyberpunk 2077, Auflagen für Tests und Merchandise für Journalisten ebenso – mit diesem Spiel wurden die Grenzen aber noch um ein Stück in die falsche Richtung verschoben. Ein Hype kreiert, mit dem selbst der Entwickler nicht mehr mithalten konnte. Zum Leidwesen vieler Spieler.

Wie es weitergeht

Um CD Projekt Red braucht man sich keine Sorgen machen. Obwohl der Aktienkurs seit Oktober auch mit Abwärtstrends konfrontiert war, wird dieser nach den nächsten Bugfixes wieder stabil steigen. Schließlich gibt es auch jetzt schon zahlreiche positive Berichte von Spielern, die aus unerfindlichen Gründen weniger Probleme mit dem Spiel haben oder einfach mehr darüber hinwegsehen können. Außerdem läuft die ebenfalls zu CD Projekt Red gehörende Plattform GOG weiterhin sehr gut. Dort können digital Spiele von über 500 Entwicklern gekauft werden. Ein mittlerweile sehr stabiler Umsatzbringer, der etwas Druck von der Spieleentwicklung nimmt.

CD Projekt Red ist kein Indie-Entwickler, für den ihn manche noch immer halten. Die Firma ist mittlerweile ein milliardenschweres Unternehmen, das weiter wachsen und möglichst viele Spiele verkaufen will. Das ist legitim, und deshalb kann man nur hoffen, dass aus den Fehlern der letzten Monate gelernt wurde. Die Statements der Geschäftsführung lassen es zumindest erhoffen. (Alexander Amon, 20.12.2020)