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Michel Barnier hat als EU-Chefverhandler die Rolle seines Lebens.

Foto: Reuters / Pool / John Thys

Michel Barnier ist der Schmerzensmann des Brexits. Kurz nach dem Referendum über den EU-Austritt Großbritanniens wurde er im Juli 2016 vom Präsidenten der Kommission, Jean-Claude Juncker, zum Chefverhandler berufen.

"Mission Impossible"

Der Auftrag: Er sollte die Gespräche mit London gemäß dem eng gesteckten Mandat der 27 Staats- und Regierungschefs führen und darauf achten, dass einzelne Staaten nicht nationale Einzelinteressen ins Spiel bringen. Gegenüber den Briten sollte er hart, aber fair auftreten, bestimmt und diplomatisch. Viele Kandidaten für diese "mission impossible" gab es nicht. Der Franzose, damals 65 Jahre alt, nahm das Angebot sofort an. Es war mit einer kleinen Pikanterie verbunden: Barnier war im Vorfeld der Europawahlen 2014 in der Europäischen Volkspartei (EVP) selber aussichtsreicher Anwärter für den Posten des Kommissionschefs gewesen. Juncker gewann.

Politisches Schwergewicht

Die beiden Christdemokraten blieben Freunde. Dieser Vorlauf zeigt: Barnier war ein gut vorbereitetes Schwergewicht, mit europapolitischer Erfahrung schon seit 1973, als die Briten über den EWG-Beitritt verhandelten. Außer Premierminister war der Absolvent einer Wirtschaftsuniversität, der sich früh für die Laufbahn eines Politikers entschieden hatte, in Frankreichs Regierungen fast "alles". Nach dem Studium übte er als Ministerreferent. Als Liberaler bei den Gaullisten verortet, unterstützte er Präsident Valéry Giscard d’Estaing, den Paradeeuropäer. 1993 wurde er Minister, erst für Umwelt, dann für Europa, 2004 Außen- und Agrarminister. Dazwischen gehörte er als Abgeordneter dem Europaparlament an, wurde zwei Mal EU-Kommissar, zuerst für Regionalpolitik, 2010 bis 2014 für den Binnenmarkt.

Drei Premiers erlebt

2017 startete der mit einer Anwältin verheiratete Vater von drei Kindern die Verhandlungen zum EU-Austrittsvertrag. Der wurde nach vielen, vielen Rückschlägen und Fristerstreckungen erst Ende 2019 definitiv beschlossen. In London war nach David Cameron und Theresa May mit Boris Johnson inzwischen der dritte Premier am Werk, in Brüssel Ursula von der Leyen seine neue Chefin.

Seit dem EU-Austritt der Briten am 31. Jänner verhandelt Barnier nun den Handelsvertrag, der die EU-Regelungen nach der Übergangsfrist am 31. Dezember ersetzen soll. Barnier tut dies wie immer: höflich, transparent, vernünftig und ohne Tricks. Am 9. Jänner wird er 70 und erreicht damit die Altersgrenze für EU-Mitarbeiter. Eigentlich müsste er aufhören. Aber auch das ist nicht fix. (Thomas Mayer, 15.12.2020)