Unwirtliche Halbinsel: ein Blick auf das Flüchtlingslager Kara Tepe, aufgenommen im Oktober des Vorjahres.

Foto: AFP / Manolis Lagoutaris

Giorgos Chondros, Mitglied der linken griechischen Oppositionspartei Syriza, nennt im Gastkommentar den Umgang mit Menschen in griechischen Lagern eine Schande und plädiert für die Verteilung von Migranten auf alle EU-Staaten.

Während das Elend in den Lagern europaweit die Zeitungen füllt und immer mehr NGOs und Hilfsorganisationen auf den Plan ruft, scheint das Thema "Geflüchtete" in den griechischen Mainstream-Medien nicht existent. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk und das Fernsehen berichten nicht über die menschenunwürdigen, tragischen Bedingungen, unter denen zehntausende Geflüchtete in Lesbos und auf anderen Inseln der Ägäis existieren müssen. Wer sich als Griechin oder Grieche ein Bild über die Situation in Kara Tepe machen will, erfährt mehr aus den ausländischen als aus den eigenen Medien.

Die Message-Control der konservativen Regierung greift total. Dafür wird auch eine Menge (Steuer-)Geld aufgewendet. So verteilte sie in den vergangenen Monaten 40 Millionen Euro für Aufklärungskampagnen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie und zur Propagierung des staatlichen Impfprogramms.

"Europa kann ohne Solidarität nach außen und nach innen nicht existieren."

In der Nea Dimokratia gibt es einen starken Rechts-außen-Flügel, der in der Regierung auch durch Minister vertreten ist. So bestand eine der ersten Handlungen der Regierung von Kyriakos Mitsotakis darin, das Migrationsministerium abzuschaffen, eine Maßnahme, die angesichts der Zuspitzung der Lage nach sechs Monaten wieder zurückgenommen werden musste.

Heute ist klar, dass die von der Regierung verfolgte Politik der Abschreckung von Geflüchteten, der illegalen Pushbacks und der Abriegelung der Grenzen (was angesichts der tausenden Kilometer Seegrenze einfach eine Unmöglichkeit darstellt) gescheitert ist und zur hoffnungslosen Überfüllung der Lager geführt hat.

Abwehr und Abschreckung

Als die vermeidbare Brandkatastrophe in Moria die humanitäre Krise vor die Augen der Weltöffentlichkeit brachte, agierte die Regierung im Sinne der europäischen Konservativen à la Horst Seehofer und Sebastian Kurz. Statt auf einer paritätischen Verteilung der Geflüchteten in der EU zu bestehen und dazu alle rechtlichen und politischen Mittel zu nützen, die Griechenland als einem EU-Mitglied zur Verfügung stehen, akzeptierte sie finanzielle Mittel, um für die Abwehr und Abschreckung von Geflüchteten weiter aufzurüsten, ohne die Konsequenzen für die betroffenen Menschen, Geflüchtete wie Inselbewohnerinnen und -bewohner, zu berücksichtigen.

In Eiltempo wurde in Kara Tepe ("Schwarzer Hügel") – einer unwirtlichen Halbinsel, die der Armee jahrelang als Schießstand diente – ein angeblich temporäres Ersatzlager für 10.000 Menschen errichtet. Man fragt sich, wie diese Zahl berechnet wurde. Aufgrund der Fläche? Der Anzahl der zur Verfügung stehenden Zelte? Tatsache ist, dass es nicht des harten griechischen Winters bedurfte, um das Leben dort unmöglich zu machen. Der permanente Nordwind und der hohe Wellengang führen dazu, dass die 7900 dort eingepferchten Menschen, davon 30 Prozent Kinder, 24 Stunden in Nässe und Kälte leben. Das geplante permanente (geschlossene) Lager, das im Inneren der Insel auf einer ehemaligen Mülldeponie errichtet wurde, wird sicher nicht vor dem Sommer fertig werden, obwohl die Regierung zusätzlich zu den 335 Millionen Euro, die die EU für den Unterhalt der Geflüchteten in ganz Griechenland bereitstellt, 40 Millionen Euro investiert.

Inzwischen sind auch die Inselbewohner müde. Nicht wegen der jahrelangen Anwesenheit der Geflüchteten, sondern aufgrund der unmenschlichen Verhältnisse in den Lagern und der ständig leeren und widersprüchlichen Versprechen der EU und griechischen Regierung bezüglich einer dauerhaften Lösung.

Mangelnde Transparenz

Während die Syriza-Regierung täglich Berichte über die Situation in den Lagern veröffentlichte, verweigert die Mitsotakis-Regierung jegliche Auskünfte, sogar gegenüber dem Parlament. Die mangelnde Transparenz bei der Verwendung der EU-Mittel schafft Raum für Verschwörungstheorien und xenophobe Erzählungen, die bei der lokalen Bevölkerung, die selbst in einer dauerhaften ökonomischen und sozialen Krise lebt, auf einen fruchtbaren Boden zu fallen drohen. Es ist wirklich eine Schande für die EU, und es ist eine Schande für die konservative griechische Regierung, dass und wie sie sich mit der Aufnahme von 7900 Menschen überfordert zeigen.

Realistisch betrachtet kann die Gemeinde Lesbos 1200 Menschen unter menschenwürdigen Verhältnissen beherbergen, die anderen müssen auf das Festland evakuiert werden. Mehrere Kommunen und Bundesländer in Deutschland haben erklärt, "Platz" für die Aufnahme von Geflüchteten zu haben. In Österreich hat die Stadt Wien sich zur Aufnahme von Familien bereiterklärt.

Eine nachhaltige Verbesserung der Lage und die Wiederherstellung der Menschenrechte der in Europa eintreffenden Geflüchteten muss aber auf europäischer Ebene stattfinden. Europa kann ohne Solidarität nach außen und nach innen nicht existieren und darf sich seine Politik nicht von Nationalisten und rechten Populisten diktieren lassen. (Giorgos Chondros, 4.1.2021)