Wie bereits mehrfach im Archäologieblog berichtet, arbeiten wir in der Vestfold und Telemark Fylkeskommune eng mit einer Gruppe engagierter Sondengänger zusammen. Pro Jahr werden so mittlerweile mehrere hundert Fundstücke der Forschung zugänglich gemacht, die ansonsten wahrscheinlich unentdeckt geblieben wären.

Wir als Archäologen sind wissenschaftlich gesehen mehr an den Befunden, also den Fundumständen, dem Fundkontext, interessiert – ich kenne aber keine Kollegin und keinen Kollegen, die sich bei einem besonders seltenen, schönen oder wertvollen Stück nicht begeistert zeigen. In Vor-Pandemie-Zeiten kam es nicht selten vor, dass man in unseren Büroräumen ein Menschenknäuel erleben konnte, das sich über die Hand des Kollegen Ragnar Orten Lie (Historiker und Spezialist für die nordische Eisenzeit und zusammen mit Vibeke Lia verantwortlich für die Fundverwaltung der Streufunde) beugte und sich in bewundernden Ah- und Oh-Rufen erging.

Amulett aus Blei

Über die Jahre hinweg waren einige wirklich besondere Fundstücke dabei, aber bei nicht allen war der Wert auf den ersten Blick ersichtlich. Ein Exemplar letzterer Gattung fand 2014 seinen Weg zu uns.

Das unscheinbare Bleiamulett mit eingesetzten Bergkristallen – ein symbolbeladender Fund.
Foto: VTFK/Rune Nordseter

Auf den ersten Blick ein relativ einfach anmutendes Amulett aus Blei. Das Schmuckstück wurde von Freddy Kulblsæter in der Kommune Færder gefunden, in einem Bereich, in dem auch schon andere Funde zutage gefördert worden waren: vor allem Grabbeigaben, die typisch für Bestattungen der Älteren und Jüngeren Eisenzeit sind – ein mögliches Indiz für ein Gräberfeld. Sicher ist das allerdings nicht; es könnte sich bei den Beigaben auch um redeponierte Funde handeln.

Das Amulett selbst ist ein Anhänger aus Blei, der zwei kleine Bergkristalle umgibt. Bergkristalle waren immer schon faszinierend und wurden in Norwegen, zusammen mit Flint, bereits von den ersten Menschen benutzt, die vor über 11.000 Jahren in das Gebiet des heutigen Norwegens eingewandert sind.

Während der Eisenzeit wurden Perlen aus Bergkristall geschliffen. Besondere Symbolkraft kam dem Bergkristall im frühen Christentum als einem Symbol für die Reinheit der Taufe zu. Bei der Erwachsenentaufe war er damit ein passendes Geschenk eines Taufpaten an den Täufling. Fände man also ein solches Amulett im eisenzeitlichen Gräberfeld eines nahen Hofes (wie es möglicherweise bei unserem Amulett der Fall ist), wäre das ein wichtiges Indiz für die Konversion der damaligen Bevölkerung im heutigen Vestfold und Telemark zum Christentum im 10. Jahrhundert nach Christus.

Zwergennägel

Im späten Mittelalter wurden Bergkristalle dann mit den Zwergen und der nordischen Mythologie in Verbindung gebracht und als "Zwergennägel" bezeichnet. Der Überlieferung nach sollen die Zwerge in ihren Meisterschmieden in den Bergen Nägel, mit denen sie nicht zufrieden waren, aus dem Berg gepresst haben, wo sie dann nach und nach von Menschen gesammelt wurden. Durch ihre Verbindung zu den Zwergen, die auch die Waffen der Götter, zum Beispiel Thors Hammer, geschmiedet und mit übernatürlichen Kräften ausgestattet hatten, wiesen die Bergkristalle nach Meinung der Menschen Schutzeigenschaften auf. Aus Telemark wissen wir beispielsweise, dass Bergkristalle in die Böden von Melkeimern eingearbeitet wurden, um die Milch vor dem Sauerwerden zu bewahren.

Das einfache Bleiamulett stellt sich bei ner Betrachtung also als symbolbeladenes und durchaus komplexes Fundstück heraus, das durch seine Entdeckung zur weiteren Erforschung Vestfolds beitragen kann. Und wir finden uns bestätigt, dass nicht alles, was glänzt, aus Gold sein muss. (Petra Schneidhofer, Ragnar Orten Lie, 7.1.2021)