Viele Demonstranten in den USA (hier in New York) forderten gegen den amtierenden US-Präsidenten ein zweites Impeachment-Verfahren.

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Die Rufe nach einer Absetzung Donald Trumps wurden zuletzt immer lauter. Seine Unterstützung für den Sturm des Kapitols, den Kaliforniens Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger in einem Video gar mit den Novemberpogromen 1938 verglich, geht auch bei den Republikanern vielen zu weit. Im Kapitol hat am Montag ein politischer Prozess dazu begonnen: Die Demokraten im Repräsentantenhaus reichten kurz vor Mittag (Ortszeit) eine Resolution zur Amtsenthebung Trumps ein – wegen Anstiftung zum Aufstand. Das erklärte der demokratische Abgeordnete Ted Lieu über Twitter. Lieu war federführend an der Resolution beteiligt, mit der Trump des Amtes enthoben werden soll. Begründet wurde diese damit, dass Trump kurz vor dem Sturm des Kapitols auf einer Kundgebung eine Ansprache hielt, die diesen "ermutigt" und "vorhersehbar zur Folge gehabt" habe.

Eigentlich wollten die Demokraten, längstens bis Mittwoch, darauf warten, dass Vizepräsident Mike Pence die Amtsunfähigkeit Trumps nach dem 25. Zusatzartikel der Verfassung feststellt. Andernfalls sollte danach im Eilverfahren über eine Amtsenthebungsklage abgestimmt werden. Offenbar wollten die demokratischen Abgeordneten das Auslaufen des Ultimatums an Pence nicht mehr abwarten und beschlossen, den Anklagepunkt sogleich am Montag einzureichen. Möglicherweise wird bereits am Mittwoch im Repräsentantenhaus darüber abgestimmt, ob ein Impeachment-Verfahren gegen Trump eingeleitet wird. Nach den Worten von Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi ist die Absetzung des Staatschefs so dringlich, dass ohne jeden Aufschub darüber entschieden werden muss. Trump wäre der erste US-Präsident in der Geschichte, gegen den gleich zwei Amtsenthebungsverfahren eröffnet wurden. Die Demokraten hatten bereits vor einem Jahr versucht, Trump im Zuge der Ukraine-Affäre seines Amtes zu entheben.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum US-Amtsenthebungsprozedere im Überblick.

Frage: Wie stehen diesmal die Erfolgschancen für ein Impeachment?

Antwort: Gut, allein schon angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus. Die Demokraten stellen 222 der 435 Sitze, also die Mehrheit. Für ein Impeachment reicht eine einfache Mehrheit. Zudem haben auch schon einige republikanische Abgeordnete angekündigt, sich mit den Demokraten verbünden zu wollen.

Frage: Und dann?

Antwort: Dann wäre der Senat an der Reihe, in diesem Fall die entscheidende Instanz. Es käme zu einer Art Gerichtsverhandlung, bei der die 100 Senatorinnen und Senatoren die Rolle der Geschworenen-Jury übernehmen. Stimmt eine Zweidrittelmehrheit für die Amtsenthebung, sind die Würfel gefallen. Die 50 Demokraten benötigen dazu die Unterstützung von mindestens 17 Republikanern. Bisher haben sich allerdings erst vier für eine Absetzung Trumps ausgesprochen. Den meisten ist es offenbar lieber, wenn der abgewählte Amtsinhaber am 20. Jänner wie von der Verfassung vorgeschrieben das Weiße Haus verlässt, möglichst geräuschlos, sie fürchten die Rache der Parteibasis. Der Senat könnte sich des Falls erst nach der Vereidigung Joe Bidens am Mittwoch in einer Woche richtig annehmen. Dann ist Trump aber schon nicht mehr im Amt.

Frage: Warum dann der Aufwand?

Antwort: Die Demokraten und offenbar auch einige Republikaner wollen ein politisches Comeback Trumps ein für alle Mal verhindern. Sie wollen erreichen, dass er auf Bundesebene nicht mehr für ein Wahlamt kandidieren kann. Das ließe sich als Teil seiner Verurteilung gesetzlich festschreiben.

Frage: Der Demokrat James Clyburn hat ein Szenario entworfen, demzufolge das Abgeordnetenhaus zwar schon jetzt ein Impeachment beschließt, dann aber 100 Tage wartet, ehe es den Fall dem Senat überträgt. Was ist der Hintergrund?

Antwort: Clyburn gilt als einer der engsten Vertrauten Bidens. Er dürfte sich mit ihm abgesprochen haben, bevor er mit seinem Vorschlag an die Öffentlichkeit ging. Biden und Clyburn fürchten, dass ein Impeachment die Startphase der neuen Präsidentschaft überschatten und wichtige Entscheidungen verzögern könnte. Ist der Senat mit der Verhandlung in Sachen Trump beschäftigt, können weder die von Biden nominierten Minister bestätigt noch die Weichen für eine kohärente Corona-Strategie gestellt werden. Hinzu kommt: Der President-elect ist angetreten mit dem Versprechen, die tiefen Gräben zu überbrücken.

Frage: Was wäre die Alternative?

Antwort: Es gibt demokratische Abgeordnete, die als denkbare Variante eine "censure" ins Spiel bringen. Eine formelle, von beiden Parteien mit großer Mehrheit in beiden Parlamentskammern getragene Zurechtweisung des Präsidenten. Allerdings hätte ein Tadel nicht die Wirkung eines Impeachments.

Frage: Was macht eigentlich Biden einstweilen?

Antwort: Der baldige Präsident will, wie gesagt, die Aufmerksamkeit wieder auf sein Programm und sein Personal lenken. Er stellte am Montag seinen Kandidaten für den Posten des CIA-Chefs vor. Der einstige Karrierediplomat William Burns soll den Auslandsgeheimdienst führen.

Frage: Was macht eigentlich Trump einstweilen?

Antwort: Kurz vor Amtsende versucht Trumps Regierung, den Handlungsspielraum von Nachfolger Biden mit außenpolitischen Entscheidungen einzugrenzen. Man wolle die in Sanaa herrschenden Houthi-Rebellen im Bürgerkriegsland Jemen als Terrororganisation einstufen. Kuba wird wieder auf die Liste Terrorismus unterstützender Staaten gesetzt. Und US-Soldaten werden laut Reuters trotz des Kongress-Verbots weiter aus Afghanistan abgezogen. Trumps Frau, First Lady Melania Trump, brach am Montag erstmals ihr Schweigen nach dem Gewaltausbruch am Kapitol. "Es ist erbaulich zu sehen, dass so viele eine Leidenschaft und Begeisterung für die Teilnahme an einer Wahl gefunden haben, aber wir dürfen nicht zulassen, dass Leidenschaft in Gewalt umschlägt", schrieb sie in einer Mitteilung. Einem weiteren wichtigen Weggefährten Trumps, seinem Anwalt Rudy Giuliani, droht indes der Rausschmiss aus der New Yorker Anwaltskammer. Das gehe auf zahlreiche Beschwerden über Giulianis Verhalten als Anwalt zurück, aber vor allem auch auf dessen Äußerungen bei einem Auftritt bei Trumps folgenreicher Großkundgebung am 6. Jänner. Dort hatte Giuliani der Menge zugerufen, sie solle für ihr Recht kämpfen. Und all jenen republikanischen Abgeordneten, die sich gegen die Bestätigung von Biden als neuen Präsidenten gestellt hatten, droht der Wegfall wichtiger Spendern. Facebook, Microsoft, Google, Ford, Verizon, AT&T, die Ölfirma BP und viele weitere Unternehmen haben nach eigenen Angaben politische Spendengelder nach dem Sturm des US-Kapitols ausgesetzt, um zu überprüfen, ob sie noch mit Konzernwerten vereinbar sind. (Frank Herrmann aus Washington, fmo, 11.1.2021)