Anfang dieses Jahres starb eine Wiener Pensionistin in ihrer Wohnung durch Schüsse von Wega-Beamten. Was genau passiert ist, werden Ermittlungen zeigen. Die meisten Berichte stimmen darin überein, dass die Frau psychisch krank und pflegebedürftig war und sehr zurückgezogen in ihrer Wohnung lebte. Als ihre Pflegerin an einem der ersten Jännertage zur Wohnung der Frau kam, öffnete die Pensionistin mit einem Messer in der Hand. Die Heimhilfe verständigte die Polizei. Die lokalen Polizeibehörden zogen die Wega bei. Nach Polizeiangaben öffnete die Frau auch der Polizei mit dem Messer in der Hand und attackierte Beamte, woraufhin tödliche Schüsse fielen. Es erinnert an Szenarien, wie wir sie aus den USA kennen und kritisieren.

Es gibt für den Staat kaum schlimmere Szenarien, als wenn Bürgerinnen oder Bürger durch Waffengewalt sterben. Der aktuelle Fall erinnert uns an ganz allgemeine Fragestellungen: Wie soll unsere Polizei ausgebildet und ausgestattet sein, welche Strategien verfolgt sie, und wie wird sie kontrolliert?

Vorbild und Eskalation

Die österreichische Polizei leistet in vielen Bereichen exzellente Arbeit. Im Bereich der häuslichen Gewalt sind spezialisierte Beamtinnen und Beamte rasch vor Ort, das Modell des österreichischen Gewaltschutzgesetzes war vielen anderen Staaten bereits ein Vorbild. Von einem aufgeklärten und menschenrechtlich geprägten Zugang her sind Polizeistrategien zu bevorzugen, die auf gute Ausbildung, gute Kommunikation und deeskalierende Zugänge der Polizei setzen. Das umfasst etwa auch Fragen der Uniform, der Farbgestaltung von Uniformen und so weiter – Studien zeigen, welchen Einfluss Uniform und Auftreten der Polizei haben. Sowohl im lokalen Bereich, also in der Grätzelarbeit, als auch zum Beispiel bei Demonstrationen bewähren sich deeskalierende Polizeistrategien.

Bei allen Tendenzen zur Aufrüstung und Militarisierung von Polizeibehörden sollten wir stutzig werden – sie setzen meist eine Eskalationsspirale in Gang, die zu einer hohen Zahl an Zwischenfällen und Gewalt führt. Evaluiert man den aktuellen Fall der getöteten Pensionistin, so scheint die Schlüsselentscheidung jene gewesen zu sein, die Sondereinheit Wega beizuziehen. Man wird sich fragen müssen, ob nicht, in Kenntnis der Tatsache, dass die Frau psychisch krank war, die Beiziehung eines psychologischen Diensts naheliegender gewesen wäre als die Einbindung der Wega. Denn die Frau war in ihrer Wohnung, es gab keinerlei dringenden Handlungsbedarf.

Waffengewalt führt unweigerlich zu einer Diskussion über die Ausbildung und die Kontrolle der Polizei in Österreich.
Foto: APA/WOLFGANG SPITZBART

Mehr Effizienz und Sensibilität bei der Kontrolle der Polizei

Damit sind wir beim Thema der Kontrolle polizeilichen Handelns. Bei dem Thema tritt man in Österreich seit Jahrzehnten auf der Stelle. Nur eine sehr geringe Zahl von Vorwürfen gegen die Polizei führt zu Verurteilungen – internationale Stellen haben oftmals gerügt, dass es an einer unabhängigen Untersuchungsstelle fehlt. Die Politik konnte sich bisher nicht entschließen, polizeiliches Handeln von rechtlich und faktisch unabhängigen Organen untersuchen zu lassen – vor allem in den wichtigen ersten Stunden und Tagen nach einem Zwischenfall. Das aktuelle Regierungsprogramm sieht immerhin schon die "Ausarbeitung einer Reform des Rechtsschutzes mit dem Ziel der europa- und verfassungsrechtlich geforderten Unabhängigkeit der Kontrollinstanz" vor. Im gegenständlichen Fall wurde die Untersuchung des Vorfalls von der Wiener Polizei an steirische Polizeibehörden abgegeben. Eine ganz andere Qualität und Vertrauensbasis hätte es zum Beispiel, wenn die zuständigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte von der ersten Stunde an die Ermittlungen übernommen und Vernehmungen selbst geführt hätten – die österreichische Strafprozessordnung würde dies jetzt schon erlauben und nahelegen.

Und auch wenn es die Frau nicht mehr ins Leben zurückholt und nur ein Nebenaspekt sein mag: Dass die Polizeispitze nach einem solchen Vorfall kein Wort des Bedauerns und des Beileids findet, vielmehr eine psychisch kranke alte Frau via Pressearbeit zur "Täterin" stigmatisiert, passt nicht zu unserer Republik und tut weh. (Oliver Scheiber, 25.1.2021)