Dass die Causa um den mutmaßlichen Ex-Agenten des türkischen Geheimdiensts politisch so gar nicht aufschlägt, ärgert die grüne Politikerin Berîvan Aslan.

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Seit dem vergangenen September kann Berîvan Aslan ihre Wohnung nur mit Polizeischutz verlassen. Damals erreichte die kurdischstämmige Politikerin der Wiener Grünen eine Hiobsbotschaft: Ein angeblicher Ex-Agent des türkischen Geheimdiensts MIT stellte sich der österreichischen Polizei und erklärte, den Auftrag erhalten zu haben, Aslan "umzubringen oder wenigstens zu verletzen". Das geht aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien hervor.

Seither hat sich einiges getan. Der italienische Staatsbürger mit türkischen Wurzeln kam in Untersuchungshaft. Aus dieser wurde er vor dem Jahreswechsel entlassen und nach Italien abgeschoben. Am 4. Februar sollte ihm in Wien wegen militärischen Nachrichtendiensts für einen fremden Staat der Prozess gemacht werden. Der Termin musste wieder abberaumt werden – mangels des Angeklagten. Die britische Tageszeitung Telegraph berichtete kürzlich, dass sich der Verdächtige nun in Nordafrika aufhält. Rund um die Causa des angeblichen türkischen Ex-Agenten wird noch gegen fünf weitere Beschuldigte ermittelt. DER STANDARD berichtete.

Nur eine "Weggefährtin"

Aslan hält jede dieser Entwicklungen minutiös in den sozialen Netzwerken fest. In ihren Beiträgen auf Facebook und Twitter sorgt sich die Politikerin um Demokratie und Menschenwürde. Der Fall sorgt auch international für Aufsehen.

In Österreich fühlt sich die Grüne ziemlich allein gelassen. Dass die Minister für Inneres und Äußeres, Karl Nehammer und Alexander Schallenberg (beide ÖVP), einen großen Bogen um diese Causa machen, ärgert Aslan.

Viel unverständlicher wirkt aber, dass von den Grünen die Solidarität ausbleibt. Die kürzlich abgesetzte Klubvize Ewa Ernst-Dziedzic war die Einzige des grünen Spitzenpersonals, die ihre "Freundin und politische Weggefährtin" öffentlichkeitswirksam unterstützte.

Wenn man sich bei den Grünen umhört, scheint der Fall nicht die nötige Brisanz zu haben. Parteiintern stellt man sich die Frage, ob die Gefahr für Aslan wirklich so schlimm ist und ob sie sich da nicht in etwas hineinsteigert. Die Namen des Ex-Grünen Peter Pilz und des roten EU-Abgeordneten Andreas Schieder seien bei der Einvernahme des Verdächtigen auch gefallen, die beiden würden aber weniger Staub aufwirbeln.

"Schockiert über das, was passiert ist"

Am Mittwochvormittag trat allerdings dieses Dreiergespann gemeinsam an die Öffentlichkeit und machte genau das. Aus Aslans Sicht war der Geständige kein großer Lügner, immerhin seien alle Kontaktpersonen, die er angab, auch verifiziert worden. Das Umfeld des mutmaßlichen Spions weise zudem teils eine Nähe zu den ultranationalistischen und rechtsextremen "Grauen Wölfen" auf.

Allerdings ist Aslan "schockiert" über die Art und Weise, wie die Causa hierzulande behördlich behandelt wird. Bisher ist selbst für die Grünen-Politikerin der Akt unter Verschluss. Sie würde den Attentäter also gar nicht erkennen, da sie bisher gar kein Foto von ihm gesehen hat, erzählte sie. Völlig unverständlich ist für Aslan, dass der geständige mutmaßliche Ex-Agent kurz vor seinem Strafverfahren ins Ausland abgeschoben und ihm damit die Möglichkeit gegeben wurde abzutauchen. Aus der U-Haft entlassen wurde er, weil auch nach Meinung der Staatsanwaltschaft nicht mehr die Verhältnismäßigkeit gegeben war. Es hätte aus Aslans Sicht zig gelindere Mittel gegeben, um den Mann in Österreich zu halten. Aslan verlangte eine parlamentarische Untersuchung dieser Causa.

Der angebliche Spion hebt nicht ab

Hier schloss der ehemalige Abgeordnete und Zackzack-Gründer Pilz an. Er wollte den mutmaßlichen Agenten am Mittwoch erreichen, was aber scheiterte. Pilz geht davon aus, dass er sich auf der Flucht befindet und gegen seinen Willen abgeschoben wurde. "Wer dermaßen gegen den Erdoğan-Geheimdienst aussagt, ist gefährdet", meinte der Ex-Politiker. Jedwede Verdunkelung und Flucht des Mannes hätte verhindert werden müssen.

Für Pilz stellt sich angesichts dessen, wie die Causa verlaufen ist, die Frage, ob das Justizministerium gemeinsam mit den Ressorts Inneres und Äußeres als Komplizin eines "ausländischen terroristischen Regimes" agiert hat – er ortet einen Justizskandal. Für Kopfschütteln sorgt bei Pilz auch, dass dem angeblichen Ex-Agenten nur noch der Nachrichtendienst für einen fremden Staat zur Last gelegt wird und die Vorbereitung zum Mord praktisch verschwunden ist, obwohl der Verdächtige das gestanden hat. Wenn diese Causa nicht parlamentarisch untersucht werde, sei das eine Einladung an potenzielle Attentäter solcher Regime, weil sie "im schlimmsten Fall, wenn sie es nicht schaffen, abgeschoben werden", poltert Pilz.

Eine Frage der Zuständigkeit

Schieder erfuhr im Spätherbst von Pilz, dass auch sein Name in der Causa gefallen ist. Wie der STANDARD bereits erfuhr, meldete sich bei Schieder etwa tagelang niemand vom Verfassungsschutz. Da er Europaabgeordneter in Brüssel ist, fühlte sich von der österreichischen Behörde niemand so recht für ihn zuständig, obwohl er grundsätzlich in Wien lebt. Für sich persönlich hatte Schieder den Fall eigentlich schon abgehakt, auch weil dieser für Aslan als direkt Genannte viel dramatischer sei. Seit der Abschiebung des mutmaßlichen Ex-Agenten stellt sich der Sozialdemokrat allerdings die Frage, ob das alles mutmaßlich, fahrlässig oder gar absichtlich passiert.

In diesem Bereich vermisst Schieder generell die nötige Aufmerksamkeit der heimischen Behörden. Aslan, Pilz und Schieder tauchten nämlich bereits in einem Bericht der Erdoğan-nahen Seta-Stiftung auf, deren Hauptsitz sich in Ankara befindet. Darin wird den Politikern eine Nähe zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) attestiert, die in der Türkei als Terrororganisation angesehen wird. In Österreich sind die Symbole der PKK verboten.

Erst nach Erscheinen dieses STANDARD-Berichts veröffentlichte Grünen-Sicherheitssprecher Georg Bürstmayr eine Aussendung, in der Aslan "volle Solidarität" zugesagt wurde. Die Bundes-Grünen wollen nun eine parlamentarische Anfrage zur Aufklärung der Causa einbringen. (Jan Michael Marchart, Michael Völker, 27.1.2021)