Das "Wunschhaus#1" in Hamburg, fertiggestellt 1999 und geplant von den Berliner Architekten Heide von Beckerath Alberts, vereint Flachdach und Steildach – und stellt einen Kompromiss im Dächerstreit dar.

Foto: Andrew Alberts, 2011

Schon Kinder beschäftigen sich mit Dächern. Zumindest gehören Häuser zu den ersten Motiven, die die Kleinen in unseren Breiten auf Papier bringen. Steildach oder Flachdach? Es kommt schon im Kindergarten darauf an. Markus Grob, Architekturprofessor aus Karlsruhe und Autor des Buchs Dächerstreit, erzählt von einem Aufenthalt in Kairo, dem Besuch bei einer Familie, einem Micky-Maus-Heft – und einer Überraschung: "Für die Kinder waren die Häuser in Entenhausen keine wirklichen Häuser, sondern seltsame Gebilde. Sie kannten ja nur Häuser mit Flachdächern."

Auch bei den schon ein paar Jahre älteren Häuslbauern gibt es die, die sich Häuser mit Steildächern nicht vorstellen können. Oder jene, die Flachdächer furchtbar finden – und damit wohl auch das dazugehörige Haus. Denn das Dach ist eines der entscheidenden Charakteristika eines Hauses.

Doch glaubt man einer Umfrage, die der Ziegelhersteller Wienerberger unter 700 Häuslbauern und Hausbesitzerinnen durchgeführt hat, fällt die Entscheidung ohnehin eindeutig aus: 86 Prozent sind von den Vorteilen eines Steildachs überzeugt. Am beliebtesten ist das klassische Satteldach, dahinter folgt das Walmdach.

Comeback des Steildachs?

In der Wienerberger-Aussendung wird angesichts solcher Beliebtheitswerte gar von einem "Comeback des Steildachs" gesprochen.

In der Fachwelt fällt das Urteil weniger eindeutig aus. "Beide Varianten haben Vor- und Nachteile", betont Iva Kovacic, Expertin für integrale Bauplanung an der TU Wien. Sie hat zu der Thematik schon mehrere Studien durchgeführt. Was sie dabei herausgefunden hat: Ein entscheidender Faktor sind für Häuslbauer die Kosten. Dabei gewinnt das Flachdach – allerdings kommen Instandhaltungs- und Wartungskosten dazu. "Wenn das Flachdach korrekt ausgeführt wird, spricht nichts dagegen", betont die Expertin. Nachsatz: "Aber es ist extrem schwierig, ein Flachdach korrekt auszuführen."

Wenn beispielsweise bei einer Holzdecke Wasser eintrete, sei der Schaden enorm, sagt Kovacic. Erschwerend kommt hinzu, dass ein solcher Schaden oft schwer zu finden ist.

Auch angesichts heißer werdender Sommer will die Dachform gut überlegt sein. Im Steildach gibt es im Dachraum eine Pufferzone. Das hilft, die sommerliche Überwärmung im obersten Geschoß eine Zeitlang zu vermeiden, erklärt Kovacic. Allerdings würden auch bei Flachdächern die Dämmungen immer besser. Und ein Flachdach kann man begrünen. Das kühlt das Haus.

Steildach für Regen und Schnee

Bei starken Regen- und Schneefällen wiederum steigt das Steildach besser aus. "Aufgrund seiner Neigung kann Schnee von einem Steildach optimal abrutschen. Schnee und Wasser können somit nicht frieren und das Dach schädigen", wird Johann Marchner, Geschäftsführer der Wienerberger Österreich GmbH, in der Aussendung zitiert. Und Solarpaneele lassen sich gut auf dem Steildach anbringen, weil die Neigung schon vorhanden ist, die auf Flachdächern erst recht wieder mühsam erreicht werden muss.

Der eingangs erwähnte deutsche Architekt Markus Grob will mit seinem Buch zu dem Thema jedenfalls auch mit weitverbreiteten Vorurteilen aufräumen: "Es gibt auch moderne, tolle Häuser mit Steildach – und altväterische Häuser mit Flachdach", sagt er. Die landläufige Meinung ist oft umgekehrt. Diese Auffassung habe sich im 19. Jahrhundert herauskristallisiert, sagt Grob: "Aber auf Gemälden aus dem Mittelalter sieht man bei den Dächern eine wilde Mischung."

Der Architekt bricht jedenfalls eine Lanze fürs Flachdach, das dem Steildach gegenüber technisch ebenbürtig auszustatten sei: "Und es ist in vielerlei Hinsicht die bessere Variante", sagt er. "Denn wer kann sich denn heute noch einen Dachstuhl leisten?" Lieber also ein Flachdach, "da kann man oben am Ende herumtanzen".

Ein Dach, das Freude macht

Möglich wäre aber sogar ein Kompromiss im ewigen Dächerstreit: "Man kann ja auch eine freie Dachform erfinden", schlägt Grob vor. Ein Fantasiedach sozusagen, das die örtliche Bauordnung erfüllt – "und darüber hinaus auch noch Freude macht".

Ein Beispiel dafür zeigt er auch in seinem Buch her: Das Wunschhaus#1 in Hamburg, geplant von den Berliner Architekten Heide von Beckerath Alberts, tritt mit Steildach auf. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich dieses aber als eine leichte Konstruktion, die fast wie ein Zelt auf einem Flachdach steht. Das sei günstiger als ein Steildach, erfülle aber örtliche Bauvorschriften, erklärt Grob.

Und den Kindern wird’s auch gefallen. (Franziska Zoidl, 5.4.2021)