Es ist sehr schade, dass die vielen tollen Küchen und Zutaten der Türkei es kaum nach Österreich geschafft haben. Das, was es an türkischem Essen hier gibt, ist kaum aus der Fastfood- und Billigecke rausgekommen (Fussnote 1), und selbst da gibt es noch erheblich Luft nach oben. Symptomatisch dafür ist etwa, dass zwar an jeder Ecke schlechtes Kebap verkauft wird, Lahmacun aber vergleichsweise selten zu bekommen ist.

Dabei ist Lahmacun ein wunderbares Strassenessen: Ein dünner Teig wird mit einer Paste aus Faschiertem (Rind oder Lamm) und Zwiebeln, Tomaten und diversen Gewürzen (Zimt, Koriander, Kreuzkümmel ...) bestrichen und im Holzofen knusprig gebacken. Dann wird es mit Zitrone beträufelt, mit Kräutern (Petersil, Koriander...), Zwiebeln und/oder Sauergemüse belegt und vor dem Essen wie ein Dürüm eingerollt.

Wenn es gut ist, kann es fantastisch sein: ofenheiß und knusprig mit zarter Rauchnote, würzig wie der Duft des Basars, erfrischend sauer und belebend krautig – ganz erstaunlich viel für eine so unscheinbare Flade. Zusammen mit einem Glas Ayran gibt ein Lahmacun (oder zwei) ein famoses Frühstück, Mittagessen oder bloß einen Nachmittagssnack ab.

Foto: Tobias Müller

Ich habe Lahmacun zunächst im Kent in Wien kennengelernt, wo eine meiner Meinung nach sehr passable Version serviert wird. Frisch verliebt habe ich mich dann nach Istanbul auf Pilgerreise begeben und schließlich, zurück in Wien, meine Sehnsucht meist im Ala auf der äußeren Mariahilfer Straße gestillt. (Eine Wiener Lahmacun-Tour, ähnlich wie der Cevapi-Crawl, ist seither ein unerfüllter Traum. Falls wer mein Guide sein mag, bitte melden!)

Das Wort kommt vom arabischen laḥm bi-ʿajīn, was schlicht so viel wie "Teig mit Fleisch" bedeutet. Das Gericht soll ziemlich alt sein – manche Quellen sprechen von 4.000 Jahren. Gesichert ist jedenfalls, dass der jüdische Weise Hillel der Ältere knappe 200 Jahre vor Christus bereits Flachbrot mit Lamm und bitteren Kräutern aß.

Erst im 20. Jahrhundert dürfte es sich, vom Südosten kommend, in der heutigen Türkei ausgebreitet haben. Mittlerweile ist es dort aber so allgegenwärtig und populär, dass es als eine Art Nationalgericht gilt, und als solches für nationalistische Verstimmungen sorgen kann.

Hier in Neapel ist es leider völlig unmöglich, an Lahmacun zu kommen. Als mich vor ein paar Wochen die Sehnsucht gepackt hat, habe ich mich daher selbst ans Werk gemacht – mit sehr zufriedenstellenden Ergebnissen.

Glücklicherweise ist Lahmacun nämlich für den Heimbäcker viel besser geeignet als ihre berühmte Flachbrot-Cousine, die Pizza. Der Teig soll knusprig, aber dünn sein, und muss nicht wie eine knusprige Wolke aufgehen – er ist daher leichter zu machen, zu bearbeiten, und leichter in normalen Öfen zu backen. Ich habe auf dem Kugelgrill mit umgedrehter Gusseisenpfanne als Backstein sehr gute Ergebnisse erziehlt.

Lahmacun ist eines dieser wunderbaren, alten Gerichte, in denen Fleisch nicht die Hauptrolle spielt, sondern mehr als Würze eingesetzt wird – halten Sie sich also mit dem Faschierten zurück, nehmen dafür aber am besten geschmacksintensives Lamm (oder gar Schaf!). Ihr türkischer Fleischer berät Sie bestimmt gern. Und besorgen Sie sich Sumac (Fussnote), falls Sie es nicht haben oder kennen. Sie werden es nicht bereuen.

Lahmacun vom Grill (oder aus dem Ofen)

Ich habe zunächst mit diesem Rezept experimentiert. Die Fülle ist ganz ausgezeichnet, mit dem Teig war ich aber nicht ganz zufrieden – er ist sehr gut und leicht zu handhaben, war aber so knusprig, sodass er sich nicht gut rollen ließ. Mir ist es aber zugegeben bisher trotz Bemühungen (kein Ei, weniger Hefe, Wasser statt Milch, kürzeres Kneten ...) nicht gelungen, einen besseren zu machen. Tipps sehr willkommen.

Die Menge für die Würzpaste ist übrigens großzügig bemessen – wenn Sie Ihr Lahmacun gern nur puristisch bestreichen, reicht es auch gern für sechs bis acht Fladen.

Für den Teig

  • 300 g Mehl
  • 1/2 Packung Trockenhefe
  • 1 EL Kristallzucker
  • 1 gestrichener Esslöffel Salz
  • 1 Ei
  • 100 ml Milch
  • 50 ml Olivenöl

Für die Würzpaste

  • 1 kleine Zwiebel, geviertelt
  • 8 Cocktailtomaten
  • 1 TL Tomatenmark
  • Je 5-10 Zweige Petersil und Koriander
  • 5 Zweige Minze, Blätter gezupft
  • 1 ordentlicher EL Sumac(Fussnote 2)
  • 1 ordentlicher TL Chiliflocken
  • 1 bescheidener TL Paprikapulver
  • 5-6 Pimentkörner
  • 1 gehäufter TL Kreuzkümmel
  • 1 fingergroßes Stück Zimt
  • 15 Pfefferkörner
  • Salz
  • 150 g Lamm- oder Ziegenfaschiertes

Für den Sumac-Salat

  • 4 Jungzwiebel oder 5-6 Schalotten oder zwei kleine rote Zwiebel (oder auch einfach irgendeine Zwiebel, wenn nichts anderes da ist
  • Saft einer Zitrone
  • 1 gehäufter EL Sumac(Fussnote 2)
  • Je 5-6 Zweige Petersil, Koriander und Minze, mehr oder weniger fein gehackt

Die Zutaten für den Teig gut vermischen und kneten, bis ein elastischer Teig entsteht.

Foto: Tobias Müller

Er soll nicht an den Fingern kleben.

Foto: Tobias Müller

Zugedeckt zwei bis drei Stunden rasten lassen, bis er sich verdoppelt hat,

Foto: Tobias Müller

dann vierteln, zu Kugeln formen und nochmals zugedeckt etwa eine halbe Stunde rasten lassen.

Foto: Tobias Müller

Ganze Gewürze in einer trockenen Pfanne rösten und dann im Mörser mahlen.

Foto: Tobias Müller

Alle Zutaten für das Topping außer Fleisch in einer Küchenmaschine oder mit einem Pürierstab pürieren. Das Fleisch zugeben und nochmals kurz häckseln. Es soll eine streichfähige Masse, aber kein homogener Brei sein.

Das Backrohr so heiß wie möglich aufheizen oder den Grill anwerfen. Wer einen Holzbackofen hat, kann den natürlich für die allerbesten Ergebnisse auch anwerfen. Ist es allerdings wohl eher nur wert, wenn die Rezeptmenge mindestens vervierfacht wird.

Backstein oder Gusseisenpfanne umgedreht ins Rohr oder in den Grill geben und sehr heiß werden lassen. Falls Sie mit einem Grill arbeiten: Platzieren Sie die Pfanne direkt über den heißen Kohlen, das gibt ihr den nötigen Kick.

Foto: Tobias Müller

Währenddessen den Sumac-Salat machen.

Foto: Tobias Müller

Zwiebel in feine Ringe schneiden, Kräuter grob hacken, alle Zutaten gut vermischen.

Foto: Tobias Müller

Teig auf einer bemehlten Arbeitsfläche möglichst dünn ausrollen – sich hier ein wenig Mühe zu geben, zahlt sich später aus. Wenn er sich ziert, ein wenig ausrollen, zwei Minuten rasten lassen, und weiter ausrollen – das wirkt manchmal Wunder.

Foto: Tobias Müller

Vorsichtig auf ein Stück Backpapier heben und mit der Würzpaste bestreichen.

Foto: Tobias Müller

Gut andrücken! Auf die heiße Pfanne heben und zugedeckt backen, bis es knusprig ist, je nach Grill oder Backrohr zwischen vier und acht Minuten.

Foto: Tobias Müller

Kurz rasten lassen, mit Sumac-Salat bestreuen, wenn möglich einrollen und heiß mit einem Glas kaltem Ayram genießen.

Foto: Tobias Müller

(Tobias Müller, 14.3.2021)

Fußnote 1: Dass es keine Missverständnisse gibt: Fastfood und billiges Essen können ganz wunderbar sein. Ich schätze das Kent sehr, und werde, wenn's wieder offen hat, sicher wieder mal ins Damak Etli Ekmek schauen. Diese Art von Essen ist aber halt nicht alles. Wo sind die gehobenen türkischen Lokale? Wo gibt es türkische Küche aus richtig guten Zutaten? Wo Regionalküchen? Wo die Österreicher Ende 20, die durch die Türkei gereist sind und jetzt in winzigen Wiener Lokalen toll türkisch kochen? Anders als bei den Asiaten, die lange ein ähnliches Schicksal plagte, zeichnet sich auch heute bei türkischem Essen da keine Trendwende ab. Bloß Heinz Reitbauer serviert im Steirereck manchmal Zigarrenbörek als Amuse-Gueule und Luki Mraz grillt Lamm mit Granatapfelsirup. Das gilt nicht nur für die Türkei, sondern für das gesamte östliche Mittelmeer. Da ginge viel mehr! Liebe neue syrische Mitbürger, tut was! Falls ich mich irre, bin ich für Hinweise (jenseits von Alis Grill bei der Oper) extrem dankbar.

Fußnote 2: Ich habe immer gern dieses Sumac bestellt, seit dem Brexit liefern die aber leider nicht mehr in die EU. Mein Glas ist noch recht voll, aber wenn wer eine andere gute Quelle weiß, bin ich dankbar.