Wien – Die österreichische Impfaktion gegen Covid-19 ist von akuter Vakzinknappheit geprägt. Verbunden mit einer – angesichts der fortgesetzten Bedrohung durch das Virus – hohen Impfbereitschaft in weiten Teilen der Bevölkerung führt das zu einem Run auf sämtliche mit der Impfung in Zusammenhang stehenden Behörden und Stellen.

Davon sind auch viele schwerkranke Menschen betroffen, die dringend eine Impfung benötigen, weil eine Covid-19-Infektion für sie mit hoher Wahrscheinlichkeit einen schweren Verlauf nehmen würde.

Manche Berufsgruppen wie Lehrer (siehe Bild) werden gemäß dem Impfplan prioritär geimpft. Obwohl sie an der Reihe waren, bekamen Mitglieder einer Hilfsorganisation aber lange keine Impfung.
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Menschen mit Krebs, Multipler Sklerose, nach Herzinfarkten oder Schlaganfällen reiben sich beim Versuch auf, einen Termin zu ergattern. Die österreichische Impfstrategie, die eine Massenimmunisierung von den Ältesten abwärts vorsieht – was im Februar nochmals bestärkt wurde – macht es ihnen besonders schwer.

"Neun Wochen lang habe ich mich von einer Stelle zur anderen durchtelefoniert"

"Hier habe ich zum Beispiel die Mail einer an Brustkrebs erkrankten Frau. Sie hatte bereits einen Impftermin. Dann verschlechterten sich ihre Blutwerte, sie wollte den Termin verschieben. Stattdessen, so schreibt sie, wurde der Termin ersatzlos gestrichen", schildert die Wiener Patientinnen- und Patientenanwältin Sigrid Pilz. 80 Mails von Menschen in derart verzweifelten Lagen habe sie allein in dieser Woche erhalten, sagt sie.

Die Wiener Patientinnen- und Patientenanwältin fordert eine zentrale Anlaufstelle. "Es braucht dringend eine Corona-Impfungs-Anlaufstelle, wo Expertinnen und Experten fachliche Begutachtungen durchführen. Vorerkrankten Menschen könnte so direkt ein Impftermin vermittelt werden."

Andere wiederum, so Pilz, hätten sich bei ihr beschwert, weil sie – etwa aus beruflichen Gründen – beim Impfen an sich schon an der Reihe seien, aber nicht und nicht drankämen. "Neun Wochen lang habe ich mich von einer Stelle zur anderen durchtelefoniert, überall wurde ich vertröstet", schildert etwa Ernst Strobl von den Lazaritern.

Die unabhängige Hilfsorganisation des Lazariter-Ordens liefert in Wien Sauerstoff an Patientinnen und Patienten aus, die diesen daheim benötigen. "Wir versorgen an der Lungenkrankheit COPD erkrankte Menschen sowie zuletzt auch immer mehr chronisch an Covid erkrankte Personen. Dazu betreiben wir einen Notrufdienst für Menschen, die daheim nach Stürzen Hilfe brauchen", sagt Strobl.

Kein Termin trotz Impfplans

Mit dieser Arbeit geht ein beträchtliches Risiko einher, andere oder sich selbst mit dem Coronavirus anzustecken. Doch Impftermine bekamen die acht Mitarbeiter nicht, obwohl sie zu den medizinischen Hilfsdiensten gehören, die an sich schon ab Jänner mit der Immunisierung dran waren.

"Ich habe mich durch etliche Büros des Wiener Gesundheitsdienstes MA 15 durchgefragt. Immer wieder hieß es, man habe unseren Fall aufgenommen und werde sich melden. Nie meldete sich jemand", sagt Strobl.

Vergangenen Freitag traf er bei einem weiteren Telefonvorstoß erstmals auf eine Mitarbeiterin, die Zeit zum Zuhören hatte: "Sie sagte: 'Ich kümmere mich drum.' Zweieinhalb Stunden später bekam ich eine Mail vom Krisenmanagement: Wir könnten uns impfen lassen."

Psychotherapie-Studierende

Eine andere Gruppe wurde erst nach Interventionen in den Impfplan aufgenommen. Seit Anfang März werden nicht nur Medizinstudierende im klinisch-praktischen Jahr, sondern auch Studierende in nichtmedizinischen Gesundheitsberufen, die Kontakt zu Patienten haben, geimpft. Das sind beispielsweise Studierende der Psychotherapie und Psychologie, die in der Ambulanz der Sigmund Freud Privat-Universität arbeiten, oder Pflegestudierende an der FH Campus Wien.

Zuvor hatten sich Studierendeninitiativen beschwert, dass diese exponierte Gruppe nicht früh genug berücksichtigt worden sei, heißt es aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker. In Wien habe man daher begonnen, sie gleichzeitig mit Beschäftigten in nichtmedizinischen Gesundheitsberufen zu impfen.

Dutzende Anzeigen

Begonnen hatte die Diskussion um die Impfreihung mit Berichten über Bürgermeister, die sich, etwa in Alten- und Pflegeheimen, gegen Covid-19 immunisieren ließen – Stichwort Impfdrängler. In deren Folge gingen quer durch das Land dutzende Sachverhaltsdarstellungen bei den einzelnen Staatsanwaltschaften (StA) ein, wie ein Rundruf des STANDARD zeigt.

Allerdings: Nirgendwo wird gegen die sogenannten Impfdrängler ermittelt. Die Anzeigen drehen sich um den Vorwurf des Amtsmissbrauchs oder die Anstiftung dazu, manche auch um Bestechung und Bestechlichkeit. Von den zwölf Staatsanwaltschaften, die der STANDARD erreichte, wurde bisher aber nur von einer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Verfahren gegen Bürgermeister fallen gelassen

In Feldkirch – dieser Fall erregte nach einem Fernsehaufritt des betroffenen Bürgermeisters besondere Aufmerksamkeit – wurde das Verfahren mittlerweile fallen gelassen. In Einzelfällen, etwa in Kärnten, läuft die Prüfung des Anfangsverdachts noch, überall sonst wurde ein solcher nicht gesehen

Dass Geld für eine Impfdosis geflossen sei, steht übrigens in keinem der bekannten Fälle im Raum. Vielmehr drehen sie sich um Personen – in vielen Fällen Bürgermeister – die, wohlwollend ausgedrückt, zur rechten Zeit am rechten Ort waren, um eine überschüssige Impfdosis abzubekommen.

Nach einem Erlass des Gesundheitsministers kann es allerdings sehr wohl für einen Arzt oder eine Ärztin Konsequenzen haben, wenn er oder sie nicht gemäß der Prioritätenliste verimpft – dies kann bis zur Suspendierung gehen. (Irene Brickner, Eja Kapeller, Gabriele Scherndl, 26.3.2021)