Ein datengetriebener Ansatz soll den Therapieeinsatz eines Exoskeletts besser individualisierbar machen.

Foto: Ekso Bionics

Irgendwann werden Exoskelette, die Menschen mit Mobilitätseinschränkungen beim Gehen helfen, die Rollstühle weitgehend ersetzen. So weit ist die technische Entwicklung zwar noch nicht, auch wenn Michael Seitlinger, der Co-Gründer von Tech2People, diese Vision klar vor Augen sieht.

Immerhin werden in dem Unternehmen Exoskelette bereits für Therapiezwecke genutzt – um nach einem Schlaganfall oder anderen neurologischen Erkrankungen wieder gehen zu lernen, um Gelenke von Patienten mit Querschnittslähmung zu mobilisieren und Kreislaufwerte zu verbessern oder um der Osteoporose vorzubeugen, die bei Menschen im Rollstuhl oft stark ausgeprägt ist.

Nicht zu unterschätzen ist auch der psychologische Aspekt für die Patienten, die per Exoskelett ihren Mitmenschen wieder aufrecht – auf Augenhöhe – begegnen können. Seit 2018 werden die ambulanten Therapieprogramme in Wien angeboten.

Objektive Datenquelle

Die Feststellung des Therapieerfolgs mit diesem Hilfsmittel stützte sich bisher vor allem auf die Einschätzungen von Ärzten, Therapeuten und der Patienten selbst. Nun soll aber noch eine weitere Datenquelle für die Messung der Fortschritte nutzbar gemacht werden – jene Sensortechnik, die die Hightech-Exoskelette ohnehin mitbringen.

Diese objektive Datenquelle soll mit medizinischen Einschätzungen sowie Daten weiterer Geräte – etwa Brustgurten zur Herzfrequenzmessung und Bewegungssensoren an den Gelenken – zu einem Datenpool beitragen, der die Situation des einzelnen Patienten umfassend abbildet.

Das Ziel ist, eine datengestützte, für die individuelle Situation eines Patienten maßgeschneiderte Therapie anbieten zu können. "Die langfristige Vision ist, bestimmte Indikatoren für optimale Therapieabläufe zu definieren und die beste Kombination von Maßnahmen treffen zu können", sagt Rupert Kluhs-Preißler, Physiotherapeut und stellvertretender therapeutischer Leiter bei Tech2People.

Machbarkeitsstudie

Auf dem Weg zu diesem Ziel wurde gemeinsam mit der auf Zukunftstechnologien fokussierten Research Studios Austria Forschungsgesellschaft (RSA FG) eine Machbarkeitsstudie umgesetzt, in der die Analyse der Sensorrohdaten aus dem Exoskelett für Therapiezwecke erprobt wurde.

"Der Ansatz beinhaltet eine gewisse Schwierigkeit, weil die Sensorsysteme ursprünglich nicht dafür vorgesehen sind, datengetriebene Therapien zu unterstützen", sagt Benedikt Gollan, wissenschaftlicher Leiter des Research Studios Pervasive Computing Applications der RSA FG. Die Daten sind lediglich für interne Auswertungen und Wartungsprozesse strukturiert. Für die neue Nutzung ist deshalb viel Rechen-, Auswertungs- und Interpretationsarbeit notwendig.

tech2people

Im Therapieprogramm wird ein hochspezialisiertes Exoskelett des US-Herstellers Ekso Bionics genutzt. Das knapp 25 Kilogramm schwere Gerät gibt seinem Träger die nötige Stabilität für eine Gehbewegung. Das Gleichgewicht muss der Nutzer, unterstützt vom Therapeuten, selbst halten.

Smarte Sensorik

Das Gerät, das an die Körpergeometrie des Trägers exakt angepasst wird, erkennt über eine Reihe von Sensoren die Leistung, die der Patient beim Gehen erbringen kann – also wie viel eigene Kraft bei jedem Schritt selbst aufgebracht wird. Auf dieser Basis errechnet das System, wie viel Unterstützung durch das Exoskelett notwendig ist, um eine Gehbewegung zu ermöglichen. Diese Unterstützung wird von den vier verbauten Motoren umgesetzt.

Die umfangreichen Sensordaten aus dem Exoskelett enthalten valide klinische Informationen, betonen die Projektbeteiligten – diese dem System zu entlocken ist aber nicht so einfach. "Die Exoskelettsensorik vermisst die Bewegung 500-mal pro Sekunde. In einer 45-Minuten-Einheit kommen 30 Millionen Messdaten zusammen", veranschaulicht das Gollan. "Diese Daten müssen strukturiert und zu tatsächlichen Schrittbewegungen zusammengefasst werden."

Natürlich sollen aber nicht nur einzelne Schritte – samt Details wie Beugungswinkeln, Schwungzeiten und Synchronität – analysiert werden, sondern eine Gehleistung über viele Schritte hinweg, um Trends, Schwächen und Stärken oder Fortschritte abzuleiten. Ein Vergleich soll natürlich nicht nur innerhalb einer Therapieeinheit, sondern über längere Zeiträume hinweg möglich sein. Immerhin ist die Leistung in einer Exoskelett-Session auch von der Tagesverfassung abhängig.

Vergleich mit Normalgang

Wichtig ist letztlich die Aufbereitung der Daten für das Fachpersonal, aber auch für die Patienten. Ein Vergleich mit einem gesunden Gangbild, der dank Machine-Learning-Algorithmen möglich wird, könnte etwa zu einer einfach fassbaren Kennzahl für Patienten werden.

Der Ansatz könnte auch dazu führen, dass eigene Datenschnittstellen am Exoskelett für die therapeutische Analyse entwickelt werden. Das Projektteam kooperiert diesbezüglich mit dem Hersteller.

Nachdem nun eine Methode vorhanden ist, wie die Daten zum Bewegungsablauf eines Patienten dargestellt und interpretiert werden können, soll der Ansatz bald in Kollaboration mit der Med-Uni Wien in größeren Studien erprobt werden.

Die Methode soll auf diese Art validiert und in verschiedene Therapieformen integriert werden. Was einst die Gangschulung von Patienten am Gehbarren war, ist mit der datengetriebenen Exoskeletttherapie endgültig in der Zeit der Digitalisierung angekommen. (Alois Pumhösel, 16.4.2021)