Das Buch "1984" hat Lim zwar nie gelesen. Trotzdem ist er der Meinung, die USA seien nicht mehr weit von der Dystopie des Romans entfernt.

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Der "Daily Stormer" und das Message-Board "8kun" sind zwei der wahrscheinlich berüchtigtsten Anlaufstellen Rechtsextremer in den USA. Letztere Plattform ist unter anderem auch Zentrum der QAnon-Verschwörer. Trotz der Relevanz für die Szene setzen die Webseiten seltsamerweise auf die Netzwerk-Infrastruktur des Ein-Mann-Unternehmens Vanwa Tech. Hinter diesem steht ein 23-jähriger Programmierer namens Nick Lim aus den USA – der die Plattformen der Extremisten auch nach den Sperren durch Amazon Web Services (AWS) und Cloudflare online hält.

Nur zweieinhalb Monate bevor Trump-Anhänger das US-Kapitol stürmten, hatte der rechtsextreme Flügel des Internets einen kurzzeitigen Zusammenbruch erlitten, manche Webseiten funktionierten also nicht mehr. QAnon-Anhänger sahen darin ihre Erzählung bestätigt, dass sich der politische Kampf seinem apokalyptischen Ende nähere. In Wirklichkeit gab es nur einen technischen Fehler bei Vanwa Tech, der mittels eines Neustarts der Server behoben wurde – nachdem Nick Lim von einem Nickerchen in der Wohnung seiner Mutter aufgewacht war, berichtet Bloomberg.

QAnon? Keine Ahnung!

Nach einer stabilen Infrastruktur klingt das nicht, trotzdem verdient er mit seinem Unternehmen eigenen Aussagen zufolge jährlich mehrere hunderttausend Dollar. Rechtsextrem sei er allerdings nicht, sagt Lim. Nur ein Unternehmer mit einer "maximalistischen" Auffassung von Meinungsfreiheit.

"Sobald man an den Punkt kommt, an dem man sich ansieht, ob Inhalte sicher oder unsicher sind, sobald man das tut, hat man eine Dose Würmer geöffnet", sagt er. In Interviews mit "Bloomberg Businessweek" wollte er Anfang 2020 allerdings nicht wirklich wissen, was QAnon eigentlich ist. Eine Meinung zu Donald Trump habe er ebenso wenig.

Mit seinen Diensten scheint er jedoch eine Lücke zu füllen, die Sperren von Mainstream-Providern wie AWS hinterlassen haben. Denn er hostet seit 2019 einige Webseiten selbst, anderen stellt er technischen Support zur Verfügung, wie zum Beispiel Schutz vor Cyberangriffen. Für Plattformen wie den "Daily Stormer" und "8kun" sind Lims Dienste deshalb quasi unentbehrlich, setzen die Blockaden sie doch auf eine Liste mit Anbietern von Kinderpornografie und terroristischen Organisationen wie dem "Islamischen Staat".

Kein Hosting Rechtsextremer

"Jedes Mal, wenn ich einen Artikel sehe, der Social-Media-Firmen angreift – und sie haben es verdient –, denke ich, dass es wichtiger ist, die Unternehmen zu verfolgen, die terroristisches Material hosten", sagt Rita Katz. Sie ist Gründerin der Non-Profit-Organisation SITE Intelligence Group, die terroristische Aktivitäten im Internet verfolgt: "Es gibt bereits ein gutes Rezept, das für den IS verwendet wurde. Warum benutzt man es nicht für die extreme Rechte?"

Das Problem sei in den USA, dass die Gesetze zur Regulierung des inländischen Terrorismus weniger weitreichend seien als die, die sich auf internationalen Terrorismus konzentrieren, berichtet Bloomberg. Unter anderem auch, um die Rechte von US-Bürgern zu beschützen, die unpopuläre politische Ansichten vertreten würden. Auch das Vorgehen von Hosting-Firmen wie Cloudflare ist dahingehend nicht immer konsequent. Während zwar die Zusammenarbeit mit dem "Daily Stormer" beendet wurde, werden vergleichbare Webseiten bis heute unterstützt.

"Kommunistische Tyrannei"

Einer der größten Kunden Lims ist allerdings "8kun". Er habe sogar eine persönliche Beziehung zu Ron Watkins, dem ehemaligen Administrator des Forums und einem der Hauptverantwortlichen seit der Gründung. Die größte Gefahr für die USA sei für den 23-Jährigen nicht extremistische Gewalt, sondern eine Erosion des ersten Verfassungszusatzes. Einschränkungen der freien Rede hätten die USA nämlich bereits an den Rand der kommunistischen Tyrannei gebracht, fabuliert er.

Laut ihm sei das Land nur noch einen Schritt von der dystopischen Welt des Romans "1984" entfernt. Ein Buch, das er jedoch nie gelesen habe: "Ich kenne also nicht alle Themen des Buches. Aber ich habe die Konzepte gehört, und ich habe einige Dinge gesehen." Bedenkt man, dass auch die Angreifer auf das Kapitol sich auf vergleichbaren Plattformen organisiert haben, bergen sie durchaus eine beachtliche Gefahr.

Denn dort finden sich rechtsextreme Meinungsmacher in Echokammern wieder, in denen sie ihre Botschaften ohne jeglichen Widerspruch verbreiten können. Eine wirkliche Möglichkeit der Kontrolle solcher Webseiten scheint es in den USA derzeit nicht zu geben – zumindest solange Unterstützer wie Nick Lim darin ein lukratives Geschäftsmodell wittern. (mick, 15.4.2021)