Migration wie hier von Mexiko in die USA soll durch den UN-Migrationspakt besser geregelt werden.

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In einem Österreich vor der Ibiza-Affäre, im Jahr 2018, echauffierte sich Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) und mit ihm seine ganze Partei über 23 Ziele auf 34 Seiten. Der UN-Migrationspakt, genauer gesagt der globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration, trieb die türkis-blaue Koalition um. Das rechtlich nicht bindende Papier, so die Befürchtung in Wien, könnte zu völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht werden und so die nationale Souveränität beschneiden. Auch könne es zu einer Verwässerung zwischen legaler und illegaler Migration führen, erklärten Strache und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) damals.

Auf den Punkt gebracht sollte der Pakt als erstes internationales Dokument Grundsätze für den weltweiten Umgang mit Migranten festlegen. Waren zunächst noch österreichische Diplomaten an der Entstehung dieser Vereinbarung beteiligt, änderte sich die Meinung der Regierung, nachdem rechte Gruppen und rechte Medien über Monate gegen das Papier gewettert hatten. Ende Oktober stieg Österreich trotz massiver Kritik von Experten und aus dem Ausland als viertes Land aus dem Pakt aus – weitere sollten noch folgen. Letztendlich unterstützten 164 von insgesamt 193 Ländern das Papier am 10. Dezember 2018 bei einer Konferenz in Marrakesch. Neun Tage später stimmten 152 Staaten in der UN-Generalversammlung für die Vereinbarung.

Zahnloser Papiertiger?

Nun, zweieinhalb Jahre später, ist es ruhig um den UN-Migrationspakt geworden, wenn er nicht gerade mit dem EU-Migrationspakt verwechselt wird (der zumindest im Deutschen mittlerweile zum Migrationspaket umbenannt wurde). Ist er, wie andere Kritiker befürchtet haben, zum zahnlosen Papiertiger geworden? Florence Kim widerspricht. Sie ist Sprecherin des UN-Migrationsnetzwerks, das extra geschaffen wurde, um die Länder bei der Umsetzung des Pakts zu vernetzen und zu unterstützen.

"Der Pakt ist eine Geisteshaltung, um das Thema Migration auf die Agenda der Länder zu bekommen", sagt Kim zum STANDARD. Dabei soll es aber nicht nur um große Krisen wie im Mittelmeer oder in Mexiko gehen, sondern auch um andere Facetten wie Menschenrechte für Migranten oder die Auswirkungen des Klimawandels auf sie. Oder Arbeitsmigration.

Positivbeispiele durch die Pandemie

Diesbezüglich sieht Kim durch die Pandemie ausgelöst positive Beispiele. "Durch Corona haben viele Migranten ihren Job und ihr Arbeitsvisum verloren, sie konnten aber das Land nicht mehr verlassen", sagt sie. Der Pakt schreibe vor, dass Migranten aber nicht unverschuldet in eine rechtswidrige Situation kommen dürfen. "Länder wie Frankreich und Portugal haben die Aufenthaltserlaubnis für sie unkompliziert verlängert. Damit wurden hunderttausende Migranten in Europa geschützt."

Gleichzeitig hat man durch Corona auch gesehen, was im negativen Fall passieren kann, wenn es keine einheitlichen Regeln gibt, sagt Andreas Schloenhardt, der an der Entstehung des Migrationspakts mitgewirkt hat. Der Migrationsexperte und Uni-Professor nennt hierbei Österreich als Beispiel: "Da gibt es einen Fleckerlteppich an Regeln in Sachen Migration, der dazu führt, dass in der Not ausländische Pflegekräfte mit Sonderzügen ins Land gebracht werden müssen – und dass Erntehelfer fehlen."

Aber wo konkret hat der UN-Migrationspakt seine Spuren hinterlassen? Florence Kim verweist auf Foren in den verschiedenen Weltregionen, auf denen alle vier Jahre Fortschritte hinsichtlich Migration überprüft und Erfahrungen ausgetauscht werden sollen. Begonnen hat es vergangenes Jahr unter anderem mit Europa und der Asien-Pazifik-Region. Ab 2022 soll, ebenfalls alle vier Jahre, ein globales Überprüfungsforum stattfinden.

Musterbeispiel Neuseeland

Abgesehen davon hat Schloenhardt wenig dazu entdeckt, "aufgrund der Pandemie, aber schon davor war das Thema Migration eines, das nicht gerne angefasst wurde". In Neuseeland aber, so der Experte, werde die Vereinbarung als wichtige Richtlinie für die Migrationspolitik und rechtliche Einzelfälle hergenommen. Das, so Schloenhardt, "sei erheblich, viel mehr kann so ein Instrument ja gar nicht schaffen als eine derartige Berücksichtigung".

Das klingt nach einem mageren Fazit. "Es hätte viel schlimmer kommen können, Pandemie hin oder her", sagt Schloenhardt dazu. Die Kritiker seien damals sehr laut gewesen, sie hätten Zwischenfälle an den Grenzen dazu nutzen können, den Pakt weiter zu dämonisieren, meint der Experte. Das sei ausgeblieben, auch sei die Kritik an der Vereinbarung mittlerweile verstummt. Florence Kim kann Letzteres bestätigen, "weil den Leuten endlich klargeworden ist, dass kein Land damit zu etwas gezwungen wird". Trotzdem ist für Schloenhardt klar: "Der große Wurf ist nicht geglückt – ich weiß aber nicht, ob der zu erwarten war."

Offener Dialog gewünscht

Und wie geht es nun weiter? Abgesehen von den bereits erwähnten regionalen und globalen Foren existiert kein genauer Zeitplan. "Es wird immer Menschenschmuggel geben, es wird immer irreguläre Migration geben. Es muss unser Ziel sein, das zu minimieren. Deswegen wird auch die Arbeit mit dem Pakt nie zu Ende sein", sagt Kim. Schloenhardt wünscht sich auch abseits der Foren einen offenen Dialog zu dem Thema. "Die Pandemie hat uns gezeigt, wie abhängig wir sind von Migration."

Eine gute Nachricht gibt es doch noch für die Unterstützer der Vereinbarung: Der Schweizer Bundesrat hat im Februar 2021 erklärt, dass der UN-Migrationspakt "den Prioritäten der schweizerischen Migrationspolitik entspricht". Ob die Regierung nachträglich das Papier unterstützt, ist noch offen.

In Österreich gibt es hingegen keine Anzeichen für eine Neuentwicklung. "Für Österreich ist der Migrationspakt nicht das geeignete Mittel, um die Herausforderungen in puncto Migration zu lösen", heißt es unverändert aus dem Außenministerium. (Kim Son Hoang, 17.5.2021)