Drei Alpakas wanken aus der Skihütte und lecken so gierig am letzten Schnee auf der bereits grünen Piste, als hätten sie einen schlimmen Kater. Nachdem ihr Durst gestillt ist, spazieren die zotteligen Langhälse schnurstracks im Gänsemarsch zum Skilift. Die Szene wirkt wie ein lustiges GIF, das Halbwüchsige auf ihren Smartphones verschicken, nur ist sie real. Nächste Einstellung: Anstelle eines Liftwarts erscheint Alexandra Sabath mit ihrem Quad im Zielbereich der Piste und hält vor unserem Camper.

Andenkamel am Josefsberg

Während wir uns den Schlaf aus den Augen reiben, versucht die 32-jährige Niederösterreicherin eine Erklärung: Das sind ihre Alpakas. Sabath hält sie seit fünf Jahren auf dem Josefsberg, einem niederösterreichischen Gebirgspass in 1.000 Metern Seehöhe. Den Eltern gehört der Lift, doch es findet sich seit Jahren keiner mehr für den Posten des Liftwarts, erzählt Sabath.

Die ehemalige Skihütte hat sie zum Stall für die Andenkamele umgebaut und im früheren Selbstbedienungsbereich einen Shop eingerichtet. Dort, wo früher Germknödel und Skiwasser auf Tabletts kreisten, werden nun Alpakasocken feilgeboten. Wir haben die letzte Nacht auf dem Parkplatz des Ex-Skibergs und jetzigen Trendtier-Paradieses im Campervan verbracht.

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Wie schön es sein kann, einfach mit dem Camper aufzubrechen, hat Nick Clark mit seiner Drohne fotografisch festgehalten.
Foto: Getty Images / Nick Clark

Es ist ein idyllischer Ort, der wenig mit der Asphaltwüste rund um die Talstationen großer Skigebiete zu tun hat. Auch um die Nachtruhe muss man sich hier oben nicht sorgen. Die Straße, die nach Mariazell führt, ist zu später Stunde kaum befahren. Vom Gasherd im Van hat man freien Blick auf den Ötscher und hinüber auf die 30-Seelen-Gemeinde Josefsberg etwas oberhalb von Annaberg.

Wunderbarer Kompromiss

Während der Frühstückskaffee in der Bialetti eine Etage höher steigt, kann man auch dem Morgennebel zuschauen, wie er langsam über dem Pass aufsteigt. Es ist ein herrliches Platzerl, und man fragt sich, warum uns Alexandra Sabath auf ihrem eigenen Grund und Boden hat übernachten lassen – noch dazu völlig kostenlos?

Sabath ist Teil eines Netzwerks, das seit März 2020 existiert und mittlerweile mehr als 250 Anbieter mit 600 privaten Stellplätzen umfasst. Bauernhöfe, Winzer, Greißlereien und andere Betriebe bieten Campern an, kostenlos eine Nacht auf ihrem Grundstück zu verbringen.

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Zelteln mit Aussicht – das kann man dank einer neuen App auf der Alm, im Weingarten oder auf dem Bauernhof.
Foto: Getty Images

Es ist ein wunderbarer Kompromiss für Camper, die zum einen kommerzielle Stellplätze scheuen und zum anderen nicht wildcampen können, weil das in Österreich und weiten Teilen Europas verboten ist. "Schau aufs Land" nennt sich dieses Netzwerk, das als Onlineplattform und App umgesetzt wurde und aus einer Uni-Abschlussarbeit des Systemwissenschafters Leonard Röser hervorgegangen ist. Röser erkannte darin, wie sehr sich Camping in Europa im Aufwind befindet und dass es eine enorme Nachfrage nach individuelleren Formen des mobilen Übernachtens gibt.

Für Mitglieder

Wer als Herumreisender mit einem Wohnmobil, Campervan oder auch nur einem Zelt von dem Konzept profitieren will, registriert sich auf der Plattform und bezahlt eine kleine jährliche Gebühr für die Mitgliedschaft. Auf einer Landkarte in der App sieht man dann, wo es überall ein Platzerl für die Nacht gibt.

Daraufhin kontaktiert man den Eigentümer, fragt höflich nach, ob etwas frei ist, und stellt sich bei der Ankunft kurz vor. Wo man übernachten kann, hängt aber auch von der Ausstattung des Platzes und des eigenen Fahrzeugs ab.

Der Camper verfügt über ein Stockbett im Heck, Küchenzeile und Bad.
Foto: Sascha Aumüller, Joëlle Stevenazzi

Nur wenige Plätze verfügen etwa über Fließwasser, Toilette oder Stromanschluss. Wer autark sein möchte, sollte also mit einem gut ausgestatteten Wohnmobil unterwegs sein. An einigen Orten kann man auch nur mit dem Zelt kommen und zum Beispiel die Dusche und das WC in einem Wirtschaftsgebäude mitbenutzen.

Alpaka-Wanderungen

Der Betrieb bekommt für den Stellplatz keinerlei Vergütung von Schau aufs Land oder den Campern. Die Anbieter profitieren nur vom Verkauf regionaler Produkte oder indem sie Workshops und Führungen anbieten – im Fall von Alexandra Sabath sind es vor allem die Alpaka-Wanderungen, die sie anbietet.

Das System setzt zum Funktionieren zudem einige Spielregeln voraus. Dazu gehört neben Selbstverständlichkeiten, wie keinen Müll zu hinterlassen oder keinen Lärm zu verursachen, auch die 24-Stunden-Regel. Nach Ablauf dieser Zeit sollte man weiterziehen, um auch anderen Campern die Übernachtung zu ermöglichen und nicht die Gastfreundschaft eines einzelnen Betriebes überzustrapazieren.

So zücken auch wir noch vor der Skihütte mit den Alpakas das Smartphone und wählen bereits den nächsten Stellplatz für die Nacht. Ein kurzes Telefonat, und schon ist klar, dass wir auf einer steirischen Alm in 1.300 Metern Seehöhe bei Sankt Lorenzen am Wechsel bleiben dürfen.

Der Betrieb bekommt für den Stellplatz keinerlei Vergütung von Schau aufs Land oder den Campern.
Foto: Sascha Aumüller

Wie schnell das Konzept, das ursprünglich aus Frankreich kommt, auch hierzulande viele Anhänger finden wird, legen die blanken Zahlen nahe: Rund 70.000 Campingfahrzeuge sind aktuell in Österreich unterwegs, allein im Jahr 2020 waren rund 4.000 Neuzulassungen zu verzeichnen. Dabei gab es zuletzt rund sieben Millionen Nächtigungen auf Campingplätzen, doch auch der Bedarf an alternativen Stellplätzen steigt rasant an.

Legal im Lockdown

Wie mobil man mit einem Camper ist, hat sich ja auch mitten in der Pandemie herauskristallisiert: Während sämtliche Beherbergungsbetriebe im viele Monate dauernden Lockdown geschlossen halten mussten, durften Familien im Camper weiterhin ganz legal unterwegs sein, solange sie private Stellplätze fanden. Es ist also kein Wunder, dass neben Schau aufs Land nahezu zeitgleich noch ein vergleichbares Konzept entstanden ist.

Beim Stellplatzführer "Bauernleben", der von Franz Roitner – selbst auf einem Vierkanthof in Oberösterreich aufgewachsen – entwickelt wurde, sind bereits über 400 Bauernhöfe und Weingüter registriert. Der Guide erschien zum ersten Mal im Herbst 2020 in Form eines gedruckten Führers, zu dem es auch eine App gibt.

Auf dem Josefsberg in den Türnitzer Alpen wurde früher Ski gefahren – heute kann man dort "wild" campen.
Foto: Sascha Aumüller

Das Prinzip, das sich an der französischen Urform orientiert, ist ein ganz ähnliches wie bei Schau aufs Land: Mitglieder bezahlen eine geringe Gebühr, melden sich kurz vor dem Besuch an und dürfen ohne Kosten für einen Stellplatz bleiben. Auch die an diesem System teilnehmenden Betriebe profitieren vorwiegend vom Verkauf ihrer Produkte.

Lediglich einen in der Praxis relevanten Unterschied gibt es zwischen den beiden Konzepten: Bei Bauernleben ist die Mitgliedschaft personen- und fahrzeugbezogen. Aus diesem Grund werden Menschen, die so wie wir einen Camper nur für ein verlängertes Wochenende mieten und kein eigenes Fahrzeug besitzen, eher auf das erste Modell zurückgreifen.

Lieferwagen mit Stockbett

Mit unserem Camper – einem Lieferwagen mit Stockbett im Heck , einer kleinen Küchenzeile und einem Bad –, den wir bei Indie Campers (siehe Infobox unten) in der Nähe des Wiener Flughafens ausgeborgt haben, halten wir nun vor einem Schranken. Er markiert den Beginn jener Forststraße, die zur Glatzl-Trahütten-Alm führt und gegen Einwurf von drei Euro befahren werden darf.

Cäcilia Pichlbauer, die unten im Tal einen Bauernhof mit Ferienwohnungen und Blockhäusern führt, hat uns erlaubt, auf ihrer Alm zu nächtigen. Die Hütte musste zuletzt natürlich auch geschlossen bleiben, weshalb die Eigentümerin durch unseren Besuch nichts verdient – oder zumindest fast nichts.

Neugier auf beiden Seiten

Pichlbauer hat vor der Alm eine Kühlbox mit kalten Getränken aufgestellt, die sie regelmäßig befüllt. Gegen eine kleine Spende dürfen sich Wanderer und Camper bedienen. Als sie am späten Nachmittag heraufkommt, um Getränke nachzufüllen, verrät sie, was sie so toll findet am Konzept der privaten Stellplätze: "Ich kann meine große Neugier stillen", sagt sie mit einem Augenzwinkern.

Tatsächlich können das beide Seiten. Wildfremde verstricken sich in Gespräche, die wie unseres an diesem Nachmittag auf der Alm überraschend lange dauern, weil sie so anregend sind. (Sascha Aumüller, RONDO, 20.5.2021)

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