Auf der Demonstration am vergangenen Mittwoch wurden auch Plakate mit Shoa-Verharmlosung gezeigt.

Foto: Markus Sulzbacher

Es gibt nicht viele Themen, zu denen Martin Sellner und die Identitären nichts zu sagen haben. Umso auffälliger ist, wenn die Rechtsextremen zu den aktuellen Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und der israelischen Armee schweigen. Nicht einmal die antiisraelischen Demonstrationen in Wien werden in ihren Social-Media-Kanälen kommentiert, obwohl daran auch Islamisten teilnahmen. Auch andere extrem rechte Gruppierungen wie die Aktivisten und Aktivistinnen rund um die oberösterreichische Zeitschrift "Info Direkt" schweigen zu dem Thema. Es ist ihnen offensichtlich zu heiß.

Rhetorik wurde von anderen Parteien übernommen

Dabei haben Teile der extremen Rechten die Themen Israel und Juden vor einigen Jahren aus taktischen Gründen für sich entdeckt. Da gilt es auf einmal, die "jüdisch-christliche Kultur" gegen den Islam zu verteidigen, und antisemitisch motivierte Gewalt von Muslimen lässt sich für antimuslimische Propaganda nützen. Die Kombination funktioniert so gut, dass sie auch in die Rhetorik einiger Parteien Eingang gefunden hat. Das war aber nicht immer so.

Die FPÖ unter der Führung des im Jahr 2008 verstorbenen Parteichefs Jörg Haider war noch an der Seite arabischer Despoten, etwa des ehemaligen irakischen Diktators Saddam Hussein, zu finden. Zu Libyens Muammar al-Gaddafi reisten ganze Kohorten freiheitlicher Politiker, andere warfen Israel lautstark "Staatsterrorismus" im Umgang mit den Palästinensern vor. Derartiges ist heutzutage nicht mehr zu vernehmen, dafür haben FPÖ-Politiker in den vergangenen Jahren demonstrativ Israel besucht.

FPÖ spricht von "Antisemitismuskeule"

Der freiheitliche Parteiobmann Norbert Hofer fordert von der türkis-grünen Regierung, im aktuellen Gaza-Konflikt einen neutralen Standpunkt einzunehmen, während Hannes Amesbauer, der Sicherheitssprecher der FPÖ, eine antiisraelische Demonstration als "Symptom der jahrelangen Massenzuwanderung, mit der auch schwerwiegende Konflikte aus dem Ausland nach Österreich importiert wurden", bezeichnete. Amesbauer riet der ÖVP, "ihre ständige Antisemitismuskeule" nicht gegen Regierungskritiker auf den Corona-Demonstrationen zu schwingen, da "die tatsächliche Gefahr für jüdische Mitbürger von der islamistischen Seite" ausgehe. Dass immer wieder judenfeindliche Slogans und Plakate auf den Corona-Spaziergängen zu hören und sehen sind, nimmt Amesbauer offensichtlich nicht wahr. Ebenso, dass Anhänger antisemitischer Verschwörungserzählungen und Neonazis dabei mitmischen.

Anlass für diese Aussage war eine Demonstration von rund 2.000 Personen in der Vorwoche. Neben zahlreichen Jugendlichen zogen Anhänger der palästinensischen Terrororganisation Hamas, Islamisten aus dem Umfeld des "Islamischen Staates", Mitglieder der Muslimbruderschaft, linke Splittergruppen, türkische Nationalisten sowie rechtsextreme Graue Wölfe durch die Mariahilfer Straße in Wien. Dabei wurden antisemitische Parolen skandiert, es wurde zur Gewalt aufgerufen und auf Plakaten das Vorgehen Israels mit den Verbrechen der Nazis gleichgesetzt. "Kindermörder Israel" war eine oftmals gerufene Parole.

Graue Wölfe und Neonazis

Am Samstag wurde eine Kundgebung von propalästinensischen Demonstranten gestört, die sich gegen jede Form von Antisemitismus richtete und von den Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen maßgeblich organisiert sowie von linken und antifaschistischen Organisationen unterstützt wurde. Bei diesen Provokationen tauchten auch bekannte Gesichter aus dem Umfeld der Grauen Wölfe auf. Die aus der Türkei stammende Gruppierung macht derzeit massiv Front gegen Israel – wie auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

Eine Demonstrantin setzt Israel mit Hitler gleich.
Foto: Markus Sulzbacher

In ihrer Kritik gibt es Überschneidungen mit der Neonaziszene, die auf einem ihrer Telegram-Kanäle "das Schweigen zu Vertreibung und Völkermord in Palästina" kritisiert. Es gibt aber auch scharfe Worte in Richtung FPÖ, die nicht erwähnt, wer hinter der "unkontrollierten Massenzuwanderung" stecken soll. Nämlich Juden und Jüdinnen, wie die Neonazis unverblümt schreiben.

Juden und Jüdinnen macht auch der Wiener Rechtsextremist Georg Immanuel Nagel für die antiisraelischen Demonstrationen verantwortlich. In einem Aufsatz in der deutschen Onlinezeitschrift "Blaue Narzisse", die neurechte Propaganda populär für Jugendliche aufzubereiten versucht, macht er den Zentralrat der Juden in Deutschland für den Antisemitismus auf den Demonstrationen in Deutschland verantwortlich, dieser "ernte die Früchte seiner Politik", schreibt Nagel. Und er führt aus, was er damit meint. So soll sich der Zentralrat der Juden "für etwas Besseres" halten und es für ihn "meistens darum gehen, für die eigene Gruppe etwas einzufordern". Nagel stört auch, dass die Organisation gegen Rechtsextremismus auftritt. Der Text kann getrost als Paradebeispiel für antisemitische Klänge in der sogenannten Neuen Rechten bezeichnet werden. Juden und Jüdinnen für Antisemitismus verantwortlich zu machen zählt zum Standardrepertoire zahlreicher Antisemiten.

Nagel sorge zuletzt im vergangenen Jahr für Schlagzeilen, nachdem er nach dem islamistischen Terroranschlag in Wien mit einem Lautsprecherwagen durch die Stadt gefahren war und dabei Gewehrsalven abgespielt hatte. Eine Zeitlang wurde er dabei von der Polizei eskortiert. Nagel sprach von einer Kunstaktion, ein Verfahren wegen Verhetzung wurde eingestellt.

Stimmung gegen die Regierung

Wie zahlreiche Kader der neurechten Identitären nahm auch Nagel an Corona-Demonstrationen teil. Bei der Kundgebung am vergangenen Samstag in Wien spielte der Nahostkonflikt allerdings keine Rolle. Doch tauchten einige Teilnehmer in der Nähe der Kundgebung der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen auf. Eine Frau trug ein QAnon-Shirt. Sie und weitere Aktivisten werden von einer wirren Erzählung angezogen, die gleich zahlreiche Verschwörungsmythen verknüpft. Deren Kern sind haltlose und unbelegbare Vermutungen über einen "tiefen Staat", in dem in der Öffentlichkeit stehende Personen, Linke und Reiche die Geschicke der Welt steuern würden. Dabei wird immer wieder die Rolle von Juden und Jüdinnen besonders betont.

Dieser Verschwörungserzählung zufolge würden Politiker und Politikerinnen sowie Hollywoodstars Kinder in unterirdischen Anlagen foltern und missbrauchen, um ein "Verjüngungselixier" namens "Adrenochrom" zu gewinnen. Adrenochrom gibt es als Stoffwechselprodukt wirklich, einen gewissen Mythenstatus erlangte es als Droge durch das in den 1970ern erschienene Buch "Fear and Loathing in Las Vegas". Allerdings kann die Verbindung im Labor hergestellt werden, und sie bewirkt auch keine Verjüngung. Zudem wird bei QAnon angenommen, dass Mitglieder einer Elite das Blut von Kindern trinken würden. Dies ist ein seit Jahrhunderten verbreitetes antisemitisches Motiv. Die QAnon-Anhänger haben diesen Mythos einer neuen Generation weitergegeben. Allerdings nutzen einige Aktivisten und Aktivistinnen den Gaza-Konflikt, um gegen die Regierung Stimmung zu machen. Nachdem Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die israelische Fahne auf dem Bundeskanzleramt hatte hissen lassen, tauchte die bekannte Aktivistin Jenny Klauninger bei einer propalästinensischen Kundgebung am Sonntag in Wien auf und forderte Solidarität mit den Palästinensern ein.

Hass im Netz

Zusätzlich toben sich Antisemiten jeglicher Couleur derzeit im Netz massiv aus. So werden Accounts von jüdischen Organisationen beschimpft, beleidigt und verbal attackiert. Auch der Twitter-Account des Bundeskanzlers wurde zur Zielscheibe zahlreicher antisemitischer Pöbeleien.

Auf Twitter wird die israelische Botschaft beschimpft.
Foto: Screenshot

Besonders im Visier sind aber die Social-Media-Auftritte Israels, etwa der Twitter-Account der israelischen Botschaft in Wien. (Markus Sulzbacher, 20.5.2021)