Foto: AFP / Ezequiel Becerra

Costa Rica ist als jüngstes Mitglied dem Klub der Industriestaaten beigetreten. Präsident Carlos Alvarado unterzeichnete vergangene Woche das Gesetz zur Beitrittsvereinbarung mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Das kleine, Mittelamerikanische Land ist damit das 38. Mitglied der Organisation.

Darauf hatten die Regierungen seit acht Jahren hingearbeitet, unabhängig davon, ob Bürgerliche oder Sozialdemokratische Fraktionen die Mehrheit im Parlament hielten. Vor 60 Jahren wandelte sich die OECD, die ursprünglich den Wiederaufbauplan für Europa nach dem zweiten Weltkrieg betreute, zu einer Art Think Tank für entwickelte Industrienationen (siehe Wissen). Wie wird ein Land überhaupt aufgenommen? Und was bringt es einem Staat wie Costa Rica dabei zu sein?

Klub der Reichen

Costa Ricas Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf liegt bei rund 12.000 US-Dollar. Die Wirtschaftsleistung der zu Deutsch "Reichen Küste" übertsteigt damit jene der bestehenden OECD-Mitglieder Mexiko, Türkei und Kolumbien. In den vergangenen 25 Jahren hatte die Volkswirtschaft mit kontinuierlichem Wachstum so manchen Nachbarn hinter sich gelassen. Dank einer Reihe von Liberalisierungen für Handel und Kapital, lockte Costa Rica internationale Investoren an. Die Republik gilt als stabiler Anker in der Region, Machtwechsel verlaufen demokratisch und friedlich.

Während in der Region Diktatoren an die Macht kamen und wieder verloren, blutige Guerilla-Kriege tobten, blieb Costa Rica neutral und friedlich. Das hat dem Land den Spitznamen "Schweiz Mittelamerikas" eingetragen. Anders als die Eidgenossen verzichtet Costa Rica seit dem Jahr 1948 jedoch auf ein eigenes Militär.

Seitdem das Land 2013 Interesse an einem Beitritt zur OECD zeigte, haben 22 technische Komitees Costa Rica unter die Lupe genommen. Aufnahmebedingungen reichen von einer offenen und regelbasierten Marktwirtschaft, über ein Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat bis zu einem stabilen und transparenten Finanzsystem. All diese Punkte sind natürlich relativ. Der politische Wille der bestehenden Mitglieder, ein Land aufzunehmen, ist entscheidend.

Corona belastet Sozialstaat

Das staatliche, frei zugängliche Gesundheits- und Bildungssystem litt zuletzt unter den Strapazen der Pandemie, ist aber der Stolz vieler Ticos, wie die Landesbewohner genannt werden. Ebenso wie das öffentliche Pensionssystem oder die in der Region ungewöhnliche Tatsache, dass trinkbares Wasser aus den Leitungen fließt, hat den Costaricanern einen Sinn dafür gegeben, etwas Besonderes zu sein. Die OECD-Mitgliedschaft bestätigt diese Sicht.

Der größte Vorteil einer OECD-Mitgliedschaft ist nicht, dass eine Heerschar von Experten Reformvorschläge ausarbeitet. Wichtiger ist es für eine Volkswirtschaft am Tisch zu sitzen, wenn die Ländergruppe, die 80 Prozent der globalen Wertschöpfung ausmacht, an internationalen Standards, etwa Unternehmenssteuern, feilt.

Ein Pharmalabor in Costa Rica nutzt seine langjährige Erfahrung mit Gegengiften, um an antiviralen Mitteln gegen Covid-19 zu forschen.
Foto: AFP / EZEQUIEL BECERRA

Außerdem fördert das Gütesigel der Mitgliedschaft das Vertrauen von Investoren, hofft man seitens der nationalen Wirstchaftsförderagentur Cinde. Nicht zu unterschätzen ist die Signalwirkung und mediale Präsenz, die damit einhergeht, wenn die vielzitierte multilaterale Organisation Konjunkturausblicke und Ländervergleiche präsentiert.

Costa Rica hat noch einiges aufzuholen. Die Verbrechensrate steigt seit über zwei Jahrzehnten an. Das Land ist notorisch für Drogenhandel. Im Vorjahr wurden rekordverdächtige fünf Tonnen Kokain bei einer einzigen Razzia gefunden. Im Küstenland zwischen Pazifik und Atlantik werden Drogen aus Südamerika nach Europa und andere Destinationen gebracht.

Untypisch für ein OECD-Land ist das fehlende Adresssystem in dem Fünf-Millionen-Einwohnerland. Die Postbehörde will schon länger flächendeckend Straßennamen und Hausnummern etablieren. Noch ist es die Praxis, Orte anhand der Wegbeschreibung auszuweisen – 200 Meter nach dem Supermarkt, das grüne Haus.

Kehrseite der Medaille

Die Kehrseite der Mitgliedschaft im Klub der Industrieländer ist ein höherer Maßstab, der angelegt wird, wenn es um Wirtschaft und Politik geht. Zuletzt war das Budget wegen der Pandemie und angesichts des beanspruchten Sozialsystems unter Druck. Costa Rica suchte um ein Darlehen beim Internationalen Währungsfonds in Höhe von rund drei Prozent des BIP an.

Studenten protestierten in Costa Rica gegen die Annahme des IWF-Darlehens.
Foto: AFP/ EZEQUIEL BECERRA

Reformauflagen im Gegenzug für die Unterstützung sind mitunter ein Sparprogramm in der Verwaltung. Costa Rica gibt für Staatsbedienstete rund die Hälfte der öffentlichen Ausgaben aus. Das ist, so wird neuerdings berichtet, der höchste Anteil aller OECD-Länder.

Das graue Parlamentsgebäude in Costa Ricas Hauptstadt San José bricht mit dem bunten Stil der Umgebung. Moderne Ambitionen und uriges Chaos vereinte das Land schon immer.

(Leopold Stefan, 31.5.2021)