Die Geburt eines Kindes ist ein Paukenschlag. Das Leben ändert sich schlagartig, sämtliche Bedürfnisse der jungen Eltern bleiben auf der Strecke – auch ganz grundlegende wie Essen oder Schlaf. Denn da ist dieses wunderbare neue Wesen, das alle Aufmerksamkeit bündelt. Auch nach Monaten gleicht das Leben kaum mehr dem, das es davor war. Freundschaften und Hobbys hinten anzustellen ist nahezu eine Notwendigkeit. Ebenso auf der Strecke bleibt oft die Intimität. Kein Wunder, dass mehr als zwei Drittel der Eltern in den ersten drei Jahren nach der Geburt ihres Kindes unzufriedener mit ihrer Beziehung sind als vorher, wie der US-Psychologe John Gottman festgestellt hat.

Auch Tina Molin hat das so erlebt. Nachdem ihre Tochter auf der Welt war, hatte sie keine Lust mehr auf Sex. Zu traumatisch war die Geburt, zu stressig die erste Zeit mit dem Baby. Als ihre Libido auch nach zwei Jahren nicht zurück war, entschied sich Molin, danach zu suchen. Was schlussendlich dabei herauskam, schildert die Österreicherin, die in Berlin lebt, in ihrem kürzlich erschienenen Buch. Im Interview erzählt sie, welche Folgen Nachwuchs für das Liebesleben haben kann, warum Männer verständnisvoller sein müssen – und wieso es eine schlechte Idee ist, sich in den ersten drei Jahren nach der Geburt eines Kindes zu trennen.

STANDARD: Was ändert sich denn mit der Geburt eines Kindes?

Molin: Mit der Geburt eines Kindes wird auch eine Mutter geboren und ein Vater. Das heißt, man rutscht in eine vollkommen neue Rolle hinein. Mir war das im Vorhinein gar nicht so klar. Ich war so drauf konzentriert, mein Kind zur Welt zu bringen, dass ich mir gar nicht so viele Gedanken darüber gemacht habe, was das für mich und meine Partnerschaft bedeutet. Ich habe noch gelacht, als meine Physiotherapeutin zu mir gesagt hat: "Nicht in den ersten drei Jahren scheiden lassen. Ihr müsst euch drei Jahre geben, um in dieser neuen Rolle anzukommen." Jetzt weiß ich natürlich, was sie meint.

Weil Männer die Geburt nicht gleichermaßen erleben, sei für sie "nicht nachvollziehbar, warum das Leben nicht weitergeht wie vorher", sagt Tina Molin.
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STANDARD: Und zwar?

Molin: Ein Kind zu bekommen ist eine komplette Umstellung. So schön es auch sein mag, so fordernd ist es. Und neben diesem 24-Stunden-Job soll man noch einen Beruf machen, Freundschaften pflegen und eine Partnerschaft führen. Nicht nur als Kumpels, sondern als Liebende. Das ist eine enorme Herausforderung.

STANDARD: Mütter sind besonders gefordert, sagen Sie. Woran liegt das?

Molin: Schon in der Schwangerschaft verändert sich ihr Körper enorm. Und dann ist da das Geburtserlebnis an sich, eine Naturgewalt. Manchmal kommt es auch zu Übergriffen im Kreißsaal. Weil Männer das nicht gleichermaßen erleben, ist für sie oft nicht nachvollziehbar, warum das Leben nicht weitergeht wie vorher. Eine Mutter hat meist auch viel mehr Körperkontakt zum Baby, durch das Stillen und Tragen. Bei mir hat das dazu geführt, dass ich abends einfach nur noch für mich sein wollte. Ich wollte niemandem mehr zu Diensten sein, auf keine Bedürfnisse mehr eingehen müssen. Mein Bedürfnis nach Körperkontakt war befriedigt, denn ich hatte ja schon den ganzen Tag mit meiner Tochter gekuschelt.

STANDARD: Nach einer Zeit führte das zu immer mehr Konflikten zwischen Ihnen und Ihrem Mann.

Molin: Ja, wobei ich sagen muss, dass mein Mann sehr geduldig war. Er hat zwei Jahre geduldig gewartet, dass ich als Liebende wieder zurückkomme. Er hat immer wieder schöne, liebevolle Andeutungen gemacht, hat mich zu einem Kinoabend mit einem französischen Erotikfilm eingeladen. Oder mir schöne Unterwäsche geschenkt. Meine Mutterrolle hatte ich zu diesem Zeitpunkt zwar schon bewältigt – aber ich war gerade dabei, sie mit meinen anderen Rollen zu vereinbaren, etwa mit der als Arbeitnehmerin. Dann musste auch noch ein Kindergartenplatz gefunden, Kinderarzttermine ausgemacht werden ...

STANDARD: ... die typische mentale-To-do-Liste ...

Molin: Genau. Sex stand für mich einfach überhaupt nicht auf der Prioritätenliste. Bei meinem Mann aber schon. Und irgendwann blieb es nicht mehr bei den Andeutungen, es kam zu ernsten Gesprächen. Er sagte mir, dass er mich als Liebende vermisst. Der erste Sex war dann ganz schrecklich, wie im Teenageralter. Die Zähne krachten gegeneinander, überall war immer ein Arm zu viel, nichts funktionierte mehr. Mein Körper ist überhaupt nicht angesprungen. Ich habe nicht verstanden, wieso ich gar nicht mehr auf Lust reagierte. Als ob meine Libido bis auf weiteres im Urlaub ist. Aber ich wusste nicht, wo ich nach ihr suchen soll. Dann wurden die Streitigkeiten immer mehr, wir waren beide gereizt, und irgendwann stand er vor mir und sagte: "Du, ich kann das nicht mehr!" Da habe ich die Verzweiflung in seinen Augen gesehen. Ich wusste: Ich will jetzt meine Libido dazu bewegen, wieder zurückzukommen.

STANDARD: Wie sind Sie bei der Suche vorgegangen?

Molin: Ich war bei einer Tantramassage. Mein Mann hat mir einen Gutschein geschenkt. Dieser Gutschein lag dann zwar noch monatelang auf dem Schreibtisch, weil ich mir total lächerlich vorgekommen bin. Ich dachte mir: Wie ist das, wenn jemand Fremder mich intim berührt? Ist das dann schon betrügen? Natürlich war da auch noch die Angst: Was ist, wenn du dort auch keine Lust empfindest? Aber dass ich dann doch hingegangen bin, war gut.

STANDARD: Bei der Tantramassage wird der ganze Körper berührt und massiert, auch der Intimbereich.

Molin: Aber es beginnt mit einer ganz normalen Körpermassage, nur wenn jemand zustimmt, wird weiter massiert. Bei mir ging es aber um etwas ganz anders, wie sich herausstellte. Nämlich darum, zu erkennen, dass ich die Geburt eigentlich noch nicht so gut verdaut hatte wie gedacht. Die Masseurin hat irgendwann ihre Hände auf meine Kaiserschnittnarbe gelegt, und ich habe eine halbe Stunde nur geweint. Ich lag plötzlich wieder auf dem Operationstisch, konnte wieder alles spüren, was passiert ist. Alles war wieder da, ich hatte wieder diese Todesangst. Und es war endlich Raum dafür, diese schlimme Erfahrung loszulassen. Da wurde mir klar: Nach der Geburt drehte sich alles nur ums Baby. Nie hat mich jemand gefragt, wie es eigentlich für mich war und was das alles mit mir gemacht hat.

STANDARD: Und durch dieses Erkennen ging es Ihnen besser?

Molin: Das hat mir enorm geholfen. Die Tantramassage hatte für mich also zunächst einmal nicht so viel mit Lust zu tun, sondern mit Heilung. Ich habe mich dann auch noch mithilfe eines Körpertherapeuten mit meinem Trauma auseinandergesetzt. Das hat mir gezeigt: Eine Geburt, ein Kaiserschnitt, das tut was mit dem Körper. Als ich das verarbeitet hatte, war auch wieder Lust möglich. Nach und nach habe ich mich immer besser kennengelernt. Ich habe herausgefunden, dass mir Tanzen hilft, nach der Arbeit loszulassen. Dass mir Kuscheln hilft, zu entspannen. So konnte ich die To-do-Listen immer besser aus meinem Kopf verbannen.

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Die Gelegenheiten zu einer Zusammenkunft im Bett sind für Jungeltern meist rar – denn im Elternbett liegt heutzutage oft das Kind.
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STANDARD: Liegt es wirklich nur an der Frau, etwas zu unternehmen? Sind nicht auch die Männer gefragt, sensibler und verständnisvoller zu sein?

Molin: Natürlich müssen Männer verständnisvoll sein und fragen, was gewünscht ist, was guttut, was nicht gewünscht ist. Sie müssen auch sehr einfühlsam sein, denn der Körper ihrer Partnerin hat bei der Geburt viel mitgemacht. Oft wird ein Dammschnitt oder ein Kaiserschnitt gemacht. Der weibliche Körper verändert sich auch. Ich zum Beispiel hatte durch die Schwangerschaft 20 Kilo mehr, das war für mich auch nicht einfach. Was mich stört: Manchmal gibt es nach einer Blinddarmoperation mehr Anteilnahme als nach einer Geburt. Vielleicht hilft es, sich vorzustellen, was der weibliche Körper durchgemacht hat – und sich ihm dann dementsprechend zu nähern. Oder zunächst einmal auch nicht, denn eine Geburt kann eine sehr schmerzhafte Erfahrung sein, die meist nicht innerhalb von sechs Wochen verdaut ist.

STANDARD: Ihnen ist das letztendlich gelungen und die Lust war zurück. Wie ging es weiter?

Molin: Mein Mann und ich mussten erst einmal lernen, wieder miteinander zu reden, ohne einander an die Gurgel zu gehen. Langsam haben wir es dann geschafft, unsere Bedürfnisse zu formulieren, ohne dass sich der andere angegriffen fühlt. Wir haben aus der Not heraus gelernt, besser miteinander zu kommunizieren. Wir waren dann auch gemeinsam bei einem Tantrakurs – um festzustellen, dass wir das Gelernte in unseren Alltag überhaupt nicht eingebaut bekommen. Mit einem kleinen Kind abends zwei Stunden zu massieren, das geht einfach nicht.

STANDARD: Ich glaube, die Frage des Wann stellen sich viele Eltern. Wo ist die zweite große Frage.

Molin: Wir machen uns inzwischen Verabredungen aus. Das klingt total unromantisch, hat sich aber als hocheffektiv erwiesen. Als Eltern macht man eh nichts mehr spontan. Weder Sport noch Picknick – und eben auch Sex kann kaum mehr spontan passieren. Also: Ruhig zum Sex verabreden, zum Beispiel am Wochenende, wenn man mit den Gedanken vielleicht weniger bei der Arbeit ist. Wir haben auch begonnen, unsere Sexualität mehr wie ein Event zu betrachten und gemeinsam zu überlegen, was wir immer schon ausprobieren wollten. Und das dann auch wirklich zu machen. Eine schöne Idee sind auch Date-Nights, wo das Kind bei der Oma schläft und man ins Hotel geht. Wo der Sex sonst stattfindet? Meistens nicht mehr im Elternbett, denn da liegt ja jetzt meistens das Kind. Er findet überall anders statt. Im Wohnzimmer, auf der Couch. Es gilt, kreativ zu werden, wie in der Jugend ...

STANDARD: ... als man noch bei den Eltern gewohnt hat.

Molin: So ist es. Und das kann ja auch etwas total Belebendes haben! Da kommt dann das Prickeln zurück.

STANDARD: Sie lassen in Ihrem Buch durchklingen, dass Ihre Identität als Paar vor der Geburt Ihres Kindes eine ganz andere war. Sie hatten beide Jobs im Berliner Nachtleben, haben zusammen die Stadt unsicher gemacht. Wie schafft man es denn, wieder dieses Paar zu werden? Und muss das überhaupt sein?

Molin: Das hat uns sehr beschäftigt, und wir haben eine Zeit gebraucht, um Mittel und Wege zu finden. Schlussendlich haben wir konkret nach Veranstaltungen gesucht, bei denen es Kinderbereiche gibt. Außerdem sind viele unserer damaligen Freunde aus dem Nachtleben inzwischen auch Eltern geworden. Also haben wir einander auf dem Spielplatz wieder getroffen und uns über die neusten Bands unterhalten. Wir mussten es erst einmal hinkriegen, das, was uns ausmacht, nämlich Musik und Tanzen und Freunde treffen, auch mit Kind zu leben. Aber auch wenn sie einmal eine Nacht bei der Patentante verbringt, ist das für Kinder nicht schlimm. Und den Eltern, dem Paar, tut es extrem gut.

STANDARD: Was hindert viele daran, es so zu machen?

Molin: Da ist natürlich die Außenwelt, die alles besser weiß und Eltern, vor allem Mütter, sehr schnell verurteilt. Es scheint, als dürften sie keine eigenen Bedürfnisse und Wünsche haben abseits des Kindes. Und dann ist da natürlich noch die Innenwelt mit den ganzen Glaubenssätzen, wie man als Mutter zu sein hat. Bis man das alles reflektiert und seinen eigenen Weg gefunden hat, dauert es. Es warnt einen ja auch keiner vor der Veränderung. Außer meine Physiotherapeutin.

STANDARD: "Lasst euch nicht in den ersten drei Jahren scheiden."

Molin: So lange braucht es in vielen Fällen, bis man sich als Mutter, als Vater, als Paar sortiert hat. Wenn uns nicht alle vorgaukeln würden, dass das innerhalb von sechs Wochen machbar ist, dann wäre es halb so schlimm.

STANDARD: Ihr Appell also: Sich Zeit geben, einander Zeit geben, und wenn sich alles gesetzt hat, die Partnerschaft neu ankurbeln?

Molin: Mein Lieblingsspruch ist: "Man überschätzt, was man in einem Jahr erreichen kann, und man unterschätzt, was man in zehn Jahren erreichen kann." Alles soll immer sofort und schnell gehen. Ich bin ja auch selbst so ein ungeduldiger Mensch. Was ich Paaren außerdem raten würde, ist, sich Hilfe zu holen. Bei uns wäre es sicher schneller gegangen, hätten wir das gemacht. Es gibt auch so viele Bücher oder Podcasts, wo man sich inspirieren lassen kann. Man darf sich einfach nur nicht mit dem Status quo abfinden – sondern sollte losgehen und suchen. Warten, dass es von selbst passiert, ist keine gute Idee. (Interview: lib, 22.6.2021)