In der Anlage seebogen:aktiv im Nordteil der Seestadt Aspern sind die Genossenschaften Neues Leben und Altmannsdorf-Hetzendorf neue Wege gegangen, um attraktive Wohneinheiten, ...

Foto: Hertha Hurnaus

... gewerbliche Flächen (Bild) und Büros in einem Projekt zusammenzufügen.

Foto: Hertha Hurnaus

Am Anfang stand die Bewegung. "Le Lac Sportif" lautete der Titel des Projekts auf dem Baufeld G12A der Seestadt Aspern beim Bauträgerwettbewerb 2017. Der frankophile Name erwies sich bald als etwas zu speziell und wurde in seebogen:aktiv umbenannt, doch es blieb sportlich. In der Disziplin Weitsprung zum Beispiel mussten die beiden Bauträger – die Neues Leben Gemeinnützige Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft und die Gemeinnützige Siedlungs-Genossenschaft Altmannsdorf und Hetzendorf – ihren Mut zusammennehmen und die Sprungdistanz von 20 Prozent Nicht-Wohn-Anteil erreichen.

In der Disziplin Teamsport wurde ein solides Konzept für diesen Anteil erarbeitet: 17 Büros, Ateliers und Geschäftslokale, zwei Sportstätten, ein WienXtra-Multifunktionsraum, eine Stadtbibliothek. Die restlichen 80 Prozent: 94 geförderte Mietwohnungen, 47 Smart-Wohnungen mit Superförderung, 50 geförderte Eigentumswohnungen und 45 freifinanzierte Wohnungen. Aufgeteilt ist das Baufeld zwischen den wohnbauerfahrenen Planerteams Einszueins Architektur und Tillner Willinger. Die Wohnungsübergabe erfolgte in diesen Juniwochen.

IBA als Vermittler

Dreh- und Angelpunkt der Bewegung war und ist die Vergabe der Gewerbeflächen. Hier kommt die Internationale Bauausstellung IBA Wien 2022 "Neues soziales Wohnen" ins Spiel, die in den letzten Jahren oft eine wichtige Vermittlerrolle bei der Quartiersentwicklung gespielt hat. Mit der Initiative "Wohnen und Arbeiten passgenau" sollten frühzeitig die idealen Nutzer gefunden werden, die im selben Haus sowohl wohnen als auch arbeiten. Ein mutiges Experiment in der Disziplin Synchronschwimmen.

"Wir haben über Veranstaltungen und unsere Website Interessenten gesucht, die spezielle Vorstellungen von der Kombination Wohnen und Arbeiten haben, die wir dann in die Grundrissplanung integrieren können," sagt Andrea Breitfuss vom Ingenieurbüro Kontext, die das Projekt im Auftrag der Bauträger organisierte. Rund 20 bis 25 Interessierte kamen zu den Workshops und ließen sich von den Architekten beraten; übrig blieb letztendlich nur eine einzige Familie.

"Drei Jahre vorher wissen, was man braucht"

Woran lag das? "Es müssen sehr viele Parameter erfüllt sein, damit die passgenaue Kombination Wohnen und Arbeiten funktioniert", sagt Breitfuss. "Man muss drei Jahre vorher wissen, was man braucht, es muss ein Gewerbe sein, das sich für den Ort eignet, und man muss gleichzeitig dort wohnen wollen."

Was sich schon bei ähnlichen Projekten in Wien, etwa im Sonnwendviertel, abzeichnete, wurde auch hier deutlich: Der Zeithorizont von Wohnen und Gewerbe unterscheidet sich gravierend. Klein- und Mittelunternehmer können im seltensten Fall drei Jahre vorausplanen. "Gewerbeflächen gehen in der Regel erst dann weg, wenn das Haus schon steht. Die Vergabe beginnt hier ein halbes Jahr nach dem Einzug, während die Vergabe der Wohnungen schon zwei Jahre vor dem Einzug stattfindet. Noch dazu scheuen sich Gewerbetreibende oft davor, sich in einem Stadtentwicklungsgebiet einzumieten, das gerade erst bebaut wird."

Ein lohnendes Experiment

Der hohe Aufwand für die Workshops lohnte sich also nur bedingt. Auch IBA-Koordinator Kurt Hofstetter zieht ein ähnliches Resümee: "Die Planungs- und Entwicklungsdauer eines Wohnbaus ist für die Nichtwohnnutzung einfach zu lange, außerdem ist die gleichzeitige Suche nach Wohnung und Arbeitsmöglichkeit eher die Ausnahme. Viele Anfragen für die Arbeitsnutzung sind auch gar nicht auf dauerhafte, sondern auf stundenweise Nutzung ausgerichtet. Das ist für Bauträger im Rahmen ihrer eigenen Verwaltungen aber einfach nicht abbildbar." Trotzdem sei die Initiative ein lohnendes Experiment gewesen, aus dem viel gelernt wurde.

Wie kann nun die Architektur auf diese unterschiedlichen Bedürfnisse von Wohnen und Arbeiten reagieren und sie aufeinander passgenau abstimmen? Als interessant erwiesen sich, auch beim seebogen:aktiv, die Flächen über dem Erdgeschoß, sagt Katharina Bayer von Einszueins Architektur. Diese sind zur Straße hin weniger sichtbar und werbewirksam und daher der typische Standort für Arztpraxen.

Puffer auch als Schallschutz

Ein weiterer Vorteil sei deren Pufferwirkung zwischen Erdgeschoß-Gewerbe und Wohnen, was den Schallschutz betrifft. Dieser wurde bei seebogen: aktiv etwa bei der Boulderhalle sorgfältig getestet. Für spätere Veränderungen wurde hier ebenfalls vorgesorgt: Dank Stahlbetonskelettbaus mit Mauerwerk lassen sich später ohne großen Aufwand Fenster in die dunkle Halle einbauen.

Was die kleineren Gewerbeeinheiten betrifft, empfiehlt Bayer die Disziplin Langstreckenlauf. "Man braucht Geduld und darf die Nerven nicht verlieren. Bei kleinteiligen Flächen muss man immer damit rechnen, dass Interessenten wieder abspringen. Da muss man dranbleiben und das Raumangebot immer wieder nach außen sichtbar machen. Wir haben bei anderen Projekten die Erfahrung gemacht, dass sich oft ein Bedarf an Arbeitsflächen innerhalb des Hauses ein oder zwei Jahre nach dem Einzug ergibt." Eine Durststrecke, die es durchzustehen gilt, bevor man die Ziellinie überquert.

Umwandlungswünsche

"Die Bauträger wissen heute, dass sie Geduld haben müssen, bis das Umfeld bezogen ist", sagt auch Breitfuss. "Es kann auch passieren, dass es von deren Seite den Wunsch gibt, kleinere Büroeinheiten irgendwann doch wieder in Wohnungen umzuwandeln. Das ist verständlich, und vielleicht ist ein Nicht-Wohn-Anteil von 20 Prozent in manchen Fällen auch zu hoch angesetzt."

Die Chance auf ein Erreichen der Ziellinie sei jedoch nicht so schlecht, denn gerade die Pandemie habe den Bedarf für Arbeitsplätze in Wohnungsnähe erhöht, viele Unternehmen werden künftig auf Hybridformen zwischen Präsenz und Homeoffice setzen. Wie man im Fußball weiß: Geht ein Spiel in die Verlängerung, wird es erst richtig spannend. (Maik Novotny, 25.6.2021)